Pflichtteilsstrafklausel, Eingreifen

Amtlicher Leitsatz:

Eine Pflichtteilsklausel, die auf ein „Verlangen“ des Pflichtteils nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten abstellt, greift nicht bereits dann ein, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Erbenstellung des überlebenden angreift (im Anschluss und in Abgrenzung zu OLG München Beschluss vom 7.4.2011 - 31 Wx 227/10). (Rn. 11 ff.)

OLG München (31. Zivilsenat), Beschluss vom 06.12.2018 - 31 Wx 374/17

BGB §§ 2075, 2094, 2269

I. Einführung

Die Beteiligte zu 1) und der Beteiligte zu 2), der Beschwerdeführer, sind die Abkömmlinge der Erblasserin und deren vorverstorbenen Ehemanns.

Es liegt ein gemeinschaftliches Testament vor, das u.a. folgende letztwillige Verfügungen enthält:

„Wir (…) setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vollerben ein. Schlusserben bei Tod des Überlebenden von uns und Erben von uns beiden im Falle gleichzeitigen Versterbens sind unsere Kinder (…) und (…) zu gleichen Teilen allein Erben!

Verlangt einer unserer Abkömmlinge auf den Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil, so sind er und seine Nachkommen von der Erbfolge auf Ableben des Längerlebenden (Längstlebenden) ausgeschlossen. Ferner erhalten in diesem Falle unser anderes Kind und seine Abkömmlinge aus dem Nachlaß des Erstversterbenden ein Geldvermächtnis in Höhe des Wertes seines gesetzlichen Erbteils auf Ableben des Erstversterbenden, wenn dieser erst beim Tod des Längerlebenden (Längstlebenden) verstorben wäre, berechnet aus dem zum Zeitpunkt des Todes des Längerlebenden noch vorhandenen Nachlass des Erstversterbenden. Diese Vermächtnisse Fallen erst mit dem Tod des Längerlebenden an und nur an zu diesem Zeitpunkt noch lebende Bedachte. (…)“

Die Beteiligte zu 1) hat in dem Nachlassverfahren betreffend den vorverstorbenen Ehemann der Erblasserin beantragt, den der Erblasserin erteilten Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist, einzuziehen. Darin hat sie Einwände gegen die Wirksamkeit des Testaments angebracht (Hinweise auf Auffälligkeiten betreffend die Testamentsurkunde sowie des Vorliegens eines Testierwillens des Erblassers). Das Nachlassgericht hat den Antrag zurückgewiesen.

Die Beteiligte zu 1) beantragte später die Erteilung eines Erbscheins, der sie zusammen mit dem Beteiligten zu 2) aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments der Ehegatten als Miterbin der Erblasserin zu je ½ ausweist. Demgegenüber hat der Beteiligte zu 2) den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins gestellt, dass die Erblasserin von ihm allein beerbt wird. Er ist der Auffassung, dass die Pflichtteilsklausel in dem gemeinschaftlichen Testament der Ehegatten greift, da die Beteiligte zu 1) im Nachlassverfahren betreffend den vorverstorbenen Ehemann durch das Einziehungsverfahren hinsichtlich des der Erblasserin erteilten Alleinerbscheins versucht hat, die Alleinerbenstellung der Erblasserin zu bekämpfen und die Klausel dahingehend ausgelegt werden kann, dass unter „Verlangen“ im Sinne der Pflichtteilsklausel auch ein Bekämpfen der Alleinerbenstellung des überlebenden Ehegattens fällt.

Das Nachlassgericht hat die Voraussetzungen für die Erteilung des von der Beteiligten zu 1) beantragten Erbscheins als festgestellt erachtet, den Antrag des Beteiligten zu 2) hingegen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 2.

II. Problem

Die zulässige Beschwerde hatte in der Sache keinen Erfolg. Der Senat teilte die Auffassung des Nachlassgerichts, dass die Beteiligten zu 1) und 2) Miterben zu je ½ sind.

Zu Recht sei das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die in Ziffer 2) des gemeinschaftlichen Testaments angeordnete Pflichtteilsklausel vorliegend nicht greift und insofern nicht den Wegfall der in Ziffer 1 angeordneten Miterbenstellung der Beteiligten zu 1) bedingt. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers stelle die von der Beteiligten zu 1) im Nachlassverfahren betreffend den vorverstorbenen Ehemann der Erblasserin beantragte Einziehung des der Erblasserin erteilten Erbscheins kein „Verlangen“ im Sinne der von den Ehegatten angeordneten Pflichtteilsklausel dar.

Eine Pflichtteilsklausel, wie sie hier das gemeinschaftliche Testament enthält, sei eine typische letztwillige Anordnung, durch die gemeinschaftlich testierende und sich gegenseitig als Erben, ihre Abkömmlinge als Schlusserben einsetzende Ehegatten sicherstellen wollen, dass dem Überlebenden bis zu seinem Tod der Nachlass ungeschmälert verbleibt und er nicht durch das Pflichtteilsverlangen eines Schlusserben gestört wird (vgl. BayObLGZ 1990, 58/60; 2004, 5/8). Eine derartige Klausel verfolge das rechtlich nicht zu beanstandende Ziel, den Nachlass zunächst dem überlebenden Ehegatten ungeschmälert zukommen zu lassen (vgl. NK-Erbrecht/Gierl, § 2269 Rn. 88). Im Zusammenhang mit der Schlusserbenregelung solle die Verwirkungsklausel auch das Interesse der Ehepartner, insbesondere des Erstversterbenden, daran sichern, dass nicht einer der Abkömmlinge bei der Verteilung des elterlichen Gesamtnachlasses bevorteilt wird (BayObLGZ 1994, 164/168). Diese Zwecke sollen dadurch erreicht werden, dass die Schlusserbeinsetzung der gemeinsamen Kinder unter die auflösende Bedingung eines Verlangens des Pflichtteils nach dem Erstversterbenden gestellt wird. Verlange ein Schlusserbe den Pflichtteil nach dem ersten Todesfall, so entfalle seine Einsetzung als Schlusserbe, und zwar regelmäßig mit Wirkung auch für seine Abkömmlinge (BayObLG NJW-RR 1996, 262). Es gelte dann nicht die Auslegungsregel des § 2069 BGB, vielmehr gelte die Anwachsung (§ 2094 BGB) als gewollt.

