Verein; Alleinerbe; Insolvenz; Testamentsauslegung

Leitsatz:

Beruft der Erblasser in einem notariellen Testament einen eingetragenen Verein, der ein Tierheim betreibt, zum Alleinerben ohne bereits für den Fall des Erlöschens des Vereins einen Ersatzerben zu bestimmen und überträgt nach Insolvenz des Vereins der Insolvenzverwalter zur Fortführung des Geschäftsbetriebes "im Wege einer übertragenden Sanierung" das Inventar des Insolvenzschuldners, sämtliche Tiere und darüber hinaus sämtliche Arbeitsverhältnisse auf einen Dritten, der unter der im Testament aufgeführten Anschrift das Tierheim des Insolvenzschuldners weiter betreibt, so kann die ergänzende Testamentsauslegung ergeben, dass nicht der aufgelöste, aber noch nicht erloschene Insolvenzschuldner, sondern der nunmehrige Träger der zu fördernden Aufgabe Zuwendungsempfänger sein soll. (amtlicher Leitsatz)

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.01.2017 - I-3 Wx 257/16

FamFG § 58, § 59, § 84, § 352e Abs. 1 Satz 1, 353 Abs. 1
BGB §§ 42, § 157, § 2084, § 2361
EGBGB Art. 229 § 36

I. Einführung

Der Beteiligte zu 1) hält sich für den Alleinerben nach dem Erblasser.

Der Erblasser starb 2015. Er hatte - abgesehen von einer Schwester - keine Angehörigen. Wegen einer Erkrankung an Chorea Huntington stand der Erblasser seit 1999 unter Betreuung des Zeugen M. Er errichtete 2004 vor dem Notar ein notarielles Testament, in dem er u. a. Folgendes anordnete:

Zu meinem Alleinerben berufe ich das Tierheim K e.V., in K.

Der Sitz des Tierheim K e.V. (im Folgenden: Insolvenzschuldner), über dessen Vermögen 2013 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beteiligte zu 1) zum Insolvenzverwalter bestellt wurde, befand sich in K.

Mit Kauf- und Übernahmevertrag aus dem Jahre 2013 erwarb der Beteiligte zu 2) vom Beteiligten zu 1) zur Fortführung des Geschäftsbetriebes „im Wege einer übertragenden Sanierung“ das Inventar des Insolvenzschuldners, sämtliche Tiere und darüber hinaus sämtliche Arbeitsverhältnisse. Er hatte im August 2013 seinen bisherigen Geschäftssitz nach K verlegt und betreibt seit Dezember 2013 unter der im Testament aufgeführten Anschrift das Tierheim des Insolvenzschuldners weiter. Die Auflösung des Insolvenzschuldners wurde in das Vereinsregister eingetragen.

Das Nachlassgericht erteilte dem Beteiligten zu 2) auf dessen Antrag hin einen Erbschein, der ihn als Alleinerben auswies. Der Beteiligte zu 1) beantragte dessen Einziehung und die Erteilung eines Erbscheines zu seinen Gunsten.

Das Nachlassgericht wies - nach Vernehmung des Betreuers des Erblassers zu der Frage, wen der Erblasser habe bedenken wollen - die Anträge des Beteiligten zu 1) zurück. Der Erbschein sei nicht unrichtig. Der Erblasser habe den jeweiligen Betreiber des Tierheims als Erben einsetzen wollen und nicht den Insolvenzschuldner unabhängig von dem Betrieb des Tierheims. Hierfür spreche schon, dass er als Adresse nicht den Sitz des Vereins genannt habe, sondern die Anschrift des Tierheims selbst.

Mit seiner Beschwerde macht der Beteiligte zu 1) geltend, der Erbschein sei unrichtig und somit einzuziehen. Das Testament sei nicht auslegungsfähig. Im Zeitpunkt seiner Errichtung habe der Beteiligte zu 2) noch nicht existiert. Aus der Angabe der Anschrift könne nichts hergeleitet werden, denn im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments habe der Insolvenzschuldner dort noch ein Tierheim geführt. Trotz der Insolvenz könne er weiter Erbe sein.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Problem

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde war statthaft, hatte aber in der Sache keinen Erfolg.

Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) war nach Ansicht des OLG Düsseldorf unbegründet, da der dem Beteiligten zu 2) erteilte Erbschein richtig und daher nicht einzuziehen war.

Der Nachlass werde durch das formgültige und auch im Übrigen wirksame notarielle Testament geregelt. Danach sei der Beteiligte zu 2)  alleiniger Erbe des Erblassers.

Der Erblasser habe in seinem notariellen Testament den damals noch nicht in Insolvenz befindlichen Verein zum Alleinerben berufen und dabei als Anschrift nicht dessen Sitz, sondern die Anschrift des damals vom Insolvenzschuldner betriebenen Tierheims angegeben. Bereits deshalb sei die Erklärung des Erblassers auslegungsbedürftig. Daneben würden die seit Errichtung des Testaments eingetretenen tatsächlichen Veränderungen hinzukommen. So sei der Verein im Zeitpunkt des Erbfalles wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 42 BGB aufgelöst, als sogenannter werbender Verein beendet und zu liquidieren. Der Beteiligte zu 1) habe den Geschäftsbetrieb/das Tierheim mit Kauf- und Übernahmevertrag auf den Beteiligten zu 2) übertragen, der ihn „im Wege einer übertragenden Sanierung“ fortgeführt hat.

