Vindikationslegat; Grundbuch; Europäische Erbrechtsverordnung

Leitsätze:

  1. Nach Inkrafttreten der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO) in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 - C-218/16, NJW 2017, 3767) ist das Grundbuchamt nicht mehr berechtigt, einem nachgewiesenen Vindikationslegat nach französischem Recht seine dingliche Wirkung abzusprechen. (Rn. 10)
  2. Ein vom Legatar vorgelegtes Europäisches Nachlasszeugnis stellt grundsätzlich einen ausreichenden Unrichtigkeitsnachweis im Sinne des § 22 GBO dar, mit dem die Rechtsstellung belegt werden kann. Wie auch sonst bei nationalen Erbscheinen steht dem Grundbuchamt aber ein Prüfungsrecht zu, soweit Zweifel dies gebieten. (Rn. 12 – 15)

OLG Saarbrücken (5. Zivilsenat), Beschluss vom 23.05.2019 - 5 W 25/19

GBO §§ 19, 22, 29, 35
EuErbVO Art. 23 Abs. 1, Art. 63 Abs. 1
BGB § 925

I. Einführung

Im Grundbuch ist der Erblasser als Eigentümer einer Wohnung eingetragen. Er hatte seinen letzten Wohnsitz in Frankreich und ist im Jahr 2016 verstorben.

Eine Notarin mit Amtssitz in Paris erstellte ein Europäisches Nachlasszeugnis. Darin ist unter anderem ausgeführt, dass die Antragstellerin als Ehefrau des Erblassers folgendes erhalte: „5/8 zum Volleigentum und 3/8 zum Nießbrauch der im Immobiliargüter und Immobiliarrechte in S. (Deutschland), …pp. XX, bestehend aus einer Einzimmerwohnung mit Bad und Kochecke. Im Rahmen der Regelung des Nachlasses von Herrn K. übernimmt Frau G. ihre 4/8 zum Volleigentum und erhält 1/8 zum Volleigentum und 3/8 zum Nießbrauch“.

Die Antragstellerin beantragte unter Vorlage des oben genannten Europäischen Nachlasszeugnisses Grundbuchberichtigung entsprechend der Erbfolge französischen Rechts und die Eintragung ihres Nießbrauchsrechts.

Das Grundbuchamt wies den Antrag zurück, weil dem Nießbrauchsrecht der Antragstellerin im deutschen Grundbuchverfahrensrecht keine Wirkung zukomme. Die Eintragung des Nießbrauchs sei folglich von den Erben zu bewilligen. Die Antragstellerin legte gegen den Beschluss Beschwerde ein.

II. Problem

Die Beschwerde war nach Ansicht des OLG Saarbrücken zulässig und führte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Vindikationslegaten, gesetzlichen Nießbrauchsrechten und dinglichen Teilungsanordnungen, die durch ein Europäisches Nachlasszeugnis nachgewiesen werden können, seien im deutschen Grundbuchverfahren bisher keine Wirkungen zugekommen.

Durch die Entscheidung des EuGH (NJW 2017, 3767 - Kubicka) stehe nunmehr fest, dass die EuErbVO so zu verstehen sei, dass das Vindikationslegat volle Wirksamkeit nach dem Erbstatut auch in denjenigen Rechtsordnungen entfaltet, die nur das schuldrechtlich wirkende Vermächtnis kennen. Der EuGH begründe dies mit Art. 23 Abs. 1 EuErbVO, mit der Einheitlichkeit des auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Rechts, sowie mit dem 37. Erwägungsgrund der EuErbVO. Verhindert werden solle eine Nachlassspaltung, womit dem Erbstatut Vorrang vor dem Sachenrechtsstatut eingeräumt werde. Der Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 2 lit. k EuErbVO beschränke sich, so der EuGH, auf die Existenz und die Anzahl der dinglichen Rechte. Übergangsmodalitäten würden aber von Art. 1 Abs. 2 lit. k EuErbVO nicht erfasst. Die Vorschrift gebe nach Ansicht des EuGH keine Handhabe dafür, das Vindikationslegat abzuerkennen. Dem Erbstatut sei der Vorzug zu geben. In der Folge entfalte das Vindikationslegat uneingeschränkt dingliche Wirkungen bereits mit dem Erbfall. Etwas anderes lasse sich auch nicht Art. 1 Abs. 2 lit. l EuErbVO entnehmen, die nach Ansicht des EuGH lediglich auf Verfahrensrecht abstellt, nicht aber auf die Art und Weise, wie das Recht erworben wird. Für die Grundbuchpraxis bedeute das EuGH-Urteil, dass eine Auflassung nicht mehr erklärt werden muss. Das Vindikationslegat entfalte unmittelbar dingliche Wirkungen, so dass der Weg der Berichtigung nach § 22 GBO beschritten werden könne. Das Grundbuchamt könne keine Auflassung verlangen. Die Grundbuchunrichtigkeit könne mit Hilfe eines Unrichtigkeitsnachweises beseitigt werden, hier eines Europäischen Nachlasszeugnisses (vgl. auch Art. 63 Abs. 1 EuErbVO). Ein Problem mit § 35 GBO stelle sich nicht, da richtigerweise nach § 22 GBO vorgegangen werden müsse. Erforderlich sei kein Erbnachweis, sondern ein Unrichtigkeitsnachweis. Nicht der Nachweis der Gesamtrechtsnachfolge stehe im Raum, sondern eine spezielle Singularsukzession (siehe dazu Wilsch in: BeckOK, GBO, § 35 Rn. 40-40d).

