Pflichtteilsergänzung, § 2325 Abs. 2 S. 3 BGB; Verfassungsmäßigkeit
Redaktioneller Leitsatz:
Die Regelung des § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB ist verfassungsgemäß und verstößt weder gegen Art. 6 I GG noch gegen Art. 3 I GG. Die unterschiedliche Behandlung von Schenkungen an Ehegatten und Schenkungen an Dritte im Rahmen der Pflichtteilsergänzung stellt keine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar.
BVerfG (4. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 26.11.2018 - 1 BvR 1511/14
BGB § 2325 Abs. 3 S. 3
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1
I. Einführung
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB. Nach § 2325 Abs. 1 BGB kann ein Pflichtteilsberechtigter im Falle einer Schenkung des Erblassers an einen Dritten als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. Für eine solche Pflichtteilsergänzung wird eine Schenkung nur innerhalb von zehn Jahren seit der Leistung des verschenkten Gegenstands berücksichtigt, wobei der Schenkungswert jährlich abgeschmolzen wird (§ 2325 Abs. 3 Satz 1 und 2 BGB). Bei einer Schenkung an den Ehegatten beginnt diese Frist gemäß § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB nicht vor Auflösung der Ehe.
Die Beschwerdeführer sind die testamentarischen Erben des Erblassers. Der Erblasser hatte seiner Ehefrau, der Beschwerdeführerin zu 1), mehr als zehn Jahre vor seinem Tod ein mit einem Mietshaus bebautes Grundstück geschenkt. Im Ausgangsverfahren wurden in Anwendung von § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB wegen möglicher Pflichtteilsergänzungsansprüche die nunmehrige Witwe des Erblassers und der gemeinsame Sohn, der Beschwerdeführer zu 2), verurteilt, einem Sohn des Erblassers aus erster Ehe Auskunft über wertbildende Faktoren des Grundstücks zu erteilen. Die entscheidenden Gerichte vertraten die Auffassung, die Vorschrift sei mit der Verfassung vereinbar.
Hingegen waren die Beschwerdeführer der Ansicht, die Norm verletze den Schutz von Ehe und Familie, indem Schenkungen, die mehr als zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers vorgenommen worden seien, nur dann für den Pflichtteilsergänzungsanspruch berücksichtigt würden, wenn der Empfänger der Ehegatte des Erblassers sei. Die Beschwerdeführerin sei als Witwe in ihren Rechten aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG, der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
II. Problem
Die Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen. Sie war nach dessen Ansicht unbegründet. § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB verstößt weder gegen Art. 6 Abs. 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Art. 6 Abs. 1 GG, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, enthalte einen besonderen Gleichheitssatz. Für einen Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG verbleibt daneben kein Raum mehr, wenn nicht eine stärkere sachliche Beziehung zum allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG besteht (vgl. BVerfGE 9, 237, 248 f.; 14, 34, 42; 17, 210, 224; 67, 186, 195 f.; 75, 348, 357; 75, 382, 393).
Art. 6 Abs. 1 GG verbiete, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen (Diskriminierungsverbot, vgl. BVerfGE 28, 104, 112; 76, 1,72; 99, 216, 232; 114, 316, 333). Insbesondere untersage Art. 6 Abs. 1 GG eine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen (vgl. BVerfGE 17, 210, 217; 28, 324, 347; 69, 188, 205 f.; 99, 216, 232; 114, 316, 333). Dieses Benachteiligungsverbot stehe jeder belastenden Differenzierung entgegen, die an die Existenz einer Ehe anknüpft (BVerfGE 99, 216, 232). Die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft könne zwar zum Anknüpfungspunkt wirtschaftlicher Rechtsfolgen gemacht werden (vgl. BVerfGE 6, 55, 76 f.; 24, 104, 109; 28, 324, 347; 114, 316, 333). Jedoch müssten sich für eine Differenzierung zu Lasten Verheirateter aus der Natur des geregelten Lebensverhältnisses einleuchtende Sachgründe ergeben. Die Berücksichtigung der durch die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft gekennzeichneten besonderen Lage der Ehegatten dürfe gerade bei der konkreten Maßnahme die Ehe nicht diskriminieren (vgl. BVerfGE 17, 210, 217, 219 f.; 24, 104, 109; 28, 324, 347; 114, 316, 333; stRspr). Es sei dem Gesetzgeber dabei nicht verwehrt, generalisierend-typisierende Regelungen zu treffen, sofern er den nach Art. 6 Abs. 1 GG geschuldeten besonderen Schutz beachte (vgl. BVerfGE 78, 214, 226 f.; 82, 126, 151 f.; 87, 234, 255 f.; 99, 280, 290).
Auch bei Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG - soweit überhaupt dafür neben Art. 6 Abs. 1 GG hier noch Raum sei - sei die Ungleichbehandlung des Ehegatten zumindest gerechtfertigt.
- 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB bewirke keine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Schenkungen an Ehegatten und Schenkungen an Dritte, insbesondere nichteheliche Lebensgefährten und Kinder, im Rahmen der Pflichtteilsergänzung. Dies gelte auch, soweit der beschenkte Ehegatte selbst dem Pflichtteilsergänzungsanspruch als Schuldner ausgesetzt ist. Der Gesetzgeber habe im Rahmen seines Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums (vgl. BVerfGE 134, 204, 223 f. Rn 70) davon ausgehen dürfen, dass typischerweise bei einer Schenkung an nichteheliche Lebensgefährten und Kinder keine gleichermaßen dauerhafte Erwartung der Weiternutzungsmöglichkeit besteht wie bei Ehegatten (vgl. BVerfG NJW 1991, S. 217). Die wirtschaftliche Verflechtung der Ehegatten und die aus der Ehe resultierenden gegenseitigen Ansprüche könnten zur Grundlage der Ungleichbehandlung von Dritt- und Ehegattenschenkungen gemacht werden.
