EuErbVO, Anwendungsbereich, Zugewinnausgleich, § 1371 BGB

Leitsatz:

Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist dahin auszulegen, dass eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, wonach beim Tod eines Ehegatten ein pauschaler Zugewinnausgleich durch Erhöhung des Erbteils des überlebenden Ehegatten vorzunehmen ist, in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt.

EuGH, Urteil vom 01.03.2018 - C-558/16

AEUV Art. 267
VO (EU) Nr. 650/2012 Art. 1 Abs. 1
BGB §§ 1371 Abs. 1, 1931 Abs. 1

I. Einführung

Die Entscheidung des EuGHs aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1, Art. 67 Abs. 1 und Art. 68 Buchst. l der EuErbVO.

Dieses Ersuchen erging im Rahmen eines Verfahrens über einen von Frau M nach dem Tod ihres Ehemannes gestellten Antrag auf Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses und über die diesen betreffende Erbsache.

Im Jahr 2015 verstarb Herr M. Zum Zeitpunkt seines Todes war er mit Frau M verheiratet. Beide Ehegatten besaßen die deutsche Staatsangehörigkeit und hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin. Die einzigen Erben des Verstorbenen, der keine Verfügung von Todes wegen hinterlassen hatte, waren dessen Ehefrau und der gemeinsame Sohn des Paares.

Die Ehegatten lebten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft und hatten keinen Ehevertrag abgeschlossen. Zum Nachlass des Verstorbenen gehört neben Vermögenswerten in Deutschland auch ein hälftiger Miteigentumsanteil an einem Grundstück in Schweden.

Auf Antrag von Frau M erteilte das für betreffende Erbsache zuständige Amtsgericht Schöneberg einen nationalen Erbschein, wonach die ihn überlebende Ehefrau und der Abkömmling den Erblasser aufgrund der nach deutschem Recht geltenden gesetzlichen Erbfolge den Erblasser jeweils zur Hälfte beerbten. Das vorlegende Gericht führte aus, dass sich der der Ehegattin zugesprochene Erbteil aus der Anwendung des § 1931 Abs. 1 BGB ergebe, wonach der dem überlebenden Ehegatten zustehende gesetzliche Erbteil von einem Viertel um ein Viertel erhöht wird, wenn die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft nach § 1371 Abs. 1 BGB gelebt haben.

Am 16. Juni 2016 beantragte Frau M bei einem Notar auch die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, in dem nach der gesetzlichen Erbfolge des nationalen Rechts ebenfalls sie und ihr Sohn als Miterben je zur Hälfte ausgewiesen sein sollten. Dieses Nachlasszeugnis wollte sie für die Umschreibung ihrer Eigentümerstellung an dem in Schweden gelegenen Grundstück verwenden. Der Notar legte Frau Ms Antrag dem Amtsgericht Schöneberg vor.

Dieses wies den Antrag auf Erteilung des Europäischen Nachlasszeugnisses mit der Begründung zurück, dass das Erbteil der Ehegattin des Verstorbenen, was ein Viertel des Nachlasses angehe, auf erbrechtlichen Bestimmungen beruhe und, was ein anderes Viertel des Nachlasses betreffe, auf der güterrechtlichen Regelung des § 1371 Abs. 1 BGB. Die Vorschrift, aufgrund deren dieses zuletzt genannte Viertel zugesprochen worden sei, gehöre jedoch zum ehelichen Güterrecht und nicht zum Erbrecht. Sie falle daher nicht in den Anwendungsbereich der EuErbVO.

Frau M. legte gegen diese Entscheidung Beschwerde beim Kammergericht ein. Darin hielt sie an ihrem ursprünglichen Antrag fest.

