Rechtswahl; Errichtungsstatut; Europäische Erbrechtsverordnung

Leitsatz:

Zur Wirksamkeit der Wahl des deutschen Errichtungsstatuts in einem Erbvertrag, der von einer nach dem 17. August 2015 verstorbenen deutschen Erblasserin mit einem italienischen Staatsangehörigen vor diesem Stichtag (Art. 83 Abs. 1 EuErbVO) geschlossen worden war.

BGH (IV. Zivilsenat), Beschluss vom 10.07.2019 - IV ZB 22/18

EuErbVO Art. 83 Abs. 1, Abs. 2 Alt. 1, 27 Abs. 1 lit. a) und c), 25 Abs. 3, 22 Abs. 1, Abs. 2; 3 Abs. 1 lit. a) u. d)
BGB  §§ 2276 Abs. 1, 2077 Abs. 2, 2289 Abs. 1 S. 2
FamFG §§ 26, 84

I. Einführung

Die Beteiligten streiten um die Erbfolge nach der im Jahr 2017 verstorbenen Erblasserin.

Diese hat zwei letztwillige Verfügungen hinterlassen, einen notariellen Erbvertrag aus dem Jahr 1998 und ein notarielles Testament aus dem Jahr 2016. Ersteren hatte sie zusammen mit dem Beteiligten zu 1), einem seit 1986 in Deutschland wohnhaften italienischen Staatsangehörigen, mit dem sie in einer Lebensgemeinschaft zusammenlebte, geschlossen. In dem Erbvertrag hatten sich die Vertragsparteien gegenseitig zu Alleinerben und als Erben des Letztversterbenden die gemeinsamen Kinder - die Beteiligten zu 2) und 3) - zu gleichen Teilen eingesetzt. Sie hatten zudem erklärt, dass hinsichtlich aller Regelungen über ihr Erbrecht bzw. als Erbrecht jedes einzelnen ausschließlich das deutsche Erbrecht gelten solle und „als Rechtswahl das deutsche Erbrecht“ vereinbart. In dem späteren Testament - zu diesem Zeitpunkt war die Lebensgemeinschaft mit dem Beteiligten zu 1) beendet - setzte die Erblasserin ihre noch nicht geborenen Enkelkinder als Erben zu gleichen Teilen und für den - eingetretenen - Fall, dass solche zum Todeszeitpunkt noch nicht vorhanden sind, die Beteiligte zu 4) als alleinige Ersatzerbin ein.

Nach dem Tod der Erblasserin beantragte der Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben ausweist. Das spätere Testament sei unwirksam, da es gegen die bindende Erbeinsetzung in dem nach der Europäischen Erbrechtsverordnung zulässigen und materiell wirksamen Erbvertrag verstoße.

Das Nachlassgericht hat die für die antragsgemäße Erbscheinserteilung erforderlichen Tatsachen als festgestellt erachtet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 4) hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beteiligte zu 4) ihr Begehren auf Zurückweisung des Erbscheinsantrags weiter.

II. Problem

Der Bundesgerichtshof erachtete die Beschwerde als statthaft und zulässig, jedoch in der Sache als erfolglos.

Das Beschwerdegericht habe zutreffend angenommen, dass sich aufgrund der von den Vertragsparteien getroffenen Rechtswahl die Erbfolge nach dem zwischen der Erblasserin und dem Beteiligten zu 1) geschlossenen Erbvertrag richtet. Die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 4) in dem späteren notariellen Testament sei gemäß § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, da sie die erbvertragliche Alleinerbenstellung des Beteiligten zu 1) beeinträchtigt.

Das Beschwerdegericht habe die Wirksamkeit der Wahl des deutschen Errichtungsstatuts zu Recht bejaht.

Das für die Rechtsnachfolge der Erblasserin maßgebliche Kollisionsrecht richte sich für den nach dem 17. August 2015 eingetretenen Erbfall nicht nach den zum Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrages geltenden mitgliedstaatlichen Kollisionsnormen, sondern nach den Regelungen der Europäischen Erbrechtsverordnung (Art. 83 Abs. 1 EuErbVO).

Nach der Übergangsbestimmung des Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO sei eine vor dem 17. August 2015 getroffene Rechtswahl wirksam, wenn sie die Voraussetzungen des Kapitels III der Verordnung erfüllt. Dies sei hier der Fall.

Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO erfasse auch Erbverträge, denn die Vorschrift verweist allgemein auf die Voraussetzungen des Kapitels III der Verordnung und damit hinsichtlich der Zulässigkeit, materiellen Wirksamkeit und Bindungswirkung eines Erbvertrages, einschließlich der Voraussetzungen für seine Auflösung, auf Art. 25 Abs. 3 EuErbVO (vgl. BeckOGK-EuErbVO/J. Schmidt, Art. 83 Rn. 10; Burandt/Schmuck in Burandt/Rojahn, Erbrecht 3. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 4; anders im Ansatz MüKo-BGB/Dutta, 7. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 7, der die Wahl des Errichtungsstatuts nach Art. 25 Abs. 3 EuErbVO dem Regelungsbereich des Art. 83 Abs. 3 EuErbVO zuweist, für die Bindungswirkung aber Art. 83 Abs. 2 EuErbVO heranzieht; so auch NK-BGB/Magnus, 3. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 14; Pünder, Gemeinschaftliche Testamente und die EU-Erbrechtsverordnung 2018, S. 322 f.). Dem stehe der Wortlaut der Norm nicht entgegen, da unter „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ im Sinne des Absatzes 2 jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes wegen unter anderem im Wege der gewillkürten Erbfolge durch eine Verfügung von Todes wegen falle (Art. 3 Abs. 1 lit. a) EuErbVO), zu der der Erbvertrag zählt (Art. 3 Abs. 1 lit. d) EuErbVO).

Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 i.V.m. Art. 25 Abs. 3 EuErbVO würden es den Parteien eines Erbvertrages für die Zulässigkeit, die materielle Wirksamkeit und die Bindungswirkungen ihres Erbvertrages, einschließlich der Voraussetzungen für seine Auflösung, gestatten, das Recht zu wählen, das die Person oder eine der Personen, deren Nachlass betroffen ist, nach Art. 22 EuErbVO unter den darin genannten Bedingungen hätten wählen können. Hiernach könne eine Person für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt des Todes angehört (Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 EuErbVO). Art. 25 Abs. 3 EuErbVO erweitere somit den Kreis der wählbaren Rechte und ermöglicht den Vertragsparteien eines mehrseitigen Erbvertrages die einheitliche Wahl des Errichtungsstatuts nach dem Recht des Staates, dem auch nur eine der Vertragsparteien angehört. Demgemäß habe den Vertragsparteien im Streitfall hinsichtlich des Errichtungsstatuts das deutsche Erbrecht als das Recht der Staatsangehörigkeit der Erblasserin (Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 EuErbVO) zur Wahl gestanden, das den Abschluss eines Erbvertrages unter den Voraussetzungen der §§ 2274 ff. BGB grundsätzlich zulasse und diesem im Falle wirksamer Errichtung Bindungswirkung gegenüber einer späteren Verfügung von Todes wegen verleihe, soweit sie - wie hier - das Recht des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigt (§ 2289 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB).

Die Rechtswahl sei auch formwirksam erfolgt, Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 i.V.m. Art. 27 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a) und c), Art. 25 Abs. 3, Art. 22 Abs. 2 EuErbVO i.V.m. § 2276 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Die vertragliche Alleinerbeneinsetzung des Beteiligten zu 1) habe entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht etwa nach § 2279 Abs. 2 i.V.m. § 2077 Abs. 2 BGB ihre Wirksamkeit und Bindungswirkung durch die spätere Beendigung der Lebensgemeinschaft der Vertragsparteien verloren. Die vorstehenden Regelungen des BGB würden auf die Beendigung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft vom Gesetzeswortlaut her schon keine Anwendung finden.

Ohne Erfolg berufe sich die Rechtsbeschwerde schließlich auf den europa- und verfassungsrechtlich anerkannten Grundsatz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot.

Richtig sei allerdings, dass ein weites Verständnis des Anwendungsbereiches des Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO dazu führt, dass - solange der Erbfall am oder nach dem 17. August 2015 eintritt - eine bereits vor dem Geltungsbeginn der Verordnung und dem maßgeblichen Stichtag ihrer Anwendbarkeit getroffene Rechtswahl wirksam werde, wenn sie die Voraussetzungen des Kapitels III der Verordnung erfüllt, auch wenn den Vertragsparteien die Rechtswahl nach dem bis zu diesem Zeitpunkt noch gültigen Kollisionsrecht des Aufenthalts- oder Staatsangehörigkeitsstaats nicht möglich war (vgl. Lechner in Geimer/Schütze, Europäische Erbrechtsverordnung 2016 Art. 83 Rn. 8; MüKo-BGB/Dutta, 7. Aufl. Art. 24 EuErbVO Rn. 19).

Es handele sich jedoch nicht um eine echte, sondern um eine unechte Rückwirkung, da die Verordnung nicht an einen bereits in der Vergangenheit beendeten Sachverhalt anknüpfe, sondern dieser vielmehr erst mit dem Eintritt des Erbfalls seinen Abschluss finde. Dementsprechend entfalte eine vor dem Stichtag getroffene Rechtswahl erst mit dem am oder nach dem 17. August 2015 eintretenden Erbfall ihre Wirkung.

Eine solche Rückwirkung verstoße entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit.

Ziel der Europäischen Erbrechtsverordnung sei es, die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen, denen die Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug nach den autonomen mitgliedstaatlichen Regelungen Schwierigkeiten bereitet, auszuräumen, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes zu erleichtern, den Unionsbürgern zu ermöglichen, ihren Nachlass im Voraus zu regeln und die Rechte der Erben und Vermächtnisnehmer sowie anderer Personen, die dem Erblasser nahestehen, effektiv zu wahren (vgl. Erwägungsgründe 7 und 8 EuErbVO; siehe dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Juni 2018, Oberle, C-20/17, ErbR 2018, 503 Rn. 49).