Zum einen partizipiere der Ehegatte, der durch eine Schenkung oder eine nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB ebenfalls erfasste unbenannte Zuwendung (vgl. BGHZ 116, 167, 170 ff.; BGH NJW 2018, S. 1475, 1476 Rn. 14) Vermögenspositionen überträgt, im Rahmen der gegenseitigen Unterhaltsverpflichtung in der Regel weiterhin an den Nutzungen (§ 100 BGB) des Vermögens. Maßstab der Unterhaltspflicht seien die ehelichen Lebensverhältnisse (vgl. § 1360a, § 1361 Abs. 1, § 1578 Abs. 1 BGB), die sich durch die bloße Vermögensverschiebung zwischen den Ehegatten nicht ändern und an denen die Ehegatten grundsätzlich hälftig partizipieren (vgl. BVerfGE 105, 1, 12).
Eine vergleichbare gegenseitige Unterhaltsverpflichtung bestehe zu Verwandten, das heißt insbesondere Kindern, schon nicht, weil Unterhaltsansprüche gegenüber Kindern zu Unterhaltsansprüchen gegenüber Ehegatten subsidiär seien (vgl. § 1608 Abs. 1 Satz 1 BGB). Auch die Unterhaltsansprüche zwischen nicht miteinander verheirateten Eltern (§ 1615l BGB) würden keine vergleichbare Verpflichtung enthalten, insbesondere nicht an gemeinsame Lebensverhältnisse anknüpfen.
Zum anderen bestehe jedenfalls im Fall des gesetzlichen Güterstands des Zugewinnausgleichs eine wirtschaftliche Verflechtung der Vermögen der Ehegatten durch den Zugewinnausgleich nach §§ 1372 ff. BGB. Da im Wege der Schenkung oder unbenannte Zuwendung übertragenes Vermögen dem Zugewinnausgleich unterfalle (vgl. BGHZ 101, 65, 69 f.), sei die übertragene Vermögensposition dem Vermögen des übertragenden Ehegatten wirtschaftlich nicht vollständig und endgültig entzogen. Dem übertragenden Ehegatten stehe gegebenenfalls im Fall der Auflösung der Ehe durch Scheidung zumindest ein auf teilweisen Ausgleich gerichteter Anspruch zu.
- 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB sorge überdies für einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen dem hinterbliebenen Ehegatten und den sonstigen der Familie des Erblassers zugehörigen Pflichtteilsberechtigten und halte sich auch insoweit innerhalb des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Gestaltungsspielraums (vgl. BVerfGE 67, 329, 340 f.; 112, 332, 355).
Das Pflichtteilsrecht gewährleiste die verfassungsrechtlich geschützte, grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass (vgl. BVerfGE 112, 332, 348). Diese sei als tradiertes Kernelement des deutschen Erbrechts Bestandteil des institutionell verbürgten Gehalts der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 112, 332, 349 f.). Zudem seien die strukturprägenden Merkmale der Nachlassteilhabe von Kindern Ausdruck einer Familiensolidarität, die in grundsätzlich unauflösbarer Weise zwischen dem Erblasser und seinen Kindern bestehe und die ihrerseits von Art. 6 Abs. 1 GG und bei nichtehelichen Kindern zudem von Art. 6 Abs. 5 GG geschützt werde. Das Pflichtteilsrecht knüpfe an die familienrechtlichen Beziehungen zwischen dem Erblasser und seinen Kindern an und übertrage diese Solidarität zwischen den Generationen in den Bereich des Erbrechts. Diese Verpflichtung zur gegenseitigen umfassenden Sorge rechtfertige es, dem Kind mit dem Pflichtteilsrecht auch über den Tod des Erblassers hinaus eine ökonomische Basis aus dem Vermögen des verstorbenen Elternteils zu sichern (vgl. BVerfGE 112, 332, 352 f.).
III. Fazit
Der Entscheidung liegt eine typische Zweitehen-Konstellation zugrunde in der der spätere Erblasser seine erste Ehefrau und sein Kind aus erster Ehe enterbt und seine neue Ehefrau und das Kind aus zweiter Ehe als Erben einsetzt. Der spätere Erblasser hat daneben seiner zweiten Ehefrau oftmals zu Lebzeiten Vermögensgegenstände zugewendet, nicht selten, um die Pflichtteilsansprüche der ersten Ehefrau und der Kinder aus erster Ehe zu mindern.
Die Verfassungsmäßigkeit der hier zentralen Vorschrift des § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB, die zu einer Ungleichbehandlung von Ehe- und Drittschenkungen führt, ist seit langem Gegenstand der Diskussion. Mit seinem Nichtannahmebeschluss sorgt das Bundesverfassungsgericht nun insoweit für Klarheit, als dass es annimmt, dass diese differenzierende Regelung durch die wirtschaftliche Verflechtung der Ehegatten und die aus der Ehe resultierenden gegenseitigen Ansprüche gerechtfertigt sei und sich im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums halte. Das Bundesverfassungsgericht setzt mit seiner Entscheidung seine durchaus pflichtteilsrechtsfreundliche Rechtsprechung fort.
Rezension des Beschlusses des BVerfG v. 26.11.2018 - 1 BvR 1511/14 - KG „Pflichtteilsergänzung / § 2325 Abs. 2 Satz 3 BGB / Verfassungsmäßigkeit", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.5 Mai 2019, S.299 f