Pflichtteilsergänzungsanspruch, Schenkung, nichteheliche Lebensgemeinschaft, Nießbrauch

Leitsätze:

  1. Schenkt der Erblasser seiner nichtehelichen Lebensgefährtin ein lebenslanges hälftiges Nießbrauchsrecht an seinem Grundstück, auflösend bedingt durch die Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft auf andere Weise als durch den Tod, so hindert diese Bedingung den Beginn des Fristlaufs gem. § 2325 Abs. 3 BGB nicht (Abgrenzung zu BGHZ 125, 395 und BGHZ 98, 226).
  2. Dass bei Schenkungen an den Ehegatten die Ausschlussfrist nicht vor der Auflösung der Ehe beginnt (§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB), ist auf nichteheliche Lebensgemeinschaften nicht übertragbar (vergleiche BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. April 1990 - 1 BvR 171/90 -, Rn. 6).

LG Kiel, Urteil vom 02.02.2018 - 12 O 82/17

BGB §§ 2311, 2325 Abs. 3 S. 2 u. 3
ZPO § 313
LPartG § 10 Abs. 6 S. 2

I. Einführung

Der Kläger macht einen Pflichtteils(ergänzungs)anspruch geltend. Er ist der Sohn und einziger Abkömmling des Erblassers aus erster Ehe. Die Beklagte ist Alleinerbin und Witwe des Erblassers aus späterer Ehe.

Der Erblasser war Eigentümer eines Reihenhausgrundstücks. Die zunächst noch anderweitig verheiratete und von ihrem Ehemann getrennt lebende Beklagte lebte mit dem Erblasser in dem Reihenhaus zusammen. Da der Erblasser zur See fuhr, kümmerte sich die Beklagte in seiner Abwesenheit um das Grundstück.

Im Jahr 1981 bestellte der Erblasser für die deutlich jüngere Beklagte und sich als Gesamtgläubiger ein lebenslanges unentgeltliches Nießbrauchsrecht an seinem Grundstück, auflösend bedingt durch Beendigung der Lebensgemeinschaft mit der Beklagten auf andere Weise als durch den Tod des Erblassers. In der Bestellungsurkunde heißt es: „Zweck dieses Nießbrauchs ist es, [der Beklagten] den lebenslänglichen Nießbrauch an dem Grundbesitz zu erhalten, wenn ich vor ihr versterbe und die Lebensgemeinschaft mit ihr bis zu meinem Tode bestanden hat.“ Das Nießbrauchsrecht wurde in das Grundbuch eingetragen.

Im Jahr 1982 wurde die Ehe der Beklagten geschieden und im selben Jahr schlossen die Beklagte und der Erblasser die Ehe. Sodann verstarb der Erblasser im Jahr 2014. Alleinerbin wurde die Beklagte.

Die Beklagte zahlte dem Kläger als Pflichtteil 10.000 €. Auf der Grundlage eines Grundstückswerts von 150.000 € forderte der Kläger außergerichtlich weitere Zahlungen. Dem kam die Beklagte nicht in vollem Umfang nach.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das Nachlassgrundstück ohne Berücksichtigung des Nießbrauchsrechts 148.000 € wert war. Streitig ist hingegen, ob und in welcher Höhe das Nießbrauchsrecht den Grundstückswert mindert.

Der Kläger vertritt die Ansicht, da die Beklagte als Rechtsnachfolgerin im Grundstückseigentum selbst nießbrauchsberechtigt sei, mindere das Nießbrauchsrecht den Wert des Grundstücks für sie nicht. Das Nießbrauchsrecht sei durch das gemeinschaftliche Testament der Beklagten und des Erblassers ohnehin obsolet geworden. Hilfsweise stützt der Kläger seine Forderung auf einen Pflichtteilsergänzungsanspruch, weil der Erblasser der Beklagten das Nießbrauchsrecht durch Schenkung eingeräumt habe. Vollzogen worden sei die Schenkung des Erblassers erst mit dessen Tod.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass das Nießbrauchsrecht den Grundstückswert mindere. Es sei der Beklagten nicht geschenkt worden, sondern habe die Wohnmöglichkeit der Beklagten sichern und als Ausgleich für die Haushaltsführung und Grundstückspflege durch diese dienen sollen.

