Vollstreckung; Miterbenanteil
Amtlicher Leitsatz:
Ergibt sich eine Ersatzerbfolge mangels Feststellbarkeit entsprechender Verfügungsinhalte allein aus § 2069 BGB, ist die Vermutung aus § 2270 Abs. 2 BGB im Sinne einer wechselbezüglich gewollten Verfügung auf Ersatzerbenbestimmung nur dann anwendbar, wenn sich Anhaltspunkte für einen auf Einsetzung des oder der Ersatzerben gerichteten Willen der Erblasser feststellen lassen. (Rn. 13)
OLG Hamm (10. Zivilsenat), Beschluss vom 15.02.2019 - 10 W 16/18
BGB §§ 1924 Abs. 3, 2069, 2270 Abs. 2, 2271 Abs. 2 S. 1, 2356
I. Einführung
Die Beteiligten zu 1) und 2) sind die Enkelkinder des im Jahr 2017 verstorbenen Erblassers T. Der Erblasser war verheiratet mit T2, die im Jahr 1989 vorverstorben ist. Aus der Ehe ist der Sohn T3, der Vater der Antragsteller, als einziges Kind hervorgegangen. T3 ist im Jahr 1996 vorverstorben. Der Antragsteller zu 1) ist 1988 geboren, die Antragstellerin zu 2) 1990.
Die Eheleute T und T2 errichteten im Jahr 1986 ein notarielles Testament. Dort heißt es:
„Wir setzen uns gegenseitig zum alleinigen Erben ein. Erbe des Längstlebenden soll unser Sohn T3 sein. Weiteres haben wir nicht zu bestimmen.“
Nach dem Tod seiner Ehefrau verfügte der Erblasser im Jahr 2008 durch privatschriftliches Testament wie folgt:
„Ich stelle klar, dass dieses Testament meinen letzten Willen enthält und widerrufe gleichzeitig etwaige zuvor errichtete Testamente, insbesondere mein Testament vom 23.2.2005.
Meine Ehegattin und unser Sohn T3 sind vorverstorben.
Ich setze meine Lebensgefährtin Frau S und das Altenheim St. K zu meinen alleinigen Erben je zu gleichen Teilen ein. Ich ordne Testamentsvollstreckung an und bestimme zum Testamentsvollstrecker Herrn Rechtsanwalt N.“
Nach dem Tod des Erblassers wurde dem Beteiligten zu 5) ein Testamentsvollstreckerzeugnis erteilt. Die Antragsteller zu 1) und 2) beantragten die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Erben zu je 1/2 ausweist. Sie erachteten das privatschriftliche Testament als unwirksam. Der Erblasser sei durch das gemeinschaftliche notarielle Testament gebunden gewesen. Gemäß § 2069 BGB seien sie als Abkömmlinge des in diesem Testament vorgesehenen Schlusserben als Ersatzerben anzusehen und demgemäß Erben ihres verstorbenen Großvaters geworden.
Der Beteiligte zu 5) hat seinerseits als Testamentsvollstrecker die Erteilung eines Erbscheins für die Lebensgefährtin S und das Altenheim K, die Beteiligten zu 4) und 5), als Erben zu je 1/2 beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, dass das privatschriftliche Testament wirksam sei. Der Erblasser sei durch das gemeinschaftliche Testament nicht gebunden gewesen, weil die Einsetzung des gemeinsamen Sohnes als Schlusserbe nicht wechselbezüglich sei. Der Eintritt der Beteiligten zu 1) und 2) als Ersatzerben ergebe sich nicht aus einer Auslegung des Testaments, zumal beide Enkelkinder bei dessen Errichtung noch nicht geboren seien. Es komme lediglich die gesetzliche Vermutung gemäß § 2069 BGB in Betracht. Eine Bindungswirkung, bezogen auch auf die Ersatzerben, lasse sich selbst bei Annahme der Wechselbezüglichkeit hinsichtlich des Sohnes als Schlusserben nicht feststellen.
Das Amtsgericht - Nachlassgericht - hat die Tatsachen, die zur Begründung des Antrages der Beteiligten zu 1) und 2) erforderlich sind, für festgestellt erachtet und den Antrag des Beteiligten zu 5) zurückgewiesen. Dabei ist es davon ausgegangen, dass die Beteiligten zu 1) und 2) als Enkelkinder des Erblassers dessen Erben geworden sind. Der Erblasser sei durch das gemeinschaftliche notarielle Testament gebunden gewesen. Nach der Auslegungsregel des § 2270 BGB sei die Einsetzung des gemeinsamen Sohnes als wechselbezüglich anzusehen. Der Erblasser habe deshalb nach dem Tod seiner Ehefrau nicht mehr frei testieren können. Er sei offensichtlich davon ausgegangen, dass die Bindungswirkung nach dem Tod des Sohnes entfallen sei. Dass anstelle seines Sohnes nunmehr dessen inzwischen geborene Kinder erbberechtigt sein würden, habe er offensichtlich nicht bedacht. Diese seien als Erben gemäß § 1924 Abs. 3 BGB an die Stelle ihres Vaters getreten.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 5), mit dem er sein bisheriges Ziel der Zurückweisung des Antrages der Beteiligten zu 1) und 2) und Erteilung eines Erbscheins zugunsten der Beteiligten zu 3) und 4) weiter verfolgt.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II. Problem
Die Beschwerde war nach Ansicht des OLG zulässig und teilweise erfolgreich.
Die Erbfolge nach dem verstorbenen Erblasser folge aus dem im Jahr 2008 errichteten privatschriftlichen Testament. Dieses Testament sei wirksam. Erben seien die Beteiligten zu 4) und 5). Der Erblasser sei durch die Regelungen des gemeinsam mit seiner Ehefrau errichteten notariellen Testaments nicht gebunden gewesen, über die Erbfolge nach seiner Person anderweitig zu verfügen und zugunsten der Beteiligten zu 3) und 4) zu testieren.
