Testament, Auslegung, Vorerbschaft

Amtliche Leitsätze:

  1. Allein aus dem Umstand, dass der Erblasser neben einem eigenen Kind auch das Kind des zweiten Ehegatten zum Nacherben bestimmt hat, lässt sich nicht der sichere Schluss auf eine Befreiung des zum Vorerben bestimmten anderen Ehegatten von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen ziehen. (Rn. 22)
  2. Der im Testament niedergelegte Wunsch des Erblassers, der Vorerbe möge noch lange Leben, ist im Rahmen der Auslegung für sich genommen neutral und lässt nicht den Schluss auf eine Befreiung des Vorerben von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen zu. (Rn. 21 – 26)

OLG München (31. Zivilsenat), Beschluss vom 09.01.2019 - 31 Wx 39/18

BGB §§ 2084, 2100, 2136
FamFG § 8

I. Einführung

Der in zweiter Ehe verheiratete Erblasser ist im Jahr 2016 verstorben. Die erste Ehe endete durch Scheidung. Aus dieser Ehe gingen die Beteiligte zu 2) (= Beschwerdeführerin) und der am Beschwerdeverfahren nicht beteiligte Sohn F. hervor.

Die Beteiligte zu 1) ist die zweite Ehefrau des Erblassers, der Beteiligte zu 3) deren Sohn. Der Erblasser hatte ein Testament errichtet, in dem es auszugsweise heißt:

Ich verfüge als meinen letzten Willen folgendes: Meine Ehefrau soll Alleinerbin werden.

Nach ihrem hoffentlich späten Ableben soll der Besitz an [= Beschwerdeführerin, Kind aus erster Ehe] und [= Beteiligter zu 3, Sohn der neuen Ehefrau] je zur Hälfte übergehen …

Das Nachlassgericht hat einen Erbschein erteilt, der die Beteiligte zu 1) als Vorerbin ausweist, die von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen befreit ist.

Dagegen erhob die Beteiligte zu 2) Beschwerde. Sie ist der Ansicht, es handele sich um eine nicht befreite Vorerbschaft.

Das Nachlassgericht hat die Beschwerde gegen den erteilten Erbschein als Anregung auf Einziehung des Erbscheins behandelt und diese Anregung durch Beschluss abgelehnt. Es stützt seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass nicht nur die leibliche Tochter des Erblassers als Nacherbin bedacht ist, sondern auch der Sohn der zweiten Ehefrau, was dafür spreche, dass die Position der Ehefrau gestärkt werden sollte. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 2).

II. Problem

Die zulässige Beschwerde war nach der Entscheidung des OLG München auch in der Sache erfolgreich.

Im Gegensatz zum Nachlassgericht war das OLG der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Einziehung des Erbscheins gemäß § 2361 BGB vorliegen, weil der Erbschein unrichtig sei.

Im Ausgangspunkt sei das Nachlassgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Erblasser eine Vor- und Nacherbschaft im Sinne der §§ 2100 ff BGB angeordnet hat. Allein der Umstand, dass der Erblasser seine Ehefrau im Testament als Alleinerbin bezeichnet hat, bedinge für sich aber noch keine Auslegung in Richtung einer Vollerbschaft (Staudinger/Avenarius, § 2136 Rn. 18). Aus der Auslegung der weiteren Verfügung werde jedoch deutlich, dass nach dem Tode der Ehefrau die Beteiligten zu 2) und 3) als Nacherben berufen sein sollen, d.h. der Erblasser von einem zweimaligen Anfall der Erbschaft ausging (Gierl in: NK-Erbrecht, § 2100 Rn. 18).

Im Gegensatz zum Nachlassgericht war der Senat jedoch nicht davon überzeugt, dass der Erblasser die Vorerbin als befreite Vorerbin eingesetzt hat.

Der Regelfall der Vorerbschaft sei die nicht befreite Vorerbschaft. Es bedürfe einer Anordnung des Erblassers, wenn er dem Vorerben Verfügungsbefugnisse, die über die vom Gesetz vorgesehenen hinausreichen, einräumen will. Die Befreiung eines Vorerben müsse in der letztwilligen Verfügung, durch die er berufen wird, selbst enthalten sein, eine ausdrückliche Erklärung sei jedoch nicht erforderlich. Es genüge, wenn der dahin gehende Wille des Erblassers im Testament irgendwie, wenn auch nur andeutungsweise oder versteckt, zum Ausdruck kommt. Treffe dies zu, könnten auch sonstige, außerhalb des Testaments liegende Umstände zu dessen Auslegung herangezogen werden (vgl. etwa BGH FamRZ 1970, 192; BayObLG FamRZ 2005, 65, 67; OLG Hamm FamRZ 2011, 1331; Horn/Kroiß, Testamentsauslegung, § 8 Rn. 36).

