Gemeinschaftliches Testament / Bindungswirkung / Zuwendungsverzicht

Leitsatz:

Sind in einem gemeinschaftlichen Testament die Kinder als Schlusserben eingesetzt und schließt der überlebende Ehegatte mit einem der Kinder einen entgeltlichen Zuwendungsverzicht mit Erstreckung auf dessen Abkömmlinge, so erstreckt sich die Bindungswirkung der Schlusserbeinsetzung im Zweifel auch auf den Erbteil, der dem anderen Kind infolge des Zuwendungsverzichtes angewachsen ist.

OLG Hamm, Beschluss vom 28.01.2014 - I-15 W 503/14

BGB §§ 2094, 2270

I. Einführung

Aus der Ehe der Erblasserin mit dem bereits vorverstorbenen Ehemann sind drei Kinder hervorgegangen: der Beteiligte zu 1) (D) und seine beiden Schwestern L und M. Die Beteiligte zu 3) ist eine Tochter der M.

Die Eheleute hatten 1980 ein formwirksames Ehegattentestament errichtet und folgende Verfügung getroffen:

Wir setzen uns gegenseitig zum Erben ein.

Als Nacherben und Erben des Überlebenden von uns setzen wir unsere Kinder M und D ein. Unsere Tochter L soll aufgrund ihres antifamiliären Verhaltens nur den gesetzlich festgelegten Erbteil bekommen. Der überlebende Ehegatte ist befreiter Vorerbe.

Des Weiteren enthielt das Testament noch eine Pflichtteilsstrafklausel.

In einer weiteren testamentarischen Ergänzung stellten die Eheleute klar, dass es sich bei dem der Tochter L zugedachten gesetzlich festgelegten Erbteil um den Pflichtteil handelt und L keine Miterbin werden solle.

Nach dem Tod ihres Ehemannes wurde der Erblasserin auf ihren Antrag ein Erbschein als befreite Vorerbin erteilt.

Im Jahre 2001 schloss die Erblasserin mit ihren Kindern D und M einen notariellen Vertrag, in dem die Vertragsbeteiligten erklärten, dass M in der Vergangenheit von der Erblasserin Zahlungen von insgesamt 150.000,00 DM erhalten habe. M wolle daher ihr Nacherbenrecht auf den Beteiligten zu 1) übertragen und aus der gesetzlichen Erbfolge nach der Erblasserin insgesamt ausscheiden sowie auf ihr gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht nach der Erblasserin verzichten. Die Tochter M verstarb 2002.

2013 errichtete die Erblasserin ein handschriftliches Testament, in dem sie die Beteiligten zu 2) und 3) zu ihren Erben bestimmte. Sodann verstarb die Erblasserin.

Der Beteiligte zu 1) hatte beantragt, einen Erbschein zu erteilen, der ihn als Alleinerben nach der Erblasserin ausweist. Die Beteiligten zu 2) und 3) sind der Erteilung des Erbscheins entgegen getreten. Sie vertreten die Ansicht, dass sie die Erben der Erblasserin sind.

Das Nachlassgericht hat in Bezug auf den Antrag des Beteiligten zu 1) die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.

Hiergegen wenden sich die Beteiligten zu 2) und 3) mit ihrer Beschwerde. Das Amtsgericht hat dieser nicht abgeholfen und selbige dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. Problem

Die Beschwerde war zulässig, aber in der Sache erfolglos.

Nach Ansicht des OLG ist der Beteiligte zu 1) auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments in Verbindung mit dem von seiner Schwester M erklärten Zuwendungsverzicht Alleinerbe nach der Erblasserin geworden.

In ihrem gemeinschaftlichen Ehegattentestament haben die Eheleute ihre Kinder D (den Beteiligten zu 1) und M zu Erben des Letztversterbenden berufen.

Die Erbeinsetzung der Tochter M sei dadurch weggefallen, dass diese auf diese testamentarische Berufung verzichtet hat. Die Auslegung dieses Vertrages ergebe, dass der dort vereinbarte entgeltliche Verzicht sich nicht lediglich auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht bezieht, sondern auch die testamentarische Erbeinsetzung in dem Testament umfasst.

M habe in dem mit der Erblasserin und dem Beteiligten zu 1) geschlossenen Vertrag erklärt, dass sie im Hinblick auf von der Erblasserin in der Vergangenheit erhaltene Zahlungen insgesamt aus der Erbfolge nach der Erblasserin ausscheiden will. Der von ihr in dieser notariellen Urkunde erklärte Erbverzicht beziehe sich daher nicht nur auf ein etwaiges gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht, sondern auch auf die allen Vertragsbeteiligten bekannte Einsetzung als hälftige Erbin nach der Erblasserin in dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament. Mit dem von ihr erklärten Zuwendungsverzicht sei M als Erbin weggefallen.

Die Abkömmlinge der Tochter M seien nicht testamentarisch als Ersatzerben berufen. Der Zuwendungsverzicht erstrecke sich auch auf die Abkömmlinge der Tochter M. Die Vorschrift des § 2352 BGB n.F. verweise in ihrem Satz 3 auch auf § 2349 BGB, ordne also dessen entsprechende Anwendung an. Nach der neuen Fassung des § 2352 BGB gelte (abweichend von der alten Rechtslage) mithin, dass sich ein Zuwendungsverzicht grundsätzlich auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt, es sei denn, es ist von den Vertragsparteien des Verzichtsvertrages etwas anderes bestimmt. Die neue Fassung gelte auch für den vorliegenden Fall der Erbfolge nach der 2013 verstorbenen Erblasserin (vgl. Staudinger-Schotten, BGB, § 2352 Rn. 45 und Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, NJW-RR 2014, 1356).

