Nachlassverfahren, internationale Zuständigkeit

Leitsatz:

Zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts i.S.v. Art 4 EuErbVO

OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2018 - I-10 W 35/17

EuErbVO Art. 3 Abs. 1 lit. g, Art. 4, Art. 22
IntErbRVG § 34
FamFG § 70 Abs. 2

I. Einführung

Der Erblasser, der die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, ist im Alter von 80 Jahren in Spanien verstorben. Er war in dritter Ehe verheiratet und hatte vier Kinder. Die Antragstellerinnen zu 3) und 4) stammen aus der ersten Ehe des Erblassers, die im Jahr 1984 geschieden wurde. Die Beschwerdeführerinnen zu 1) und 2) sind aus der zweiten, mit einer Spanierin geschlossenen Ehe hervorgegangen, die im Jahr 2003 geschieden wurde. Die dritte Ehe ist kinderlos geblieben. Mit seiner letzten Ehefrau errichtete der Erblasser ein gemeinsames Testament, das er durch notarielle Erklärung aus dem Jahr 2015 widerrief, nachdem er sich von seiner Ehefrau getrennt hatte. Der Erblasser zog aus der ehelichen Wohnung in Deutschland aus und lebte bis zu seinem Tod in Spanien. Am 15.12.2015 hatte er ein handschriftliches Testament errichtet.

Die Beschwerdeführerinnen haben einen gemeinschaftlichen Erbschein beantragt, der sie als Miterben zu je 1/2 ausweist. Das Amtsgericht hat den Antrag unter Hinweis auf fehlende internationale Zuständigkeit abgelehnt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, der Erblasser habe seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt offenbar in Spanien gehabt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beschwerdeführerinnen, die - ebenso wie die Antragstellerin zu 4) - geltend machen, der Erblasser habe seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland gehabt, während die Antragstellerin zu 3) dem entgegen tritt und der Auffassung ist, das Amtsgericht sei international nicht zuständig.

II. Problem

Das OLG Hamm erachtete die Beschwerde als zulässig und begründet.

Auf den Erbfall sei die am 17.8.2015 in Kraft getretene EuErbVO anzuwenden. Gemäß Art. 4 EuErbVO seien für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Entscheidung im Sinne dieser Verordnung seien gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. g EuErbVO jede von einem Gericht eines Mitgliedstaates in einer Erbsache erlassene Entscheidung ungeachtet ihrer Bezeichnung, somit auch ein Erbschein, wie er vorliegend von den Antragstellerinnen begehrt werde.

Der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers könne im vorliegenden Fall entweder in Deutschland oder in Spanien gelegen haben. Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ i.S.d. Art. 4 EuErbVO sei unter Heranziehung der Erwägungsgründe (23) und (24) zu bestimmen. Insoweit sei eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände vorzunehmen, auch unter Berücksichtigung von Dauer und Regelmäßigkeit von Besuchen, der besonders engen Bindung an einen Staat, der Sprachkenntnisse und der Lage des Vermögens (vgl. Palandt/Thorn, Art. 21 EuErbVO). Daraus ergebe sich, dass in Bezug auf den „gewöhnlichen Aufenthalt“ der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person zu verstehen sei, der mittels einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und zum Zeitpunkt des Todes festzustellen sei (Keidel/Zimmermann, FamFG, § 343 Rn. 62; § 34 IntErbRVG Rn. 2 ff.). Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Erblassers sei neben dem objektiven Moment des tatsächlichen Aufenthalts auch ein subjektives Element, nämlich ein Aufenthalts- bzw. Bleibewille, erforderlich. Andernfalls könnten Fragen eines erzwungenen oder willenlosen Aufenthalts nicht zufriedenstellend geklärt werden (Keidel/Zimmermann a.a.O. § 343 Rn. 67). Vorliegend spreche eine weit überwiegende Gesamtheit von Umständen dafür, dass der Erblasser seinen Lebensmittelpunkt im dargestellten Sinne noch in Deutschland gehabt habe, obwohl er sich bis zu seinem Tod in Spanien aufgehalten hat.

