Pflichtteil; Stundung
Leitsätze:
- Gemäß § 2331a Abs. 1 BGB kann der Erbe Stundung des Pflichtteils verlangen, wenn die sofortige Erfüllung des gesamten Anspruchs für den Erben wegen der Art der Nachlassgegenstände eine unbillige Härte wäre, insbesondere, wenn sie ihn zur Aufgabe des Familienheims oder zur Veräußerung eines Wirtschaftsguts zwingen würde, dass für den Erben und seine Familie die wirtschaftliche Lebensgrundlage bildet. Die Interessen des Pflichtteilsberechtigten sind angemessen zu berücksichtigen.
- Das Familienheim muss dabei nicht schon zum Zeitpunkt des Erbfalls die Lebensgrundlage bilden.
- Bei der Stundung dürfen nicht nur die Interessen des Erben eine Rolle spielen. Die Interessen des Pflichtteilsberechtigten sind angemessen zu berücksichtigen, da sich im Todesfall sein Anspruch auf Teilhabe am Erbe realisiert.
- Eine Stundung kommt nicht in Betracht, wenn absehbar ist, dass der Erbe auch durch Stundung nicht in die Lage versetzt wird, sich jemals die Mittel zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen.
OLG Rostock (3. Zivilsenat), Teil- und Schlussurteil vom 20.06.2019 - 3 U 32/17
BGB § 2331a Abs. 1
ZPO §§ 97 Abs. 1, 522 Abs. 2, 540 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713
I. Einführung
Die Kläger nehmen als Pflichtteilsberechtigte nach ihrem Vater die Beklagte, die dessen Enkelin und Alleinerbin ist, auf Zahlung in Anspruch. Wesentlicher Vermögenswert des Nachlasses ist ein bebautes Grundstück, das nunmehr durch die Beklagte und ihre Familie zu Wohnzwecken genutzt wird.
Mit ihrer Klage haben die Kläger ihren Pflichtteil aus dem Wert des Grundstücks verlangt. Die Beklagte hat Klageabweisung und hilfsweise Stundung des Pflichtteils beantragt. Das Landgericht hat die Beklagte dazu verurteilt, an die beiden Kläger jeweils 29.500,00 € als Pflichtteil zu zahlen. Den Antrag der Beklagten auf Stundung des Pflichtteils hat es abgewiesen.
Das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat den Beschluss insoweit aufgehoben, als die Berufung der Beklagten gegen die Abweisung ihres Antrags auf Stundung des Pflichtteils zurückgewiesen worden war, und die Sache insoweit an den Senat zurückverwiesen.
Betreffend ihr Stundungsbegehren trägt die Beklagte vor, die Erfüllung der Pflichtteilsansprüche beinhalte eine unbillige Härte für sie, die jetzt mit fünf Kindern das Haus bewohne und aus persönlichen Gründen wohl keinen weiteren Kredit erhalten werde. Die Beklagte bestreitet, dass ein ernsthaftes Kaufangebot vorgelegen habe. Das Haus sei nicht durch einen Verkauf verwertbar gewesen. Dass das Haus nach dem Erbfall leer gestanden habe, sei darauf zurückzuführen, dass die Kläger, durch Stellung eines eigenen Erbscheinsantrages, die Erteilung eines Erbscheins zu Gunsten der Beklagten um fast zwei Jahre verzögert hätten.
Soweit die Kläger die Grundschuldbestellung angesprochen hätten, handele es sich um ein Bauspardarlehen, welches nunmehr angespart werde und nur gegen Vorlage der Baurechnungen ausgezahlt worden sei. Das Haus sei ohne funktionierende Heizungsanlage und Stromkreislauf gewesen. Im ganzen Haus seien auf dem Boden Wasserschäden feststellbar gewesen. Die Beklagte hat in erster Instanz vorgetragen, dass sie mindestens 120.000,00 € investieren müsse, um das Haus überhaupt wieder bewohnbar zu machen. Sie sehe sich nicht in der Lage, derzeit die Forderungen zu erfüllen und könne auch keinerlei Zeitpunkt nennen, zu welchem eine Leistungsfähigkeit gegeben sein könnte. Sie hat weiter erklärt, dass der in der Berufungsinstanz benannte Stundungszeitpunkt darauf abstelle, dass zu diesem Zeitpunkt nach ihrem Dafürhalten die Kinder aus dem Gröbsten heraus seien und dann erweiterte Arbeitsmöglichkeiten bestünden. Ihr Ehemann sei arbeitslos.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des LG abzuändern und ihr eine Stundung der Pflichtteilsansprüche einschließlich Zinsen bis zum 30.06.2024 zu gewähren.
Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Berufung. Sie halten entgegen, es hätten seriöse Kaufangebote vorgelegen. Im Zeitpunkt des Erbfalls und auch noch drei Jahre danach sei die Beklagte Studentin und in R. wohnhaft gewesen. Sie habe zu dieser Zeit auch keine fünf Kinder gehabt. Die Beklagte habe, statt Pflichtteilsansprüche zu erfüllen, in der Folgezeit das Objekt erheblich belastet und von dessen Verkauf abgesehen. Den Stundungsantrag habe die Beklagte erst 2014 gestellt und dabei vorgebracht, dass das Haus unbewohnbar sei.
Die Kläger berufen sich für eine Abwägung der Interessen darauf, dass sie schon betagten Alters seien und ihnen eine Stundung nicht zuzumuten sei. Die Beklagte hingegen habe sowohl im Zeitpunkt des Erbfalls als auch bei Klagerhebung noch in R. gewohnt und offenbar auch noch studiert. Die Klägerin zu 1) sei arbeitslos und werde im Unterhalt von ihrem Ehemann unterstützt. Es sei unrichtig, dass die Klägerin über Geld verfüge und in der Lage sei, auf ihren Pflichtteilsanspruch auch weiterhin zu warten. Sie sei 54 Jahre alt. Der Kläger zu 2) verfüge lediglich über sein Entgelt aus Arbeitseinkommen, habe keine Unterhaltsverpflichtungen und sei derzeit 57 Jahre alt.
II. Problem
Das OLG erachtete die Berufung als zulässig, aber erfolglos.
Gemäß § 2331a Abs. 1 BGB könne der Erbe Stundung des Pflichtteils verlangen, wenn die sofortige Erfüllung des gesamten Anspruchs für den Erben wegen der Art der Nachlassgegenstände eine unbillige Härte wäre, insbesondere, wenn sie ihn zur Aufgabe des Familienheims oder zur Veräußerung eines Wirtschaftsguts zwingen würde, das für den Erben und seine Familie die wirtschaftliche Lebensgrundlage bildet. Die Interessen des Pflichtteilsberechtigten seien angemessen zu berücksichtigen. Zur Überzeugung des Senates überwiege vorliegend das Interesse der Kläger dem Interesse der Beklagten am Behalt des Familienheimes deutlich.
Das Familienheim müsse dabei nicht schon zum Zeitpunkt des Erbfalls die Lebensgrundlage bilden. Es genüge, wenn dies für die Zukunft der Fall ist (Palandt/Weidlich, BGB, 78. Aufl., § 2331a Rn. 2). Daher sei vorliegend nicht schon allein deshalb die Stundung zu versagen, weil die Beklagte 2014, als ihre Erbenstellung feststand, noch nicht in des Nachlassgrundstück ihr Familienheim genommen hatte, sondern dies lediglich beabsichtigte.
Bei der Stundung dürften nicht nur die Interessen des Erben eine Rolle spielen. Die Interessen des Pflichtteilsberechtigten seien angemessen zu berücksichtigen, da sich im Todesfall sein Anspruch auf Teilhabe am Erbe realisiert (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2331a Rn. 3). Dabei könne zu berücksichtigen sein, dass der Erbe durch einen mit allen Mitteln geführten Rechtsstreit bereits eine lange Verzögerung erreicht hat (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2331a Rn. 3). Vorliegend sei somit zu Gunsten der Kläger und zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen, dass die Beklagten bereits 2014 einen unbefristeten Stundungsantrag gestellt hat und im Rahmen dieses Rechtsstreits faktisch auch bereits eine Hinauszögerung ihrer Auszahlungspflicht von ca. fünf Jahren erreicht hat.
