Gemeinschaftliches Testament, Auslegung, wechselbezügliche Verfügungen, Rechtsanwalt, Verschwiegenheitspflicht, Zeugnisverweigerungsrecht
Leitsätze:
- Zur Bindungswirkung einer wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament bei nicht getroffenem Änderungsvorbehalt (hier: Berufung des gemeinsamen Sohnes) mit dem Tode eines Ehepartners.
- Zur Auslegung der Erklärung „Der Überlebende von uns ist durch dieses Testament nicht beschwert oder beschränkt und kann in jeder Weise frei verfügen.“ (hier im Sinne einer Klarstellung der gegenseitigen Vollerbeneinsetzung, mithin eines Bezuges auf lebzeitige Rechtsgeschäfte).
- Zum auf die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht gegründeten Zeugnisverweigerungsrecht des Rechtsanwalts wegen vorangegangener Beratung des Erblassers in dessen erbrechtlichen Angelegenheiten und den Voraussetzungen einer Entbindung durch die Erben unter Beachtung der höchstpersönlichen Sphäre des Verstorbenen.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.04.2018 - I-3 Wx 202/17
BGB §§ 1922 Abs. 1, 2270 Abs. 1, 2271 Abs. 2 S. 1, 1. Hs., 2289 Abs. 1 S. 2
FamFG § 29 Abs. 2
ZPO §§ 383 Abs. 1 Nr. 6, 385 Abs. 2
I. Einführung
Der Beteiligte zu 2) ist das einzige Kind der Erblasserin und ihres 2005 vorverstorbenen Ehemannes. Die Eheleute hatten ein eigenhändiges gemeinschaftliches Testament errichtet. Dieses enthielt unter anderem folgende Formulierung:
„1) Wir setzen uns gegenseitig zu Alleinerben ein.
2) Der Überlebende von uns ist durch dieses Testament nicht beschwert oder beschränkt und kann in jeder Weise frei verfügen.
3) Sollten wir beide gleichzeitig bzw. einer von uns vorversterben, so soll unser Erbe [der Beteiligte zu 2.] sein. […]
5) Wir ordnen hiermit an, dass [der Beteiligte zu 2.] die Grundbesitzung zu seinen Lebzeiten weder veräußern noch verschenken darf. Sollte der Erbe hiergegen verstoßen, [dessen Tochter, die Enkelin der Eheleute] die Grundbesitzung erhalten. Dies gilt auch für den Fall des versuchten Verstoßes gegen diese Anordnung. Sollte unser Sohn seinen Erbteil bereits beim Tode des Vorversterbenden geltend machen, so erhält er nur seinen Pflichtteil. In diesem Fall wird [die Enkelin] unsere Erbin.“
Mit einem weiteren, nach dem Tod des Ehemanns errichteten, eigenhändigen Testament bestimmte die Erblasserin die Beteiligte zu 1) zu ihrer Alleinerbin und verwies den Beteiligten zu 2) ausdrücklich auf den Pflichtteil.
Unter Berufung auf die spätere letztwillige Verfügung hat die Beteiligte zu 1) einen sie als Alleinerbin nach der Erblasserin ausweisenden Erbschein beantragt. Diesen Antrag hat das Nachlassgericht durch die angefochtene Entscheidung zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 1) mit ihrer Beschwerde, der der Beteiligte zu 2) entgegentritt.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
II. Problem
Der Senat erachtete die Beschwerde als zulässig, aber erfolglos. Zu Recht habe das Nachlassgericht das spätere Testament der Erblasserin wegen Verstoßes gegen die Bindungswirkung einer wechselbezüglichen Verfügung des gemeinschaftlichen Testaments als gemäß § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB analog unwirksam angesehen.
Die Berufung des gemeinsamen Sohnes stelle eine wechselbezügliche Verfügung i.S.v. § 2270 Abs. 1 BGB dar. Dies zeige sich auch daran, dass die Testierenden erkennbar auf die Person des Schlusserben besonderen Wert gelegt hätten, weil sie bei dessen Auswahl offenkundig gezielt auch die Erwartung, der Grundbesitz werde „in der Familie“ bleiben, gehegt hätten, wie die Anordnungen für den Veräußerungs- und Verschenkensfall zeigen.
