Testament; Auslegung; Ersatzerben; Anwachsung
Amtlicher Leitsatz:
Setzt die unverheiratete, kinderlose Erblasserin in einem notariellen Testament (1997) ihre Nichte und ihren Neffen (Kinder ihrer Halbschwester) zu gleichen Teilen als Miterben ein (§ 1), trifft Grabpflegeanordnungen (§ 2) und erklärt, weiter habe sie nichts zu bestimmen (§ 3), so ergibt die Auslegung mangels Anwendbarkeit der Zweifelsregel des § 2069 BGB sowie entsprechender Anhaltspunkte nicht, dass die Erblasserin ihren Neffen „als Ersten seines Stammes“ und demnach bei seinem „Ausfall“ dessen Kinder als Ersatzerben berufen wollte, sondern eine erstrebte Alleinerbenstellung der Nichte infolge Anwachsung (§ 2094 Abs. 1 Satz 1 BGB).
OLG Düsseldorf (3. Zivilsenat), Beschluss vom 12.01.2021 – 3 Wx 132/20
BGB §§ 133, 242, 2069, 2094 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3
I. Einführung
Die Erblasserin war unverheiratet und ohne Abkömmlinge. Sie hatte eine ältere Halbschwester, die zwei Kinder hatte: die Beteiligte zu 1) sowie einen 2011 verstorbenen Sohn E., die Beteiligte zu 2) ist eine von dessen zwei Töchtern.
Im Jahr 1997 errichtete die Erblasserin ein notarielles Testament. In diesem setzte sie in § 1 ihre Nichte (die Beteiligte zu 1)) und ihren Neffen E. zu gleichen Teilen als Miterben ein; nachdem in § 2 einzig Grabpflegeanordnungen getroffen worden waren, hieß es unter § 3, weiter habe die Erblasserin nichts zu bestimmen.
Die Beteiligte zu 1) betrachtete sich nach dem Vorversterben des Neffen E. als Alleinerbin nach der Erblasserin und hat einen dahingehenden Erbscheinsantrag gestellt. Die Beteiligte zu 2) meint, für den Neffen seien nunmehr dessen Abkömmlinge zu Miterben berufen, und trat dem Antrag entgegen.
Durch die angefochtene Entscheidung hat das Amtsgericht den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) für gerechtfertigt erachtet. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 2). Das Amtsgericht hat der Beschwerde der Beteiligten zu 2) nicht abgeholfen und diese dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt.
II. Problem
Das OLG Düsseldorf erachtete die Beschwerde als statthaft und zulässig, aber im Ergebnis als unbegründet. Die Beteiligten zu 1) sei Alleinerbin nach der Erblasserin geworden.
Dem Antrag der Beteiligten zu 1) sei - nur - dann der Erfolg zu versagen, wenn die Beteiligte zu 2) und deren Schwester als Großnichten nach dem Vorversterben ihres Vaters, des Neffen der Erblasserin, statt seiner zu Miterbinnen berufen wären, also die Erblasserin die Anwachsung nach § 2094 Abs. 3 BGB ausgeschlossen habe. Da hierbei die Zweifelsregel des § 2069 BGB weder unmittelbar noch entsprechend eingreife, weil es sich bei den im Testament bedachten Erben nicht um Abkömmlinge der Erblasserin handele, komme es darauf an, ob sich nach allgemeinen erbrechtlichen Auslegungsregeln ein Wille der Erblasserin zum „Nachrücken“ der Kinder des Neffen feststellen lasse. Das wiederum hänge nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen davon ab, ob der Neffe von der Erblasserin um seiner Person willen oder als Erster seines Stammes berufen wurde. Falls sich letzteres ergäbe, erwüchse aus dem sogenannten Andeutungserfordernis keine zusätzliche Auslegungshürde, denn in diesem Fall könne man in der Benennung des Erben selbst die notwendige Andeutung sehen. Indes könne nicht angenommen werden, die Erblasserin habe ihren Neffen E. als Ersten seines Stammes berufen wollen.
Dagegen spreche bereits, dass, hätte die Erblasserin einen Stamm berufen wollen, dies derjenige ihrer Halbschwester gewesen wäre; denn dieser war sie, dem eigenen Vorbringen der Beteiligten zu 2) zufolge, wegen ihr (der Erblasserin) gewährter finanzieller Hilfen zu Dank verpflichtet, wohingegen zu ihren übrigen Geschwistern kein Kontakt bestand. Gerade bei einer Vorstellung der Testierenden von einer Berufung dem Stamme nach sei eine Benennung der Schwester auch problemlos möglich gewesen: Mochte wegen des Unterschieds im Lebensalter auch der Fall wahrscheinlich sein, dass die „Erstberufene“ vorversterbe, träte dann eben das ein, was von der Testierenden beabsichtigt gewesen wäre, nämlich ein Nachrücken ihrer Abkömmlinge, zunächst der ersten Generation, der Nichte und Neffe angehörten, sodann der folgenden Generation, darunter die Beteiligte zu 2) und ihre Schwester. Die Wahl von Nichte und Neffe als benannten Miterben einerseits an der Stelle der Benennung der Halbschwester der Erblasserin, andererseits als einzigen Abkömmling im Stamme der Halbschwester, deute bei Lichte betrachtet gerade dagegen, Nichte und Neffe seien ihrerseits als erste ihres eigenen (!) Stammes berufen worden, und für eine Individualberufung, mag sie auch auf den Wunsch der Schwester erfolgt sein. Zumindest bezüglich der Beteiligten zu 1) werde diese Sicht dadurch bestätigt, dass die Erblasserin ihr eine Bankvollmacht erteilte. Es könne auch nicht etwa die Rede davon sein, die Erblasserin habe bei diesem Verständnis eine der beiden berufenen Personen gegenüber der anderen bevorzugt; dieser Gedanke sei nur nachvollziehbar, wenn man die unzutreffende Auffassung verträte, in einer Anwachsung liege eine Benachteiligung des weggefallenen Miterben. Ob man anders zu entscheiden hätte, wenn die Erblasserin zur Beteiligten zu 2) und deren Schwester eine von persönlicher Nähe getragene Vertrauensbeziehung gehabt hätte, könne auf sich beruhen; denn hierfür würden die eigenen Schilderungen jener Beteiligten nichts hergeben, die lediglich - zunehmend seltenere - Kontakte innerhalb einer Fernbeziehung durch mehrtägige Besuche beschreiben.