Eine Stundung komme auch dann nicht in Betracht, wenn absehbar ist, dass der Erbe - hier die Beklagte - auch durch Stundung nicht in die Lage versetzt wird, sich jemals die Mittel zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2331a Rn. 3). Dafür, dass dies vorliegend der Fall ist, spreche bereits wieder der Umstand, dass sie auch im Berufungsverfahren - und damit noch immer nach fünf Jahren - geltend macht, über keine Mittel zu verfügen, die sie für die Befriedigung der Pflichtteilsansprüche einsetzen könne, da sie nur über Elterngeld bzw. nunmehr wohl die Vergütung für eine Teilzeitbeschäftigung und Kindergeld verfüge, ihr Ehemann arbeitslos sei und ein Bauspardarlehen zu bedienen sei. Dies werde durch ihre Einlassung gestärkt, wonach sie nicht in der Lage sei, einen Zeitpunkt zu benennen, zu dem sie die Pflichtteilsansprüche der Kläger befriedigen könne. Soweit sie meine, dass bis zum 30.06.2024 die Kinder aus dem Gröbsten heraus seien und sie dann eine Leistung für möglich halte, sei dies allein dem Umstand geschuldet, dass der Senat deutlich gemacht habe, dass es eine unbefristete Stundung der Pflichtteilsansprüche nicht geben werde. Dass der nun in den Stundungsantrag aufgenommenen Terminsbenennung inhaltlich ausgefüllte, tatsächlich berechtigte und vor allem realistische Tatsachen und Erwägungen zu Grunde gelegen haben könnten, sei für den Senat in keiner Weise ersichtlich.
Im Rahmen der Interessenabwägung sei auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte 2014 und damit zu dem Zeitpunkt, zu dem ihre Erbenstellung feststand, über ein anderes Familienheim verfügte. Es habe somit keine Notwendigkeit bestanden, ein nach dem Vorbringen der Beklagten noch unbewohnbares Haus wieder bewohnbar zu machen, zumal die Beklagte den erforderlichen Aufwand hierfür selbst mit 120.000,00 € einschätzte. Aufgrund ihrer bereits seinerzeit begrenzten finanziellen Mittel habe ihr bereits zu diesem Zeitpunkt klar sein müssen, dass sie Fremdmittel in diesem Umfang kurzfristig nicht würde mobilisieren können. Stattdessen habe sie jedoch einen Bausparkredit von 46.000,00 € aufgenommen und für Arbeiten an dem nunmehrigen Familienheim aufgewendet, ohne auch nur in Betracht zu ziehen, zunächst berechtigte Ansprüche der Kläger zu befriedigen. Vielmehr sei das Haus erst durch diese Aufwendungen zu dem von § 2331a BGB besonderen Schutz genießenden Gegenstand geworden.
Bei eben jener Abwägung sei weiter zu berücksichtigen, dass die Beklagte, statt sich freiwillig erheblichen Investitionen zu unterwerfen, das Haus hätte zu einem Preis veräußern können, der ihr die Befriedigung der Pflichtteilsansprüche der Kläger unter Selbstbehalt eines erheblichen Geldbetrages ermöglicht hätte. Insoweit sei der Senat nach Vernehmung des Zeugen S. davon überzeugt, dass dieser ein ernsthaftes Kaufangebot von 150.000,00 € unterbreitet habe und sich hieran ausreichende Zeit gebunden gehalten sah.
Schließlich sei das Alter der Kläger zu berücksichtigen. Zum 30.06.2024 wären diese bereits 59 und 62 Jahre alt. Bis zu einem solchen Alter allerdings seine Ansprüche gegen ein Wohnbedürfnis der Beklagten in einem durchaus übergroßen Haus zurückzustellen, sei den Klägern nicht zuzumuten.
In Abwägung der gegenseitigen Interessen vermochte der Senat der Beklagten eine Stundung der Pflichtteilsansprüche der Kläger nicht zuzusprechen.
III. Fazit
Die Entscheidung beschäftigt sich mit der Stundung des Pflichtteils gemäß § 2331a Abs. 1 BGB.
Sie illustriert die in diesem Rahmen notwendige Abwägung zwischen den Interessen der Erben und der der Pflichtteilsberechtigten und deren Gewichtung. Sie zeigt, dass auch die Notwendigkeit der Veräußerung des Familienwohnheims nicht ohne Weiteres die Stundung des Pflichtteils begründen kann.
Für die Beratungspraxis verdeutlicht die Entscheidung die Notwendigkeit, bei der Gestaltung die mögliche Belastung des Erben durch Pflichtteilsansprüche der ausgeschlossenen gesetzlichen Erben zu berücksichtigen. Hierbei ist insbesondere an die Möglichkeit eines Erb-/Pflichtteilsverzicht zu denken, um entsprechenden Auseinandersetzungsstreitigkeiten vorzubeugen.
Rezension des Teil- und Schlussurteils des OLG Rostock v. 20.06.2019 - 3 U 32/17 „Pflichtteil / Stundung" , in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.9 September 2019, S.553 ff