Vor diesem Hintergrund sollen die Übergangsbestimmungen einer Rechtswahl möglichst zur Wirksamkeit verhelfen und das Vertrauen des Erblassers, der nach dem Stichtag verstirbt, aber bereits zuvor eine Rechtswahl getroffen hat, auf ein bestimmtes materielles Recht schützen (vgl. BeckOGK-EuErbVO/J. Schmidt, Art. 83 Rn. 4; Fucik in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO 2015 Art. 83 Rn. 5; Bauer in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht 2016 Art. 83 EuErbVO Rn. 4; Lechner in Geimer/Schütze, Europäische Erbrechtsverordnung 2016 Art. 83 Rn. 5; MüKo-BGB/Dutta, 7. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 1; NK- BGB/Magnus, 3. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 2, 8; Palandt/Thorn, BGB 78. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 1; Lechner, ZErb 2014, 188, 193 f.; Rudolf, ZfRV 2015, S. 212; Schoppe, IPRax 2014, 27, 28).

Zwar könne dies im Einzelfall dazu führen, dass auch eine zuvor unwirksam getroffene Rechtswahl nach dem Stichtag wirksam und bindend wird. Der europäische Gesetzgeber habe aber in Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO bewusst die Wirksamkeit einer vor dem Stichtag getroffenen Rechtswahl allein davon abhängig gemacht, dass die Voraussetzungen des Kapitels III der Verordnung erfüllt sind. Eine Einschränkung dahingehend, dass dies nur gelten solle, wenn die Rechtswahl zugleich nach altem Kollisionsrecht wirksam war, lasse sich dem Wortlaut hingegen nicht entnehmen. Somit würden nach der gesetzlichen Konzeption des Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO in rechtlicher Unkenntnis erfolgte, zunächst unwirksame Rechtswahlen geheilt. Die Übergangsbestimmungen des Art. 83 EuErbVO seien geprägt von dem Ziel, die Wirksamkeit - früherer - Verfügungen von Todes wegen und Rechtswahlen soweit irgend möglich aufrechtzuerhalten, sie aber gegebenenfalls auch zu heilen.

Gestützt würde dieses Verständnis des Anwendungsbereiches des Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO durch den Sinn und Zweck der Übergangsregelungen, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Vertrauensschutz des Erblassers an den Bestand seiner - wenn auch zum damaligen Zeitraum möglicherweise unwirksamen - Rechtswahl und dem Ziel, der politisch gewollten Gesetzesänderung auch tatsächliche Geltung zu verleihen (vgl. Schoppe, IPRax 2014, 27, 29). Vom Geltungsbereich der Verordnung erfasste Erblasser würden hierdurch nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt, da ihnen der Übergangszeitraum von rund drei Jahren zwischen Inkrafttreten der Europäischen Erbrechtsverordnung und ihrer Geltung in aller Regel ausreichend Zeit geboten habe, ihre Nachlassangelegenheiten an die neue Rechtslage anzupassen (vgl. EuGH, Urteile vom 5. Mai 1981, 112/80, Slg. 1981, 1095 Rn. 50; vom 16. Mai 1979, 84/78, Slg. 1979, 1801 Rn. 20 ff.).

Die Rüge der Rechtsbeschwerde, die vorgenannte Auslegung der Übergangsbestimmungen verletze deutsches Verfassungsrecht, greift schon deshalb nicht durch, weil die unechte Rückwirkung der Europäischen Erbrechtsverordnung auch verfassungsrechtlich unbedenklich ist.

Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV war nach Ansicht des BGH im Streitfall nicht veranlasst, da die richtige Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Bestimmungen der Europäischen Erbrechtsverordnung derart offenkundig sei, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum verbleibe.

III. Fazit

Bei der vorliegenden Entscheidung handelt es sich, soweit ersichtlich, um die erste Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur EuErbVO.

Die Entscheidung stellt, entgegen einer teilweise in der Literatur vertretenen Ansicht, klar, dass Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO auch Erbverträge erfasst.

In der Konsequenz führt dies dazu, dass eine bereits vor dem Geltungsbeginn der EuErbVO getroffene Rechtswahl wirksam wird, wenn sie die Voraussetzungen des Kapitels III der EuErbVO erfüllt. Dies gilt auch dann, wenn den Vertragsparteien die Rechtswahl nach dem bis zu diesem Zeitpunkt noch gültigen Kollisionsrecht des Aufenthalts- oder Staatsangehörigkeitsstaats nicht möglich war.

Die Tatsache, dass dies dazu führen kann, dass eine zuvor unwirksam getroffene Rechtswahl nach dem Stichtag wirksam und bindend wird, verstößt nicht gegen den europa- und verfassungsrechtlich anerkannten Grundsatz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot.


Rezension des Beschlusses des BGH v. 10.07.2019 - IV ZB 22/18 „Rechtswahl / Errichtungsstatut / Europäische Erbrechtsverordnung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.10 Oktober 2019, S.617 ff


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