II. Problem

Das LG Kiel entschied, dass der Kläger gegen die Beklagte keinen weiteren Pflichtteilsanspruch hat.

Bei der Berechnung des nach § 2311 BGB für den Pflichtteil maßgeblichen Nachlasswerts sei das Nießbrauchsrecht wertmindernd zu berücksichtigen, auch wenn die Beklagte als Alleinerbin Nießbrauchsberechtigte sei. Der Pflichtteilsberechnung sei der gemeine Wert zu Grunde zu legen, also der Wert, den der Nachlassgegenstand für jeden habe, mithin der Verkehrs- oder Normalverkaufswert (st. Rspr. seit BGHZ 14, 368, 376). Der objektive Verkehrs- oder Normalverkaufswert des Nachlassgrundstücks sei durch das Nießbrauchsrecht der Beklagten drastisch gemindert. Dieses Ergebnis sei auch sachgerecht, da das Nießbrauchsrecht der Beklagten noch zu Lebzeiten des Erblassers eingeräumt worden sei. Vererbt worden sei lediglich ein mit dem Nießbrauchsrecht bereits belastetes Grundstück.

Der Kläger habe gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung aus § 2325 BGB wegen der Einräumung des Nießbrauchsrechts im Jahr 1981. Dass darin eine Schenkung lag, könne zugunsten des Klägers unterstellt werden. Die Schenkung bleibe jedenfalls unberücksichtigt, weil im Zeitpunkt des Erbfalls zehn Jahre seit der Leistung des Gegenstandes verstrichen seien (§ 2325 Abs. 3 S. 2 BGB).

Für die Leistung eines schenkweise eingeräumten Nießbrauchs- oder Wohnungsrechts sei auf die Grundbucheintragung abzustellen (Rösler in: Groll, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, VI. Der Pflichtteil, Rn. 358), welche hier bereits 1982 erfolgt sei.

Dass das Nießbrauchsrecht unter der auflösenden Bedingung einer Beendigung der Lebensgemeinschaft stand, stehe der Annahme der Leistung mit Grundbucheintragung nicht entgegen, da es sich dabei nicht um einen freien Rückforderungsvorbehalt handele (vgl. Palandt-Weidlich, § 2325, Rn. 28). Der Erblasser habe das Nießbrauchsrecht aufgrund der zugrunde liegenden Schenkung als Kausalgeschäft nicht jederzeit wieder aufheben können, sondern hätte es nur durch Auflösung der gesamten Lebensgemeinschaft mit der Beklagten zum Erlöschen bringen können, was nicht als freier Rückforderungsvorbehalt angesehen werden könne.

Behalte sich der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks den Nießbrauch uneingeschränkt vor, gebe er nach der Rechtsprechung den „Genuss“ des verschenkten Gegenstands nicht auf und liege eine Leistung des verschenkten Gegenstands i. S. von § 2325 Absatz 3 Halbs. 1 BGB daher (trotz Umschreibung im Grundbuch) nicht vor (BGHZ 125, 395). Gegenstand dieser Rechtsprechung seien Fälle, in denen sich der Schenker von Grundeigentum ein alleiniges Nießbrauchsrecht vorbehält.

Der vorliegende Fall liege allerdings anders. Der Erblasser habe vorliegend bereits nicht sein Grundstück verschenkt, so dass es zur Bestimmung des Leistungszeitpunkts nicht darauf ankommen könne, ob er den Genuss seines Grundstücks fortan entbehren musste. Anders als in den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen habe der Erblasser nicht ein belastetes (Eigentums-)Recht übertragen, sondern ein unbelastetes Nießbrauchsrecht. Zudem habe sich der Erblasser hier nicht ein alleiniges Nießbrauchsrecht eingeräumt. Nachdem der Nießbrauch der Beklagten und dem Erblasser gemeinschaftlich zustand, habe der Erblasser das Grundstück nicht weiter wie zuvor nutzen können, sondern sei auf eine Mitnutzung beschränkt. Er sei nicht mehr (alleiniger) „Herr im Haus“.

Eine Kontrollüberlegung verdeutliche, warum das Kriterium der vollständigen Aufgabe des „Genusses“ hier keine Anwendung finden könne: Hätte der Erblasser der Beklagten anstelle des Nießbrauchsrechts Miteigentum zu 1/2 eingeräumt, so hätte das eigene Mitbenutzungsrecht des Erblassers einer Leistung gleichfalls nicht entgegengestanden.