Der Senat stellte dabei vor allem auf die tatsächlichen Angaben in dem nur wenige Monate vor dem Tod des Erblassers verfassten Schriftsatz ab. In dem Schriftsatz sei als Anschrift des Erblassers zwar seine spanische Wohnadresse angegeben. Die Angabe sei aber zugleich mit der Einschränkung „derzeit“ versehen, woraus zu schließen sei, dass der Erblasser selbst seinen Aufenthalt in Spanien nicht als endgültig, sondern nur als vorübergehend angesehen habe. In dem Schriftstück sei im Einzelnen geschildert, dass der Erblasser zwar in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts nach Spanien „ausgewandert“ war und auch dort eine Ehe geschlossen hat, aus der die Beschwerdeführerinnen hervorgegangen sind. Nach der Scheidung dieser Ehe sei er jedoch nach Deutschland zurückgekehrt und habe mit seiner dritten Ehefrau eine gemeinsame Ehewohnung in Deutschland erworben. Der Senat verkenne nicht, dass sich der Erblasser im Zuge der Trennung von seiner dritten Ehefrau im Jahr 2015 in Spanien aufgehalten habe. Dies sei naheliegend gewesen, da er die gemeinsame Ehewohnung in Deutschland verlassen habe und eine eigene Wohnung, die ihm in Spanien zur Verfügung stand, habe nehmen wollen. Dennoch habe der Erblasser sich nicht in Deutschland abgemeldet. Auch habe er der Post keinen Nachsendeauftrag erteilt. Das spreche ebenfalls dafür, dass der Erblasser seinen Lebensmittelpunkt nicht nach Spanien verlagert habe. Auch habe er sich nicht in Spanien behandeln lassen, sondern von deutschen Ärzten und in hiesigen Krankenhäusern. Wie aus dem Schreiben des Erblassers eindeutig hervorgehe, habe der Erblasser im Juni 2015 nicht dauerhaft in Spanien bleiben wollen, sondern habe von dort wieder abgeholt werden wollen. Nur weil ihn vorübergehend niemand nach Deutschland zurückfahren habe wollen, sei er notgedrungen solange in Spanien geblieben, bis er sich von seiner Tochter nach Deutschland bringen lassen konnte. Nach einer kurzfristigen Rückkehr in die eheliche Wohnung in Deutschland habe er sodann Kontakt zu seiner Schwester aufgenommen. Dass er im weiteren zeitlichen Verlauf nach Spanien zurückgekehrt und dort letztlich verstorben sei, könne nach alle dem nicht dahingehend gewertet werden, dass er wieder endgültig nach Spanien umsiedeln habe wollen.

III. Fazit

Die Entscheidung des OLG Hamm ist hinsichtlich zweierlei Aspekte interessant. Zum einen zeigt sie in anschaulicher Weise die Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts i.S.v. Art. 4 EuErbVO in der Praxis. Das Gericht stellt hier in besonderem Maße auf eine vom Erblasser als nur vorübergehend verwendete Anschrift und den Ort seiner äztlichen Behandlungen ab. Daneben bejaht es die Notwendigkeit eines subjektiven Elements in Form eines Aufenthalts- bzw. Bleibewillens.

Zum anderen ist erstaunlich, dass das Gericht ohne nähere Begründung oder Diskussion die Vorschriften der EuErbVO für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit für die Erteilung eines deutschen Erbscheins anwendet. Derzeit liegt dies als Vorlagefrage noch beim Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache Oberle (C-20/17) und ist bisher nicht höchstgerichtlich geklärt.  Die Entscheidung des OLG Hamm ist jedoch insofern übereinstimmend mit der Ansicht des Generalanwalts beim EuGH.


Rezension des Beschlusses des OLG Hamm v. 02.01.2018 - 10 W 35/17 „Nachlassverfahren / Internationale Zuständigkeit", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.7 Juli 2018, S.388 f


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