Mit alledem stehe § 3 des Testaments in Übereinstimmung. Aus ihm ergebe sich, dass die Erblasserin bei einem „Ausfall“ eines Miterben die Anwachsung beim anderen nach § 2094 Abs. 1 Satz 1 BGB entweder wünschte oder dieser Rechtsfolge mit Gleichgültigkeit gegenüberstand, jedenfalls keinen Ersatzerben berufen wollte. Aus der schriftlichen Bekundung des seinerzeit beurkundenden Notars folge überdies zumindest, dass die allgemeine Annahme, bei einem notariellen Testament werde der Testator vom Notar über die Rechtsfolgen der von ihm formulierten Bestimmungen ebenso belehrt werden wie über etwa verbleibende Regelungslücken, auch im vorliegenden Fall gerechtfertigt sei. Im Ergebnis laufe der Standpunkt der Beteiligten zu 2) faktisch darauf hinaus, dass der Notar, nachdem er die Erblasserin gefragt hatte, was denn sein solle, wenn einer der beiden (berufenen Erben) vor ihr sterbe, und die Erblasserin antwortete, dann sollten dessen Kinder „an der Reihe“ sein, erklärt hätte, dann müsse man nichts weiter in das Testament schreiben, denn das ergebe sich bereits deutlich aus dem bisher Verfügten; dieser Geschehensablauf erscheine kaum vorstellbar.
Bei einer solchen, in sich stimmigen urkundlichen Entfaltung eines Erblasserwillens bedürfe es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, an der festgehalten werde, schon der Darlegung qualifizierter mündlicher Äußerungen eines Erblassers, um gleichwohl eine anderweitige Auslegung des Urkundeninhalts noch in Betracht zu ziehen. Insbesondere sei der nur mündlich bekundete angeblich abweichende Erblasserwille präzise zu beschreiben und konkrete Umstände namhaft zu machen, aufgrund deren der Erblasser sich gehalten sehen musste, sich subjektiv wahrheitsgemäß zu äußern - und nicht etwa, wie nach der Erfahrung des Senats in Erbschaftsangelegenheiten zahlreich vorkommend, „um Ruhe zu haben“, „um sich Ärger zu ersparen“, aus Gleichgültigkeit oder gar zur gezielten Täuschung gegenüber Dritten Unzutreffendes mitzuteilen (so mache etwa die Beteiligte zu 2) selbst geltend, die Beteiligte zu 1) habe sie durch mündliche Erklärungen gezielt hintergangen). Daran fehle es hier hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten zu 2) eindeutig: Wovon „alle Beteiligten in der Familie“ ausgingen, sei ebenso belanglos wie die Rechtslage im österreichischen Erbrecht, erst recht, was die Halbschwester der Erblasserin als Großmutter ihrer Enkelin, der Beteiligten zu 2) gesagt haben mag. Ein Gespräch, in dem die Erblasserin von ihrer Halbschwester eine Finanzierung zu erlangen hoffte, erfülle die vorstehend dargestellten Voraussetzungen jedenfalls nicht. Bei dieser Lage bedürfe es einer Einvernahme der als Zeugen Benannten nicht.
Der Tod des bedachten Neffen und das Unterbleiben einer Testamentsänderung durch die Erblasserin in der Folgezeit seien als Indiz hier - wie regelmäßig - gleichfalls nicht tragfähig, weil sie für sich genommen sowohl den Rückschluss erlauben, die Erblasserin habe die Großnichten bedacht sehen wollen und alles für in diesem Sinne geregelt gehalten, als auch denjenigen, sie habe geglaubt, nun falle alles an die andere Miterbin, als auch denjenigen, ihr sei gleichgültig gewesen, wie sich der Erbgang in seiner einen Hälfte nun entwickele. Eine Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten könne erst getroffen werden, wenn sich die ursprüngliche Willensrichtung der Erblasserin anderweitig feststellen lasse, und dann sei das besagte Indiz praktisch überflüssig.
III. Fazit
Die Entscheidung stellt ein instruktives Beispiel zum Anwendungsbereich der Zweifelsregel des § 2069 BGB dar.
Ist die Regelung weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar, da es sich bei den im Testament bedachten Erben nicht um Abkömmlinge des Erblassers handelt, verbleibt nur die Möglichkeit, dass sich nach allgemeinen erbrechtlichen Auslegungsregeln ein Wille des Erblassers zum „Nachrücken“ der Abkömmlinge feststellen lässt. Entscheidend ist hierbei, ob der testamentarisch eingesetzte Erbe vom Erblasser um seiner Person willen oder als Erster seines Stammes berufen wurde.
Rezension des Beschlusses des OLG Düsseldorf v. 12.01.2021 - 3 Wx 132/20; „Testament / Auslegung / Ersatzerben / Anwachsung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr. 5 Mai 2021, S.276 ff