Im Fall einer Teilnutzung werde für den Rückbehalt einer den Fristlauf hemmenden wesentlichen Nutzung bezüglich eines Quotennießbrauchs teilweise eine Quote von mehr als 50% zugunsten des Zuwendenden gefordert (Palandt-Weidlich, § 2325 BGB, Rn. 27), die hier nicht überschritten sei. Der Bundesgerichtshof habe zuletzt im Fall eines vorbehaltenen Wohnrechts darauf abgestellt, ob dem Schenker ein weitgehend alleiniges Nutzungsrecht unter Ausschluss des Beschenkten zustehe (BGHZ 211, 38, Rn. 16). Auch dies sei hier nicht der Fall gewesen, denn der Erblasser habe ein Nutzungsrecht nur noch gemeinsam mit der Beklagten.

Die Erwägungen des Bundesgerichtshofs seien auf den vorliegenden Fall auch ihrem Zweck nach nicht übertragbar: Das Ziel des Bundesgerichtshofs, den Pflichtteilsberechtigten vor einer Benachteiligungsabsicht des Erblassers (“bösliche Schenkung“) zu schützen, sei hier erkennbar nicht einschlägig. Es gehe dem Erblasser hier nicht etwa darum, den Grundstückswert missbräuchlich zulasten seines Sohnes zu mindern, sondern um eine Absicherung seiner damaligen Lebensgefährtin für den Fall seines Todes bzw. darum, seine Lebensgefährtin an sich zu binden. Dass der Erblasser selbst durch die nicht frei widerrufliche Einräumung des Nießbrauchsrechts noch längere Zeit hindurch die Folgen seiner Entscheidung zu tragen hatte, biete entsprechend den Erwägungen des Gesetzgebers (zit. bei BGH, Urteil vom 17. September 1986 – IVa ZR 13/85 –, Rn. 15) eine Sicherheit dafür, dass der Erblasser bei der Vornahme der Schenkung sich von guten Gründen und nicht von der Absicht habe leiten lassen, den Pflichtteilsberechtigten zu benachteiligen.

Soweit bei Schenkungen an den Ehegatten die Ausschlussfrist nicht vor der Auflösung der Ehe beginne (§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB), sei diese Bestimmung hier nicht einschlägig. Eine unmittelbare Anwendung scheitere daran, dass der Erblasser nicht seine Ehegattin beschenkte, sondern seine nichteheliche Lebensgefährtin.

In der Rechtsprechung sei die Frage der analogen Anwendung zwar umstritten (Nachweise bei Rösler in: Groll, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, VI. Der Pflichtteil, Rn. 374), jedoch habe bereits das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Schenkungen an einen nichtehelichen Lebenspartner nicht von der Bestimmung erfasst werden und dies auch sachlich gerechtfertigt ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. April 1990 – 1 BvR 171/90 –, Rn. 6).

III. Fazit

Die vorzeitige Übertragung von Grundbesitz an die zukünftigen Erben und der gleichzeitige Vorbehalt eines Nießbrauchs- / Wohnrechts durch den Erblasser ist eine beliebte Gestaltung der Vermögensnachfolge.

Die vorliegende Entscheidung des LG Kiel beschäftigt sich mit dem umgekehrten Fall. Hier hat der Erblasser ein Nießbrauchsrecht übertragen und das Eigentum am Grundstück zunächst für sich behalten. In Abgrenzung zu der Rechtsprechung zur erstgenannten Gestaltung hat das Gericht entschieden, dass, wenn die Übertragung auflösend bedingt durch die Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft auf andere Weise als durch den Tod erfolgt, dies den Fristlauf gem. § 2325 Abs. 3 BGB nicht hindert.

Im Rahmen der Beratung in der Praxis ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese Gestaltung für den Erblasser zu Lebzeiten mit erheblichen Einschränkungen verbunden sein kann.


Rezension des Urteils des LG Kiel v. 02.02.2018 - 12 O 82/17 „Pflichtteilsergänzungsanspruch / Schenkung / Nichteheliche Lebensgemeinschaft / Nießbrauch", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.7 Juli 2018, S.390 ff


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