Diese Umstände habe der Erblasser bei Errichtung des Testaments nicht berücksichtigt und bedacht. Sein als Zeuge vernommener Betreuer habe ausgesagt, der Erblasser habe mit ihm darüber gesprochen, dass das Tierheim Erbe werden sollte. Dies habe eine Geschichte gehabt. Als er, der Betreuer die Betreuung übernommen habe, habe der Erblasser Kaninchen gehabt, die verhungert waren, weil er sich nicht um die Versorgung habe kümmern können. Er habe bis zum Lebensende das Gefühl gehabt, das wieder gutmachen zu müssen. Es sei dem Erblasser darauf angekommen, die Tiere in dem Tierheim zu unterstützen. Über das Problem der Trägerschaft habe der Erblasser mit ihm nicht gesprochen. Sie hätten insoweit gar kein Problembewusstsein gehabt.

Mithin sei das notarielle Testament des Erblassers auslegungsbedürftig. Der Erblasser habe die zwischen Testamentserrichtung und Eintritt des Erbfalls eingetretenen Veränderungen weder vorausgesehen noch sonst bedacht. Dies gelte insbesondere für die Tatsache, dass bei einer Alleinerbschaft des im Testament genannten Vereins und heutigen Insolvenzschuldners der Nachlass nicht den Tieren im Tierheim zugutekäme, sondern ausschließlich den Gläubigern des Insolvenzschuldners.

Die vom Nachlassgericht insoweit vorgenommene (ergänzende) Auslegung sei nicht zu beanstanden.

Stehe fest, dass die letztwillige Verfügung angesichts der vom Erblasser damit verfolgten Ziele lückenhaft ist, halte sich auch die ergänzende Testamentsauslegung an den festgestellten Willen des Erblassers und richte sich vorrangig an den in der Verfügung erkennbaren festgelegten Zielen aus. Sie setze voraus, dass aus dem Gesamtbild des Testaments selbst eine Willensrichtung des Erblassers erkennbar ist, die tatsächlich in Richtung der vorgesehenen Ergänzung geht, und beruht damit auf dem Erblasserwillen bei Testamentserrichtung (vgl. Palandt/Weidlich, § 2084, Rn. 9 m.w.N.).

Mit Zuwendungen an juristische Personen wolle der Erblasser regelmäßig nicht die juristische Person um ihrer selbst willen, sondern den Zweck fördern, dem die juristische Person dient. Nehme eine andere juristische Person die Aufgaben der bedachten und nicht (mehr) bestehenden juristischen Person wahr, entspreche es daher in der Regel dem Erblasserwillen, dass sie als Trägerin der zu fördernden Aufgabe Zuwendungsempfängerin sein soll (Staudinger/Otte, § 2084, 13 m.w.N.).

So liege der Fall hier. Zwar sei der ursprünglich im Testament bedachte Verein (noch) nicht erloschen, sondern nur aufgelöst; er nehme aber die Aufgabe, um derentwillen er als Erbe eingesetzt wurde, nicht mehr wahr und dies werde auch zukünftig nicht mehr der Fall sein können. Denn der Abschluss des Insolvenzverfahrens führe - von Sonderfällen abgesehen - in der Regel zum Erlöschen des Vereins (vgl. Palandt/Ellenberger, a. a. O., § 42, 2)

Ohne Erfolg führe der Beteiligte zu 1) an, dass der Beteiligte zu 2) bei Errichtung des Testaments noch nicht existiert habe. Im Rahmen der ergänzenden Testamentsauslegung sei lediglich danach zu fragen, was nach der festzustellenden Willensrichtung des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung als von ihm gewollt anzusehen gewesen wäre, wenn er vorausschauend die spätere Entwicklung bedacht hätte (KG ErbR 2016, 331). Es sei weder erforderlich noch möglich, dass er konkret an einen noch nicht existierenden Begünstigten gedacht hat.

III. Fazit

Aufseiten des Erblassers besteht oftmals der Wunsch, wohltätige Organisationen in seinem Testament zu bedenken. In diesem Zusammenhang kann sich das Problem stellen, dass unklar ist, ob die Organisation auch zum Zeitpunkt des Erbfalls noch besteht. Daneben macht sich der Erblasser, wie im vorliegenden Fall, oftmals keine Gedanken zur Trägerschaft von Einrichtungen.

Die Entscheidung veranschaulicht die in diesem Fall teilweise bestehende Möglichkeit der ergänzenden Testamentsauslegung. Oftmals lässt sich ein dahingehender Wille ermitteln, dass nicht die Organisation an sich, sondern der jeweilige Träger der Aufgabe, die der Erblasser fördern will, bedacht werden soll.


Rezension des Beschlusses des OLG Düsseldorf v. 12.01.2017 - 3 Wx 257/16 „Verein / Alleinerbe / Insolvenz / Testamentsauslegung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.5 Mai 2017, S.280 ff


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