Die teilweise vertretenen Gegenauffassungen seien nach der Entscheidung des EuGH nicht mehr haltbar und würden in der Praxis die Entscheidungsgrundsätze und die Wirkung, die der EuGH dem Europäischen Nachlassverzeichnis beimisst, leerlaufen lassen. Aus Sicht des EuGH solle sich der Vindikationslegatar direkt durch Vorlage eines Europäischen Nachlassverzeichnisses als Rechteinhaber gegenüber dem Grundbuchamt legitimieren können. Dem stehe auch nicht die Begründung des deutschen Gesetzgebers zu § 35 GBO entgegen, da dieser in Verkennung der Bedeutung der EuErbVO gehandelt habe. Vielmehr könnten die §§ 19, 22, 29 und 35 GBO unionskonform ausgelegt werden, so dass neben der Erbfolge auch die Einzelrechtsnachfolge von Todes wegen durch ein Europäisches Nachlassverzeichnis nachgewiesen werden könne (Dorth ZEV 2018, 11; Weber DNotZ 2018, 16 mit dem zutreffenden Hinweis, dass das Europäische Nachlassverzeichnis geeignet sein muss, ein anzuerkennendes Vindikationslegat nachzuweisen, wenn es schon nach § 35 GBO geeignet ist, die Erbfolge nachzuweisen).

Aus diesem Grund dürfe das Grundbuchamt einem nachgewiesenen Vindikationslegat seine dingliche Wirkung nicht absprechen. Soweit nach französischem Recht ein Nießbrauchsrecht kraft Gesetzes entstehe, dürfe keine Eintragungsbewilligung mehr verlangt werden, die auch nicht mehr vom Berechtigten erteilt werden könne (siehe zu diesem Argument auch Weber DNotZ 2018, 16).

Eine andere Frage sei es, wie der Nachweis der Unrichtigkeit zu führen ist.

Ein gültiges Europäisches Nachlasszeugnis stelle grundsätzlich einen Unrichtigkeitsnachweis dar, mit dem die Rechtsstellung belegt werden könne. Nach Art. 63 Abs. 2 Buchst. b, 69 Abs. 2 S. 2 EuErbVO diene das Europäische Nachlasszeugnis als Nachweis eines Vindikationslegats bzw. einer dinglich wirkenden Teilungsanordnung. Die Funktion als „wirksames Dokument“ solle bedeuten, dass das Europäische Nachlasszeugnis im Rahmen seiner Beweis- und Vermutungswirkung gemäß Art. 69 Abs. 2 EuErbVO für Zwecke einer Registereintragung von Nachlassvermögen in allen Mitgliedstaaten als Nachweis akzeptiert werden muss (Dutta in: MüKoBGB, Art. 69 EuErbVO Rn. 30; J. Schmidt in: BeckOK, Art. 69 EuErbVO Rn. 57).

Aus diesen Gründen sei die Auffassung abzulehnen, auch bei Vorliegen eines Europäischen Nachlasszeugnisses müsse das Grundbuchamt prüfen, ob die betroffene Rechtsordnung einen unmittelbar dinglich wirkenden Erwerb zulässt und ob im konkreten Einzelfall der Rechtsübergang tatsächlich stattgefunden habe (Döbereiner GPR 2014, 42; Litzenburger FD-ErbR 2017, 396271; Wachter ZErb 2017, 358), was ohne Rechtsgutachten zum ausländischen Erb- und Sachenrecht nicht geschehen könne. Diese Auffassung sei mit Art. 69 EuErbVO nicht vereinbar.

