Vorerbe; trans- oder postmortale Vollmacht; Verfügungsbeschränkungen

Leitsatz:

Der von dem Erblasser trans- oder postmortal bevollmächtigte Vorerbe kann auch den Nacherben wirksam vertreten, ohne den Verfügungsbeschränkungen der §§ 2112, 2113 BGB unterworfen zu sein.

OLG Stuttgart (8. Zivilsenat), Beschluss vom 29.05.2019 - 8 W 160/19

BGB §§ 2112, 2113, 2136, 2222
GBO §§ 29, 51

I. Einführung

Die im Jahr 2017 verstorbene, im Grundbuch als Eigentümerin des verfahrensgegenständlichen Grundstücks eingetragene Erblasserin hatte ihren Kindern, den Beteiligten, je einzeln, eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht erteilt, welche ausdrücklich über den Tod hinaus fortwirken sollte.

Die Beteiligten sind nicht befreite Vorerben ihrer Mutter zu je 1/4. Nacherben sind nach dem Ableben eines Vorerben die leiblichen Kinder des jeweiligen Vorerben. Sämtliche Nachlassgegenstände mit Ausnahme des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes stehen den Vorerben als Vorausvermächtnis zu.

Nach dem Tod der Erblasserin hat die Beteiligte zu 4), auch im Namen der übrigen Beteiligten, Grundbuchberichtigung dahingehend beantragt, dass die Beteiligten als Eigentümer des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes eingetragen werden. Gleichzeitig hat sie namens der Nacherben den Grundbesitz aus der Nacherbschaft frei gegeben und die Löschung des Nacherbenvermerks im Wege der Grundbuchberichtigung bewilligt und beantragt.

Das Grundbuchamt hat im Wege der Zwischenverfügung beanstandet, dass dem Vollzug des Antrags Eintragungshindernisse entgegenstehen. Da die transmortal erteilte Vollmacht bis zum Eintritt des Nacherbfalls nur zur Vertretung der Vorerben und nicht zur Vertretung der Nacherben berechtige, bedürfe es der Freigabe durch die Nacherben in der Form des § 29 GBO. Für die noch unbekannten Nacherben sei ein Pfleger zu bestellen, die Freigabe auch von diesem zu erklären und von dem Nachlassgericht zu genehmigen. Bezüglich der bekannten Nacherben sei die Stellung als leibliches Kind durch Vorlage einer Geburtsurkunde nachzuweisen, außerdem sei eine eidesstattliche Versicherung des jeweiligen Vorerben vorzulegen, aus welcher sich ergebe, dass derzeit keine weiteren leiblichen Kinder bekannt seien.

Gegen diese Entscheidung hat der vertretungsbefugte Notar Beschwerde eingelegt, der das Grundbuchamt nicht abgeholfen hat.

II. Problem

Das OLG Stuttgart erachtete die Beschwerde als zulässig und auch in der Sache als erfolgreich.

Die von dem Grundbuchamt aufgezeigten Eintragungshindernisse würden nicht vorliegen. Aufgrund der von der Beteiligten zu 4) in Vollmacht auch für die Nacherben erklärte Freigabe des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes aus der Nacherbschaft und Bewilligung der Löschung des Nacherbenvermerks seien die Voraussetzungen für die Berichtigung des Grundbuchs durch Eintragung der Beteiligten als Eigentümer ohne Nacherbenvermerk gegeben.

In Rechtsprechung und Literatur sei umstritten, ob eine über den Tod hinaus wirkende Vollmacht des Erblassers nach dessen Ableben bis zum Eintritt des Nacherbfalls den Bevollmächtigten auch zur Vertretung des Nacherben legitimiert.

Hierzu werde einerseits die Auffassung vertreten, eine vom Erblasser dem Vorerben oder einem Dritten erteilte Vollmacht berechtige bis zum Nacherbfall nur zur Vertretung des Vorerben, so dass auch ein Bevollmächtigter dessen Verfügungsbeschränkungen unterliege. Das Rechtsverhältnis, auf dem die Fortdauer der Vollmacht gemäß § 168 BGB beruhe, bestehe nach Ableben des Vollmachtgebers nur zwischen dem Vollmachtnehmer und dem Vorerben, der Nacherbe sei vor Eintritt des Nacherbfalls an diesem Rechtsverhältnis nicht beteiligt. Ein Widerruf der Vollmacht durch den Nacherben sei daher nicht möglich. Überdies könne es zu einem Widerruf häufig allein aus tatsächlichen Gründen nicht kommen, weil der Nacherbe von der Vollmacht nichts erfahre oder noch nicht lebe und kein Pfleger bestellt wurde. Eine Vertretung des Nacherben würde dessen Schutzrechte gegenüber dem Vorerben aushöhlen, weil dadurch die aus § 2136 BGB folgende Grenze der Befreiungskompetenz des Erblassers überschritten wäre. Der Bevollmächtigte könnte ansonsten über den Kopf des Nacherben ohne dessen Eingriffsmöglichkeit auch unentgeltliche Verfügungen vornehmen.

Teilweise werde vertreten, dass die dem Vorerben erteilte Vollmacht mit dem Ableben des Erblassers durch Konsolidation erlösche, also dass sich niemand selbst vertreten könne.