Das vorlegende Gericht führt aus, dass in der deutschen Literatur streitig sei, ob § 1371 Abs. 1 BGB als erbrechtliche oder als güterrechtliche Norm anzusehen sei. Unter diesen Umständen hat das Kammergericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof unter anderem folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Ist Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen, dass sich der Anwendungsbereich der Verordnung („von Todes wegen“) auch auf Bestimmungen des nationalen Rechts bezieht, die, wie § 1371 Abs. 1 BGB, güterrechtliche Fragen nach dem Tod eines Ehegatten durch Erhöhung des gesetzlichen Erbteils des anderen Ehegatten regeln?

Mit seiner Frage wolle das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 1 der EuErbVO dahin auszulegen ist, dass eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, wonach beim Tod eines Ehegatten ein pauschaler Zugewinnausgleich durch Erhöhung des Erbteils des überlebenden Ehegatten vorzunehmen ist, in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt.

II. Problem

Vorab wies der EuGH darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes folge, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müsse (EuGH Urteil vom 18. Oktober 2016, Nikiforidis, C-135/15, EU:C:2016:774, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung), die unter Berücksichtigung nicht nur ihres Wortlauts, sondern auch des Kontexts der Vorschrift und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden müsse (vgl. u. a. EuGH Urteil vom 18. Mai 2017, Hummel Holding, C-617/15, EU:C:2017:390, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Die EuErbVO sei gemäß dem Wortlaut ihres Art. 1 Abs. 1 auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden. In Art. 1 Abs. 2 der Verordnung würden abschließend die Bereiche aufgezählt, die von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen sind; dazu würden gemäß Buchst. d dieser Vorschrift u. a. die „Fragen des ehelichen Güterrechts“ gehören. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a EuErbVO stelle klar, dass die Rechtsnachfolge von Todes wegen „jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes wegen, sei es im Wege der gewillkürten Erbfolge durch eine Verfügung von Todes wegen oder im Wege der gesetzlichen Erbfolge“, umfasse.

Außerdem gehe aus dem neunten Erwägungsgrund der EuErbVO hervor, dass sich ihr Anwendungsbereich auf alle zivilrechtlichen Aspekte der Rechtsnachfolge von Todes wegen erstrecken solle.

Gemäß ihrem siebten Erwägungsgrund solle die EuErbVO die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen bei der Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug ausräumen, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu erleichtern. Insbesondere müssten im europäischen Rechtsraum die Rechte der Erben und Vermächtnisnehmer sowie der anderen Personen, die dem Erblasser nahestehen, und die der Nachlassgläubiger effektiv gewahrt werden.

Hierfür sehe die EuErbVO die Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses vor, das es jedem Erben, Vermächtnisnehmer oder in diesem Zeugnis genannten Rechtsnachfolger ermöglichen müsse, in einem anderen Mitgliedstaat seine Rechtsstellung und seine Erbansprüche nachzuweisen (vgl. in diesem Sinne EuGH Urteil vom 12. Oktober 2017, Kubicka, C-218/16, EU:C:2017:755, Rn. 59).

Zum Kontext der in Rede stehenden Vorschrift sei festzustellen, dass die EuErbVO nach den Erwägungsgründen 11 und 12 nicht für Bereiche des Zivilrechts gelten solle, die nicht die Rechtsnachfolge von Todes wegen betreffen, und insbesondere nicht für Fragen des ehelichen Güterrechts, einschließlich der in einigen Rechtsordnungen vorkommenden Eheverträge, soweit diese keine erbrechtlichen Fragen regeln.

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 78 und 93 seiner Schlussanträge ausgeführt habe, betreffe § 1371 Abs. 1 BGB gemäß den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen nicht die Aufteilung der Vermögenswerte zwischen den Ehegatten, sondern die Rechte des überlebenden Ehegatten an den Gegenständen, die schon zum Nachlassvermögen gezählt werden. Unter diesen Umständen scheine der Hauptzweck der Bestimmung nicht in der Aufteilung des Vermögens oder in der Beendigung des ehelichen Güterstands, sondern vielmehr in der Bestimmung des dem überlebenden Ehegatten im Verhältnis zu den übrigen Erben zufallenden Erbteils zu liegen. Eine solche Vorschrift betreffe daher in erster Linie die Rechtsnachfolge nach dem Tod eines Ehegatten und nicht das eheliche Güterrecht. Folglich beziehe sich eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Erbsachen im Sinne der EuErbVO.