Welche konkreten Voraussetzungen für die Verwirklichung der Pflichtteilsausschlussklausel erfüllt sein müssen, hänge im Einzelfall von der Gestaltung bzw. Formulierung und dem Willen der Erblasser ab, der gegebenenfalls im Wege der Auslegung festzustellen sei (BayObLGZ 1990, 58). Insofern könne eine Pflichtteilsklausel auch dann eingreifen, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Unwirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments geltend macht und seinen gesetzlichen Erbteil fordert (OLG München NJW-RR 2011, 1164).

Der Pflichtteilsklausel in dem gemeinschaftlichen Testament könne jedoch nicht die Willensrichtung der Ehegatten entnommen werden, dass bereits die von der Beteiligten zu 1) beantragte Einziehung des zugunsten der Erblasserin erteilten Erbscheins von der Klausel mitumfasst wird.

Nach dem Wortsinn sanktioniere die Formulierung bereits einen ausdrücklichen und ernsthaften, auch außergerichtlichen Versuch, den Pflichtteil zu erhalten, unabhängig davon, ob der Fordernde den Pflichtteil beziffert oder diesen tatsächlich erhält (vgl. näher NK-Erbrecht/Gierl a.a.O. § 2269 Rn. 99).

Diesem könne jedoch nicht der Antrag auf Einziehung des zugunsten der Erblasserin erteilten Erbscheins gleichgestellt werden. Denn damit sei noch kein aktiver Zugriff der Beteiligten zu 1) auf das Nachlassvermögen des Erstversterbenden verbunden, den die von den Ehegatten verwendete Fassung der Klausel („verlangt“) erfordert. Im Hinblick auf diese gewählte Fassung (zu den sonstigen möglichen Auslegungsvarianten vgl. NK-Erbrecht/Gierl a.a.O. § 2269 Rn. 98) genüge es für den Eintritt der Klausel nicht bereits, dass die erstrebte Einziehung des Erbscheins letztendlich auch den Verlust der Alleinerbenstellung der Erblasserin zur Folge haben kann. Wenngleich nach Sinn und Zweck der Klausel sichergestellt werden soll, dass dem überlebenden Ehegatten bis zu seinem Tod der Nachlass ungeschmälert verbleibt, werde mit der Klausel nicht jedes Verhalten eines Schlusserbens gegen die in der letztwilligen Verfügung getroffenen Anordnungen sanktioniert, sondern nur solches, dem ein aktives Verlangen nach Erhalt eines Anteils an dem Nachlassvermögen des Erstversterbenden inne wohnt. Eine Willensrichtung der Ehegatten, die allein das Bestreiten der von den Ehegatten angeordneten Alleinerbenstellung des überlebenden durch ein Verhalten des Schlusserben sanktioniert, mag zwar der Formulierung „wer das Testament anficht“ entnommen werden können (vgl. dazu OLG Dresden NJW-RR 1999, 1165). Für eine solche Willensrichtung würden sich in der von den Ehegatten verwendeten Formulierung der Klausel jedoch keine Anhaltspunkte finden.

Aus der Entscheidung des Senats (OLG München NJW-RR 2011, 1164) ergebe sich nicht Gegenteiliges. Dort erkannte der Senat ein Eingreifen der Pflichtteilsklausel, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Unwirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments geltend macht und seinen gesetzlichen Erbteil fordert. Im Gegensatz dazu habe die Beteiligte zu 1) hier eine solche Forderung aber nicht erhoben.

III. Fazit

Die Entscheidung beschäftigt sich mit dem Eingreifen von Pflichtteilsstrafklauseln und verdeutlicht die besonderen Anforderungen an die präzise Formulierung in letztwilligen Verfügungen.

Die verbreitete Formulierung einer Pflichtteilsklausel, die entscheidend auf ein „Verlangen“ des Pflichtteils nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten abstellt, soll danach nicht bereits dann eingreifen, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Erbenstellung des Überlebenden angreift. Anders kann dies jedoch sein, wenn er zusätzlich seinen gesetzlichen Erbteil verlangt.

In der erbrechtlichen Beratung sollte in der Folge also genau bedacht werden, ob es nicht dem Willen der Testierenden entspricht, die Sanktionswirkung zusätzlich bereits für den Fall anzuordnen, dass der Abkömmling die Stellung des testamentarischen Erben angreift, da auch dies schon mit erheblichen Unannehmlichkeit für den Erben verbunden ist.


Rezension des Beschlusses des OLG München v. 06.12.2018 - 31 Wx 374/17 „Pflichtteilsstrafklausuel / Eingreifen", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.3 März 2019, S.176 ff


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