Der Senat schloss sich indes der Gegenauffassung an, wonach der von dem Erblasser trans- oder postmortal Bevollmächtigte auch den Nacherben wirksam vertreten kann und in seiner vom Erblasser abgeleiteten Verfügungsmacht nur den Beschränkungen unterliegt, die ihm vom Erblasser selbst direkt auferlegt wurden. Seine Rechtsmacht, die Erben zu binden, entspreche der Rechtsmacht des prämortal Bevollmächtigten. Durch nach dem Tod des Vollmachtgebers seitens des Bevollmächtigten vorgenommene Rechtsgeschäfte würden sämtliche Erben einschließlich etwaiger Nacherben berechtigt und verpflichtet. An die für den Vorerben geltenden Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113, 2114 BGB sei der Bevollmächtigte auch dann nicht gebunden, wenn er gleichzeitig Vorerbe ist.

Zwar trete in das der Vollmacht zugrunde liegende Rechtsverhältnis nur der Vorerbe und nicht auch der Nacherbe ein. Der Nacherbe könne jedoch als Erbanwärter kraft seines künftigen Erbrechts über Nachlassgegenstände, für welche der Vorerbe allein den Beschränkungen der §§ 2113, 2114 BGB unterliege, in Gemeinschaft mit dem Vorerben wirksam verfügen. Insoweit er Verfügungen des Vorerben durch seine Zustimmung wirksam werden lassen kann, sei auch seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten zulässig. Die von dem Erblasser für sich und seine Erben erteilte Vollmacht berechtige den Bevollmächtigten mithin auch, vor Eintritt der Nacherbfolge insoweit im Namen des Nacherben zu handeln, als der Nacherbe selbst vor Eintritt der Nacherbfolge in seiner Eigenschaft als Nacherbe handeln kann. Der Bevollmächtigte könne somit gleichzeitig im Namen des Vorerben und des Nacherben handeln. Erweise sich die Verfügung des Bevollmächtigten für den Nacherben als nachteilig, so könne daraus möglicherweise ein Anspruch des Nacherben gegen den Bevollmächtigten erwachsen, ohne dass deswegen die Gültigkeit der Verfügung des Bevollmächtigten in Frage gestellt wird. Seien Vollmachtnehmer und Vorerbe identisch, möge mit dem Tod des Erblassers die Vollmacht, für den Vorerben zu handeln, durch Konsolidation erloschen sein, die Vertretungsmacht, für den Nacherben zu handeln, bleibe jedoch bestehen.

Dass der Nacherbe noch nicht in das der Vollmacht zugrunde liegende Rechtsverhältnis für den Erblasser eingetreten ist, hindere die Wirksamkeit der Vollmacht, auch für den Nacherben zu handeln, nicht, da das Abstraktionsprinzip eine wirksame Vollmacht auch ohne Grundverhältnis ermögliche. Der Nacherbe könne eine solche isolierte Vollmacht auch frei widerrufen. Der Einwand, das Widerrufsrecht des Nacherben sei aus tatsächlichen Gründen kaum zu realisieren, mag zutreffen, spreche aber nicht gegen die vom Erblasser abgeleitete und von den Erben hinzunehmende Befugnis des Bevollmächtigten, auch den Nacherben zu vertreten. Der Erblasser könne dem Nacherben ebenso mittels eines Nacherbenvollstreckers gemäß § 2222 BGB während der Vorerbschaft seine Befugnisse völlig entziehen, ohne dass der Nacherbe die Möglichkeit hätte, sich dem zu widersetzen.

Würde man eine Stellvertretung für den Nacherben vor Eintritt des Nacherbfalls prinzipiell für unzulässig halten, könne eine Vertretungsmacht auch nicht über den Rechtsschein des § 172 BGB fingiert werden. Das Grundbuchamt wäre in allen Fällen, in denen ein trans- oder postmortal Bevollmächtigter Verfügungen für den Nachlass vornimmt, gezwungen, sich in der Form des § 29 GBO nachweisen zu lassen, dass der Erblasser keine Nacherben eingesetzt hat oder dass die eingesetzten Nacherben der Verfügung zugestimmt haben. Die trans- oder postmortale Vollmacht wäre damit für den Grundbuchverkehr erheblich entwertet.

Da, bezogen auf den konkreten Fall, die Freigabe des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes aus der Nacherbschaft und die Bewilligung der Löschung des Nacherbenvermerks durch die Beteiligte zu 4) den Nacherben gegenüber wirksam sei, sei das Grundbuch dahin zu berichtigen, dass die Beteiligten entsprechend ihrem Antrag ohne Nacherbenvermerk als Eigentümer in das Grundbuch einzutragen sind, soweit keine anderen Eintragungshindernisse entgegenstehen.

III. Fazit

Der Umfang der Vertretungsmacht des vom Erblasser trans- oder postmortal bevollmächtigten Vorerben, insbesondere die Geltung der Verfügungsbeschränkungen der §§ 2112, 2113 BGB in diesen Fällen, ist seit langem in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Das OLG Stuttgart schließt sich vorliegend der Auffassung an, dass der vom Erblasser trans- oder postmortal Bevollmächtigte auch die Nacherben wirksam vertreten kann. Seine Vertretungsmacht entspreche der des prämortal Bevollmächtigten. Die für den Vorerben geltenden Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113, 2114 BGB würden keine Anwendung finden, auch wenn der Bevollmächtigte zugleich Vorerbe ist.

Insbesondere für die Gestaltungspraxis bleibt zu hoffen, dass in absehbarer Zeit durch eine höchstgerichtliche Entscheidung Rechtssicherheit geschaffen wird.


Rezension des Beschlusses des OLG Stuttgart v. 29.05.2019 - 8 W 160/19 „Vorerbe / Trans- oder postmortale Vollmacht / Verfügungsbeschränkungen", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.9 September 2019, S.555 f


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