Gemeinschaftliches Testament, Widerruf, Zugang, Tod des Erblassers
Redaktionelle Leitsätze:
- Die Vorschrift des § 130 Abs. 2 BGB findet auch im Erbrecht Anwendung. Danach ist es für die Wirksamkeit einer Willenserklärung ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt.
- Voraussetzung ist, dass der Erklärende alles getan hat, damit die Erklärung dem anderen Teil zugeht und der Zugang der Willenserklärung alsbald nach dem Erbfall erfolgt.
BGB § 130 Abs. 2
I. Einführung
Der Beschwerdeführer war der Ehemann der Erblasserin. Die Eheleute haben im Jahr 2003 ein privatschriftliches gemeinschaftliches wechselseitiges Testament verfasst und dieses sodann in amtliche Verwahrung gegeben. Die Erblasserin hat dieses Testament mit notarieller Urkunde vom 09.11.2016 widerrufen und den Notar angewiesen, den Widerruf dem Beschwerdeführer in Ausfertigung zustellen zu lassen. Mit einem notariellen Testament vom gleichen Tage hat die Erblasserin ihre Geschwister, die Beschwerdegegner, zu ihren Erben eingesetzt.
Ausweislich einer Postzustellungsurkunde wurde eine beglaubigte Abschrift der Widerrufsurkunde dem Beschwerdeführer am 14.11.2016 durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt. Der Notar erteilte wenige Tage nach dem Tode der Erblasserin, am 25.04.2017, einen weiteren Zustellungsauftrag zur Zustellung einer Ausfertigung der Widerrufsurkunde. Die Zustellung an den Beschwerdeführer erfolgte am 29.04.2017, also zwölf Tage nach dem Tode der Erblasserin.
Die Beschwerdegegner haben die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Erben zu je 1/2 nach der Erblasserin ausweist. Sie haben behauptet, der Beschwerdeführer habe bereits vor dem Tode der Erblasserin Kenntnis von dem Widerruf gehabt. Der Beschwerdeführer hat dies bestritten und angegeben, von einer Enterbung nichts gewusst zu haben.
Das Nachlassgericht hat die zur Erteilung des von den Beschwerdegegnern beantragten Erbscheins für festgestellt erachtet.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beschwerdeführer. Er hält die Widerrufserklärung für unwirksam, da sie erst nach dem Tode der Erblasserin auf den Weg gebracht wurde. Hätte er schon vor dem Tode der Erblasserin von dem Widerruf erfahren, hätte er seinerseits umdisponieren können.
II. Problem
Die Beschwerde war nach Ansicht des OLG Oldenburg zulässig, aber nicht begründet. Das Nachlassgericht habe die für die Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen zu Recht für festgestellt erachtet.
Die Beschwerdegegner hätten die Erblasserin aufgrund des Testaments vom 09.11.2016 beerbt. Dieses Testament sei wirksam, da die Erblasserin das gemeinschaftliche wechselseitige Testament vom 28.02.2003 wirksam widerrufen habe.
Der Widerruf sei wirksam geworden, obgleich er dem Beschwerdeführer erst nach dem Tode der Erblasserin zugegangen ist. Nach § 130 Abs. 2 BGB, der auch im Erbrecht Anwendung finde (BGHZ 9, 233 v. 16.04.1953), sei es für die Wirksamkeit einer Willenserklärung ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt. Voraussetzung sei, dass der Erklärende alles getan hat, was von seiner Seite geschehen muss, damit die Erklärung dem anderen Teil zugeht (so schon RGZ 65, 270), die Erklärung also bereits „auf dem Weg“ zum Empfänger ist (BGHZ 48, 374). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs solle es darüber hinaus erforderlich sein, dass der Zugang der Willenserklärung alsbald nach dem Erbfall erfolgt, da ein Interesse des Rechtsverkehrs daran bestehe, Erbrechtsverhältnisse sicher beurteilen zu können und sie nicht auf unbestimmte Zeit auf schwankendem Boden stehen zu lassen (OLG Karlsruhe, ErbR 14, 35). Dies gebiete auch der Vertrauensschutz für den überlebenden Ehegatten, der durch den Widerruf einseitig belastet werde, weil er seinerseits nach dem Tode des Erstversterbenden nicht mehr anderweitig testieren könne. Eine solche einseitige Belastung des überlebenden Ehegatten möge hingenommen werden, so der Bundesgerichtshof, wenn der Widerruf dem überlebenden Ehegatten alsbald nach dem Erbfall zu einem Zeitpunkt zugestellt wird, zu dem unter normalen Umständen mit einer Zustellung noch gerechnet werden kann (BGH a. a. O., Rn. 29, 32). Der zeitliche Abstand zwischen dem Tod und dem Zugang der Willenserklärung dürfe nicht zu groß sein (vgl. OLG Karlsruhe, a. a. O.).
Danach liege hier eine wirksame Widerrufserklärung vor. Die Erblasserin habe den Notar am 09.11.2016 angewiesen, dem Beschwerdeführer ihre Widerrufserklärung zuzustellen. Sie habe damit alles von ihrer Seite her Erforderliche getan. Die Tatsache, dass der Notar zunächst nur für die Zustellung einer beglaubigten Abschrift sorgte, sei ohne Belang. Die Anweisung der Erblasserin sei dadurch nicht etwa „verbraucht“ gewesen. Vielmehr sei die Anweisung bislang nicht vollständig umgesetzt worden. Der Notar habe die Zustellung der Widerrufserklärung binnen 12 Tage und damit „alsbald“ nach dem Tode der Erblasserin bewirkt. Es handele sich um einen zeitlichen Abstand, innerhalb dessen der Beschwerdeführer angesichts normaler Bearbeitungszeiten im Notariat und im Gericht noch damit rechnen müsse, dass ihm eine lebzeitig abgegebene notarielle Willenserklärung der Erblasserin noch zugestellt werden könnte.
III. Fazit
Die Entscheidung beschäftigt sich mit der Konstellation eines Widerrufs eines gemeinschaftlichen Testaments kurz vor dem Tod des Widerrufenden und einem Zugang beim Widerrufsempfänger erst nach dem Tod des Widerrufenden.
Da § 130 Abs. 2 BGB auch im Erbrecht anwendbar ist, ist es in diesen Fällen ausreichend, wenn der den Widerruf Erklärende vor seinem Tod alles Notwendige getan hat, damit der Widerruf beim Empfänger zugeht und der Zugang sodann alsbald nach dem Tod erfolgt. Insofern ist es ausreichend, wenn der Widerrufende einen Notar anweist, die Widerrufserklärung an den Empfänger zuzustellen. Ein Zugang vor dem Erbfall ist hingegen gerade keine zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit des Widerrufs.
Rezension des Beschlusses des OLG Oldenburg v. 19.12.2017 - 3 W 112/17 „Gemeinschaftliches Testament / Widerruf / Zugang / Tod des Erblassers", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.8 August 2018, S.443 f