Mit dem Tode des Ehemannes sei die Schlusserbeneinsetzung des Beteiligten zu 2) nach § 2271 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. BGB bindend geworden. Ein durch die Eheleute getroffener Änderungsvorbehalt sei nicht feststellbar. Ein solcher könne sich allein aus Ziffer 2.) des Testaments ergeben. Diese Verfügung sei auslegungsbedürftig und auslegungsfähig.
Eine solche Formulierung sei zunächst nur als klarstellender Hinweis darauf, der Überlebende solle die volle Stellung eines unbeschränkten Erben haben (Klarstellung der gegenseitigen Vollerbeneinsetzung), zu verstehen, sich mithin auf dessen lebzeitige Rechtsgeschäfte beziehen, zum zweiten Erbgang, der Schlusserbfolge indes nichts besagen. Dies rechtfertige sich aus zwei Erwägungen: Zum einen sei sowohl hinsichtlich der Annahme als auch des Umfangs einer Änderungsbefugnis ein strenger Maßstab anzulegen, da eine solche Befugnis den von Eheleuten mit wechselbezüglichen Verfügungen typischerweise verfolgten Zwecken der Bindung und des Vertrauensschutzes zuwiderlaufe. Zum anderen könnten nur lebzeitige Verfügungen des Überlebenden unmittelbar den Notwendigkeiten seiner Lebensführung dienen, und diesen Lebensunterhalt zu sichern, sei typischerweise ein weiteres Motiv für ein Berliner Testament. Mit anderen Worten müsse deutlich feststellbar sein, dass sich der Vorbehalt gerade (auch) auf die Befugnis zu abweichenden Verfügungen von Todes wegen bezieht.
Dabei sei die Beimessung eines gesteigerten Wertes der wörtlichen Fassung der Klausel im Einzelfall – hier etwa in Form der adverbialen Ergänzung „in jeder Weise“ – zumindest dann fehl am Platze, wenn es sich – wie hier – um eine nicht notariell beurkundete Verfügung von Todes wegen von juristischen Laien handelt. Dies gelte heutzutage umso mehr, als des Öfteren nicht mehr festgestellt werden könne, ob sich ein solcher Testierender nicht „Muster“, „Formulierungshilfen“ oder anderer allgemein zugänglicher Vorgaben bedient hat, ohne zutreffende Vorstellungen von ihrem sachlichen Gehalt entwickelt zu haben.
Umstände, die im gegebenen Fall eine weitergehende Bedeutung der Klausel zur Verfügungsfreiheit auch nur naheliegend erscheinen lassen, seien nicht feststellbar.
Im Gegenteil spreche die Stellung, nämlich im Anschluss an die Regelung des ersten Erbganges (nach dem Erstversterbenden) und gerade nicht nach den Regelungen zur Schlusserbfolge, ebenso für eine Beschränkung auf lebzeitige Verfügungen des Überlebenden.
Für ein erweitertes Verständnis sprechende Umstände außerhalb der letztwilligen Verfügung von Todes wegen seien nicht ersichtlich.
Der nach Aktenlage einzige dahingehende Ermittlungsansatz sei die Einvernahme des Zeugen A gewesen. Dieser Zeuge habe sich jedoch berechtigterweise auf ein ihm zustehendes Zeugnisverweigerungsrecht berufen und deshalb nicht ergiebig bekundet.
Ein Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 29 Abs. 2 FamFG, 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bestehe. Die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht und daher auch dieses Zeugnisverweigerungsrecht umfasse nicht nur solche Tatsachen, die dem zur Verschwiegenheit verpflichteten Zeugen unmittelbar zur Durchführung der vertrauensgeschützten Tätigkeit mitgeteilt worden sind, sondern erstrecke sich auf alles, was dem Anwalt in Ausübung seines Berufs bekannt geworden ist, selbst im Rahmen seiner Tätigkeit erlangtes Zufallswissen (BGH NJW 2011, 1077 f m.w.N.).