Konsequenz der Anwendung von Art. 69 EuErbVO sei es aber andererseits auch nicht, wie ebenfalls vertreten werde, dass das deutsche Grundbuchamt nicht berechtigt sei, die Richtigkeit des Europäischen Nachlasszeugnisses zu prüfen (Wilsch ZEV 2012, 530). Das erscheine zu weitgehend, da das Europäische Nachlasszeugnis keine unwiderlegliche Vermutung zugunsten des Legatars formuliere. Zwar sei in Art. 69 Abs. 5 EuErbVO die Rede davon, dass das Zeugnis ein wirksames Schriftstück für die Eintragung des Nachlassvermögens in das einschlägige Register eines Mitgliedstaats darstellt. In Art. 69 Abs. 2 EuErbVO sei aber ausdrücklich geregelt, dass dem Europäischen Nachlasszeugnis lediglich eine Vermutungswirkung zukommt.

Wie auch sonst bei nationalen Erbscheinen stehe den Grundbuchämtern ein Prüfungsrecht zu, soweit Zweifel dies gebieten.

Zu beachten sei auch, dass vor einer Grundbuchberichtigung denjenigen rechtliches Gehör zu gewähren ist, deren grundbuchmäßiges Recht durch die berichtigende Eintragung beeinträchtigt werden kann. Das bedeute im vorliegenden Fall, dass den Erben, an deren Miteigentumsanteil das Nießbrauchsrecht eingetragen werden soll, rechtliches Gehör zu bewilligen ist, auch wenn sie - wegen des gleichzeitigen Antrages - noch nicht als Miteigentümer im Grundbuch eingetragen seien. Durch die Eintragung des Nießbrauchsrechts werde ihr Miteigentumsanteil beeinträchtigt.

Zu beachten sei daneben auch, dass im Europäischen Nachlasszeugnis das Vindikationslegat nach § 28 S. 1 GBO richtig zu bezeichnen ist. Deutsches Grundbuchrecht werde insoweit nicht tangiert (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. l EuErbVO; Wilsch ZfIR 2018, 253 (260); Böhringer ZfIR 2018, 81 (83); Kleinschmidt LMK 2018, 403371). Das Grundbuchamt sei allerdings gehalten, eine Zwischenverfügung zu erlassen, sollte im Europäischen Nachlasszeugnis dem Bezeichnungsgebot nach § 28 S. 1 GBO nicht Genüge getan sein (Wilsch in: BeckOK, GBO, § 35 Rn. 40-40d; Weber DNotZ 2018, 16; Ludwig, FamRB 2018, 64).

Dieses Bezeichnungsgebot sei in dem vorgelegten Europäischen Nachlasszeugnis nicht beachtet. Dort sei der der Antragstellerin zugewiesene Vermögenswert (5/8 Volleigentum und 3/8 Nießbrauch) lediglich wie folgt bezeichnet: „an den Immobililargütern in ...(Deutschland), ..., bestehend aus einer Einzimmerwohnung mit Bad und Kochecke“. Dies genügt nach § 28 S. 1 GBO nicht.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Beschluss aufzuheben.

III. Fazit

Die Entscheidung beschäftigt sich mit vielen Einzelfragen der Verwendung des Europäischen Nachlasszeugnisses in der Grundbuchpraxis und den praktischen Folgen der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Kubicka.

Das OLG folgt hier der Entscheidung des EuGH, wonach einem Vindikationslegat unter Geltung der EuErbVO auch in Deutschland unmittelbare dingliche Wirkung zukommt und, sofern das Recht kraft Gesetzes entstanden ist, keine Eintragungsbewilligung mehr verlangt werden kann. Darüber hinaus wird ausgeführt, dass mittels eines Europäischen Nachlasszeugnisses grundsätzlich ein Unrichtigkeitsnachweis i.S.v. § 22 GBO geführt werden kann. Dem Grundbuchamt soll jedoch bei entsprechenden Zweifeln ein Prüfungsrecht verbleiben. Daneben bleibt aber die Hürde des Bezeichnungsgebots nach § 28 GBO bestehen.

Ebenso wie die Entscheidung des EuGH wird sicherlich auch die Entscheidung des OLG Saarbrücken auf Kritik stoßen. Es bleibt zu hoffen, dass sich alsbald eine eindeutige Linie in der Rechtsprechung etabliert oder der Gesetzgeber Klarheit schafft.


Rezension des Beschlusses des OLG Saarbrücken v. 23.05.2019 - 5 W 25/19 „Vindikationslegat / Grundbuch / Europäische Erbrechtsverordnung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.11 November 2019, S.683 f


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