Aus der bloßen Bezeichnung als Alleinerbe könne nicht der Schluss auf eine Befreiung gezogen werden, vielmehr verhalte sich diese Formulierung neutral im Hinblick auf die Verwaltungsbefugnis (BGH FamRZ 1970, 192; BayObLGZ 1958, 303; BayObLG FamRZ 1984, 1272; Staudinger/Avenarius, a.a.O., Rn. 18).

Auch eine stillschweigende Befreiung sei aber denkbar (BayObLGZ 1960, 432). Sie komme dann in Betracht, wenn der Erblasser wegen Fehlens eigener Abkömmlinge entferntere Verwandte zu Nacherben eingesetzt hat und der Vorerbe wesentlich zum Erwerb des Vermögens des Erblassers beigetragen hat (BayObLGZ 1960, 432).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war der Senat vorliegend nicht davon überzeugt, dass der Erblasser eine Befreiung der Vorerbin angeordnet hat. Eine ausdrückliche Befreiung liege nicht vor. Aber auch im Wege der Auslegung lasse sich eine solche Befreiung nicht mit der für eine Entscheidungsfindung nötigen hinreichenden Sicherheit feststellen.

Der Umstand, dass neben der leiblichen Tochter des Erblassers auch das mit dem Erblasser nicht verwandte Kind der zweiten Ehefrau bedacht wurde, reiche nicht aus, eine Befreiung der Vorerbin von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen anzunehmen.

Zwar sei in der Rechtsprechung die Möglichkeit anerkannt, dass eine Befreiung von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen stillschweigend darin gesehen wird, wenn der Erblasser wegen Fehlens eigener Abkömmlinge entfernte Verwandte als Nacherben eingesetzt hat und der Vorerbe wesentlich zum Erwerb des Vermögens des Erblassers beigetragen hat (BayObLGZ 1960, 432). Eine mit dieser Rechtsprechung vergleichbare Situation liege hier aber nicht vor.

Zum einen habe der Erblasser mit der Berufung seiner leiblichen Tochter jedenfalls eine nahe Angehörige als Nacherbin eingesetzt, was jedenfalls kein Indiz dafür sei, dass der Vorerbe von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen befreit werden sollte.

Zum anderen habe die Vorerbin aber auch keinen (wesentlichen) Beitrag zum Vermögenserwerb des Erblassers beigetragen. Der Nachlass bestehe im Wesentlichen aus einer erst teilweise abbezahlten eigengenutzten Immobilie, die bislang überwiegend aus Mitteln des Erblassers finanziert wurde. Allein die Berufung des mit dem Erblasser nicht verwandten Sohnes der zweiten Ehefrau reiche jedenfalls nicht für eine Überzeugungsbildung in Richtung einer Befreiung der Vorerbin aus.

Gleiches gelte für den im Testament zum Ausdruck gekommenen Wunsch des Erblassers, seine zweite Ehefrau möge möglichst noch lange leben. Der Senat vermag darin kein Indiz in die ein oder andere Richtung erkennen.

Auch im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung lasse sich eine Befreiung nicht mit der nötigen hinreichenden Sicherheit feststellen. Zwar sei die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke möglich, weil die vom Erblasser angeordnete Pflichtteilsentziehung im Hinblick auf den Sohn F. unwirksam gewesen sein dürfte, was der Erblasser möglicherweise bei Errichtung der Verfügung nicht bedacht habe.

Ob eine Weiterentwicklung der Willensrichtung des Erblassers dahin möglich ist, dass er bei Kenntnis dieses Umstandes eine Befreiung der Vorerbin von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen angeordnet hätte, konnte nach Ansicht des Senats im Ergebnis dahinstehen, denn ein entsprechender Wille des Erblassers sei in der Verfügung jedenfalls auch nicht ansatzweise angedeutet, so dass eine ergänzende Testamentsauslegung letztlich nicht in Betracht komme.

III. Fazit

Im Rahmen der Auslegung von letztwilligen Verfügungen bereitet oftmals die Abgrenzung zwischen der Einsetzung als befreiter oder nichtbefreiter Vorerbe eine große Rolle.

Die Entscheidung des OLG München trägt hier insoweit zu einer weiteren Klärung bei, als dass festgehalten wird, dass bloße gute Wünsche in der letztwilligen Verfügung nicht den Schluss zulassen, dass der Erblasser den Begünstigten als befreiten Vorerben einsetzen wollte.

Vergleichbares gilt für die Konstellation, dass der Erblasser neben seinem eigenen Kind auch das Kind des zweiten Ehegatten zum Nacherben bestimmt hat. Dieser Umstand allein lässt für sich noch nicht den sicheren Schluss auf eine Befreiung des zum Vorerben bestimmten anderen Ehegatten zu.

 


Rezension des Beschlusses des OLG München v. 09.01.2019 - 31 Wx 39/18 „Testament / Auslegung / Vorerbschaft", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.5 Mai 2019, S.302 ff


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