Im Übrigen stehe auch der Anwendungsbereich der Verordnung 2016/1103 einer solchen Auslegung nicht entgegen. Obwohl diese Verordnung erlassen worden sei um – wie aus ihrem 18. Erwägungsgrund hervorgehe – alle zivilrechtlichen Aspekte der ehelichen Güterstände abzudecken, die sowohl die Verwaltung des Vermögens der Ehegatten im Alltag betreffen als auch die güterrechtliche Auseinandersetzung, insbesondere infolge der Trennung des Paares oder des Todes eines Ehegatten, sei „die Rechtsnachfolge nach dem Tod eines Ehegatten“ gemäß ihrem Art. 1 Abs. 2 Buchst. d ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen.

Schließlich könnten, wie der Generalanwalt in Nr. 102 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wenn der dem überlebenden Ehegatten gemäß einer nationalen Bestimmung wie § 1371 Abs. 1 BGB zufallende Anteil dem Erbrecht zugeordnet wird, Angaben zu diesem Anteil in das Europäische Nachlasszeugnis mit allen in Art. 69 EuErbVO genannten Wirkungen aufgenommen werden. Gemäß Art. 69 Abs. 1 EuErbVO entfalte das Europäische Nachlasszeugnis Wirkungen in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf. Nach Art. 69 Abs. 2 werde vermutet, dass die Person, die im Zeugnis als Vermächtnisnehmer genannt ist, die in dem Zeugnis genannte Rechtsstellung und die in dem Zeugnis aufgeführten Rechte hat und dass diese Rechte keinen anderen als den im Zeugnis aufgeführten Bedingungen und/oder Beschränkungen unterliegen (EuGH Urteil vom 12. Oktober 2017, Kubicka, C-218/16, EU:C:2017:755, Rn. 60).

Somit sei festzustellen, dass die Erreichung der mit dem Europäischen Nachlasszeugnis verfolgten Ziele in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erheblich beeinträchtigt werden würde, wenn in diesem Zeugnis nicht alle Informationen betreffend die Ansprüche des überlebenden Ehegatten am Nachlass enthalten wären.

Nach alldem sei die Frage dahingehend zu beantworten, dass Art. 1 Abs. 1 EuErbVO dahin auszulegen ist, dass eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, wonach beim Tod eines Ehegatten ein pauschaler Zugewinnausgleich durch Erhöhung des Erbteils des überlebenden Ehegatten vorzunehmen ist, in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt.

III. Fazit

Im Rahmen der neuen Europäischen Erbrechtsverordnung und deren Anwendungsbereichs stellte sich schon früh die aus dem nationalen Recht bekannte Frage der Einordnung des § 1371 Abs. 1 BGB als erbrechtliche oder güterrechtliche Vorschrift.

Die Einordnung war nicht nach nationalem Begriffsverständnis vorzunehmen, sondern hatte autonom nach Unionsrecht zu erfolgen. Umso erfreulicher ist es, dass diese Frage nun bereits kurz nach Inkraftreten der EuErbVO durch die vorliegende Entscheidung des EuGHs geklärt wurde.

§ 1371 Abs. 1 BGB ist damit im Rahmen der EuErbVO als erbrechtliche Vorschrift aufzufassen und fällt folglich in den Anwendungsbreich der Verordnung. In der Folge kann der dem überlebenden Ehegatten gemäß § 1371 Abs. 1 BGB zufallende Anteil in das Europäische Nachlasszeugnis aufgenommen werden.


Rezension des Urteils des FG EuGH v. 01.03.2018 - C-558/16 „EuErbVO / Anwendungsbereich / Zugewinnausgleich / § 1371 BGB", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.5 Mai 2018, S.276 ff


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