Der Zeuge sei Rechtsanwalt. Es möge sein, dass er und die Erblasserin auch persönlich verbunden waren und Gespräche privaten Inhalts führten. Jedenfalls aber habe ihn die Erblasserin in ihren erbrechtlichen Angelegenheiten konsultiert, gerade auch in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt. Das ergebe sich bereits daraus, dass zwischen beiden Personen ausdrücklich beredet wurde, wie sich der Zeuge bei einer etwaigen Einvernahme und namentlich vor Gericht verhalten solle.
Der Zeuge sei nach dem Tode der Erblasserin nicht nach § 385 Abs. 2 ZPO von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden worden. Zum einen könne eine derartige Entbindung nur durch den Erben erfolgen; dies müsse in einem Verfahren der vorliegenden Art, in dem erst festgestellt werden soll, wer Erbe ist, daher wohl durch alle Erbprätendenten geschehen (gebotene Anpassung an das FamFG-Verfahren, vgl. Keidel-Sternal, FamFG, § 30 Rn. 61).
Zum anderen und vor allem aber komme eine Entbindung nur in Betracht, soweit über Tatsachen ausgesagt werden soll, die ausschließlich dem vermögensrechtlichen Bereich zuzuordnen sind, denn lediglich in diesem Umfang könne die vor seinem Tod dem Geschützten zustehende Befreiungsbefugnis nach § 1922 Abs. 1 BGB auf den Erben übergehen. Mit anderen Worten dürfe die Vernehmung die höchstpersönliche Sphäre des Verstorbenen nicht berühren (Sternal a.a.O., Rn. 68 f m.w.N.). Ein reiner Vermögensbezug erscheine bei dem hiesigen Beweisthema eines etwaigen Änderungsvorbehalts aber ausgeschlossen.
Schließlich scheide ein Rückgriff auf einen mutmaßlichen, auf die „Entpflichtung“ des Zeugen gerichteten Willen der Erblasserin aus.
Zwar komme in Erbscheinsverfahren grundsätzlich in Betracht, dass ein zur Verschwiegenheit Verpflichteter unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens eines Erblassers nicht zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt ist. Tragende Erwägung sei hierbei, dass dem Verstorbenen an einer Aufklärung gerade im Hinblick auf die Wirksamkeit der von ihm gewünschten Erbfolge gelegen sein müsste (vgl. Sternal a.a.O., Rn. 69). Im vorliegenden Fall jedoch berufe sich der Zeuge auf den zu Lebzeiten ausdrücklich erklärten Willen der Erblasserin zur Nichtoffenbarung der hier maßgeblichen Tatsachen. Umstände, die diese Berufung als sachlich unzutreffend erscheinen lassen könnten, seien nicht ersichtlich.
III. Fazit
Hinsichtlich der Annahme einer Änderungsbefugnis in einem gemeinschaftlichen Testament verdeutlicht die Entscheidung erneut die hohen Anforderungen an eine dementsprechende Auslegung. Gerade aufgrund des Widerspruchs zur grundsätzlichen wechselbezüglichen Bindung verlangt die Rechtsprechung hier eine deutliche Regelung. Es muss insbesondere klar hervorgehen, dass von der entsprechenden Klausel auch eine später abweichende Testierung erfasst ist.
Daneben zeigt die Entscheidung, dass es bei der erbrechtlichen Beratung auch sinnvoll sein kann, mit dem Erblasser das Zeugnisverweigerungsrecht des Anwalts und eine mögliche Entbindung zu besprechen, um ggf. in einem späteren erbrechtlichen Verfahren auf die Aussage des beratenden Anwalts zurückgreifen zu können.
Rezension des Beschlusses des OLG Düsseldorf v. 20.04.2018 - 3 Wx 202/17 „Gemeinschaftliches Testament / Auslegung / Wechselbezügliche Verfügungen / Rechtsanwalt / Verschwiegenheitspflicht / Zeugnisverweigerungsrecht", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.9 September 2018, S.499 f