Allerdings habe nach dem Tod der Ehefrau zunächst gemäß §§ 2271 Abs. 2 S. 1, 2270 Abs. 2 BGB eine Bindung des Erblassers an die Einsetzung des Sohnes T3 als Schlusserben bestanden. Diese sei wechselbezüglich im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB. Im Verhältnis einer Schlusserbeneinsetzung einerseits und der Einsetzung des jeweils anderen Ehegatten als einzigen Erben andererseits, unter Ausschluss des gemeinsamen Kindes beim Tod des zuerst versterbenden Ehegatten, spreche für eine Wechselbezüglichkeit, dass sich die Ehegatten nur deshalb gegenseitig als Alleinerben beim Tod des zuerst Versterbenden eingesetzt haben, weil auch der Überlebende den gemeinsamen Sohn zu seinem Alleinerben berufen hat (s. dazu auch BGH Beschluss vom 16.01.2002 - IV ZB 20/01, Rn. 8). Soweit sich, wie hier, aus dem Testament dazu nichts Weiteres ergebe, enthalte § 2270 Abs. 2 BGB eine Zweifelsregel, die im vorliegenden Fall eingreife. Auf die Wechselbezüglichkeit der Einsetzung des gemeinsamen Sohnes als Schlusserben komme es jedoch nicht an. Er habe den Erbfall, für den er berufen war, nicht mehr erlebt (§ 1923 Abs. 1 BGB). Das spätere privatschriftliche Testament widerspreche deshalb insoweit dem Ehegattentestament nicht.
Entscheidend sei vielmehr, ob für den vorverstorbenen Sohn Ersatzerben eingesetzt sind und ob der Erblasser daran gebunden war. Aus dem gemeinschaftlichen Testament ergebe sich dazu nichts. Eine Einsetzung der Beteiligten zu 1) und 2) als Ersatzerben für den vorgesehenen Schlusserben sei auch eher fernliegend, da beide Enkelkinder im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments noch nicht geboren waren. Es seien weder aus dem Testament selbst, noch aus anderen Umständen Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Eheleute für den Fall des Vorversterbens des Sohnes an eine Erbfolge durch eventuell später hinzukommende Enkel gedacht haben. Es komme deshalb die Regel des § 2069 BGB zum Zuge, die auch bei Einsetzung eines Schlusserben in einem gemeinschaftlichen Testament gelte (BGH a.a.O. juris Rn. 11 m.w.N.). Danach seien Ersatzerben die zur gesetzlichen Erbfolge nach dem weggefallenen Sohn berufenen Abkömmlinge geworden, das seien hier die Beteiligten zu 1) und 2).
Da jede Einsetzung eines Ersatzerben im Verhältnis zur Einsetzung des zunächst bedachten Erben eine selbständige, gesonderte Verfügung darstelle, sei die Frage einer Bindungswirkung nicht für die Einsetzung von Schlusserben oder Ersatzerben generell zu bestimmen; vielmehr sei sie für jede dieser Verfügungen gesondert zu klären (OLG München MDR 2011, 1361 ff, Rn. 21 m.w.N.). Der Umstand, dass die gemeinschaftlich testierenden Eheleute die Schlusserbeneinsetzung als wechselbezügliche und bindende Verfügung ausgestaltet haben, sei kein ausreichendes und zwingendes Indiz dafür, dass auch die Ersatzerbeneinsetzung nach § 2069 BGB bindend sein sollte. Die Bindung könne in diesem Kontext nicht durch einen Rückgriff auf die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB festgestellt werden. Ergebe sich nämlich die Ersatzerbfolge mangels Feststellbarkeit entsprechender Verfügungsinhalte allein aus § 2069 BGB, sei die Vermutung aus § 2270 Abs. 2 BGB im Sinne einer wechselbezüglich gewollten Verfügung auf Ersatzerbenbestimmung nur anwendbar, wenn sich Anhaltspunkte für eine auf Einsetzung des oder der Ersatzerben gerichteten Willen der Erblasser feststellen lassen würden (BGH a.a.O. juris Rn. 15; OLG München a.a.O. Rn. 23; BayObLG 2004, 244).
Hier seien solche Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Eine zur Bindung des Erblassers erforderliche Wechselbezüglichkeit der allein aus § 2069 BGB abzuleitenden Ersatzerbenbestimmung sei nach alledem nicht erkennbar.
Der allein auf der vermeintlich bindenden Ersatzerbenberufung fußende Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) und 2) war deshalb unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses zurückzuweisen.
III. Fazit
Die Entscheidung illustriert die Anwendung der Zweifelsregelungen des § 2270 Abs. 2 BGB und § 2069 BGB und ihr Verhältnis zueinander.
Eine Kombination dieser Regeln ist, wie der vorliegende Fall zeigt, nicht möglich. Muss schon für die Ermittlung der Ersatzerbfolge auf die Regelung des § 2069 BGB zurückgegriffen werden, kann nicht bezüglich der so ermittelten Verfügung über § 2270 Abs. 2 BGB auch deren Wechselbezüglichkeit vermutet werden. Die Vorschrift des § 2270 Abs. 2 BGB kann vielmehr erst dann herangezogen werden, wenn sich die Ersatzerbeneinsetzung aus dem Erblasserwillen ergibt und nicht über § 2069 BGB ermittelt wurde.
Rezension des Beschlusses des OLG Hamm v. 15.02.2019 - 10 W 16/18 „Vollstreckung / Miterbenanteil", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.7 Juli 2019, S.427 f