Hier spreche alles dafür, dass eine Erstreckung jedenfalls nicht ausgeschlossen werden sollte, wie sich aus der ausdrücklichen Erwähnung der Erstreckungswirkung beim Verzicht auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht ergebe.

Der Wegfall der testamentarischen Erbeinsetzung der Tochter M mit Erstreckung auf ihre Abkömmlinge führe hier dazu, dass dieser Erbteil dem Beteiligten zu 1) gemäß § 2094 Abs. 1 BGB angewachsen ist. Für einen von den Ehegatten etwa gewollten Ausschluss der Anwachsung (§ 2094 Abs. 3 BGB), der hier nur durch Eintritt der gesetzlichen Erbfolge hinsichtlich dieses Erbteils denkbar wäre, würden sich keine hinreichenden Anhaltspunkte ergeben. Die Ehegatten hätten ihre Erbfolge erkennbar abschließend durch testamentarische Erbeinsetzung unter Ausschluss der gesetzlichen Erbfolge regeln wollen.

Die Erblasserin sei nach dem Tod ihres Ehemannes durch die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments gehindert gewesen, durch eine einseitige letztwillige Verfügung die Rechtsstellung des Beteiligten zu 1) als Alleinerbe zu beeinträchtigen. Die Bindungswirkung erstrecke sich auf den Erbanteil des Beteiligten zu 1) insgesamt, einschließlich des ihm durch den Zuwendungsverzicht angewachsenen Erbanteil, der ursprünglich der Tochter M zugedacht war. Die Einsetzung des Beteiligten zu 1) als Schlusserbe, im Verhältnis zu der Einsetzung der Erblasserin als Vorerbin ihres erstverstorbenen Ehemannes, stehe im dafür nötigen wechselbezüglichen Verhältnis.

Die Wechselbezüglichkeit beziehe sich auf die Schlusserbeinsetzung des Beteiligten zu 1) so wie sie in dem gemeinschaftlichen Testament verfügt worden ist und damit unter Einschluss der bereits dargestellten Anwachsungswirkung, die sich aus dem inneren Gefüge des Testaments insgesamt ergibt. Für den Fall, dass ein Ehegattentestament eine Pflichtteilsstrafklausel enthält und einer von mehreren Abkömmlingen durch ein Pflichtteilsverlangen die auflösende Bedingung seiner Schlusserbeinsetzung herbeiführt, sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass die auf diese Weise begründete Anwachsungswirkung bei den Erbanteilen der übrigen Abkömmlinge an der Bindungswirkung für den überlebenden Ehegatten teilnimmt (BayObLG FGPrax 2004, 82, 84; OLG Hamm FGPrax 2011, 169, 170). Im vorliegenden Fall sei zwar die Anwachsungswirkung nicht durch den Eintritt einer auflösenden Bedingung der Schlusserbeinsetzung entstanden, sondern durch Rechtsgeschäft unter Lebenden zwischen der Erblasserin und der Tochter M. Die für den Zuwendungsverzicht vereinbarte Abfindung spreche jedoch maßgebend dafür, im Rahmen der Testamentsauslegung diese rechtsgeschäftliche Abwicklung mit den Rechtsfolgen eines Pflichtteilsverlangens gleich zu behandeln. Ein Abkömmling, der bereits zu Lebzeiten des überlebenden Ehegatten Vermögenswerte aus dem elterlichen Nachlass erhalten möchte, habe es bei bestehendem Einvernehmen in der Hand, den rechtsgeschäftlichen Weg zu wählen, der zu diesem Ergebnis führt. Für die Bewertung im Rahmen der Testamentsauslegung sei maßgebend, dass ein Ausgleich für die Wertminderung durch die zu Lebzeiten des überlebenden Ehegatten aus dem Nachlass abfließenden Vermögenswerte dadurch stattfindet, dass der weggefallene Erbanteil dem verbleibenden Schlusserben anwächst. Die in dem gemeinschaftlichen Testament angestrebte Verteilungsgerechtigkeit könne deshalb nur dadurch gewährleistet werden, dass der überlebende Ehegatte durch die Bindungswirkung gehindert ist, im Umfang des weggefallenen Erbanteils eine anderweitige letztwillige Verfügung zu errichten, insbesondere den durch Zuwendungsverzicht ausgeschiedenen Abkömmling selbst oder dessen weiteren Abkömmling oder Dritte testamentarisch zu bedenken.

III. Fazit

Erneut hatte sich ein Oberlandesgericht mit der Problematik der Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments zu befassen.

Vorliegend stellte sich die Frage, ob bei einer Anwachsung bei einem der Miterben infolge eines entgeltlichen Zuwendungsverzichts des anderen Miterben auch der angewachsene Teil an der Bindungswirkung teilnimmt.  Die Anwachsung ergab sich hier aus einer Gesamtschau des Testaments und entsprach dem Willen der Erblasser.

Für die Fallkonstellation eines Pflichtteilsverlangens bei einer Pflichtteilsstrafklausel ist anerkannt, dass die vollständige Erbeinsetzung bzgl. des verbleibenden Erben bindend ist. Nichts anderes gilt nach der Entscheidung, wenn der rechtsgeschäftliche Weg gewählt wird und ein Miterbe durch entgeltlichen Zuwendungsverzicht, mit Erstreckung auf dessen Abkömmlinge, als Erbe ausscheidet.


Rezension des Beschlusses des OLG Hamm v. 28.01.2014 - I-15 W 503/14 „Gemeinschaftliches Testament/Bindungswirkung/Zuwendungsverzicht"in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.11 November 2015, S.683 f

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