Erbschaft, Ausschlagung, Frist, Auslandsaufenthalt

Amtlicher Leitsatz:

Ein Auslandsaufenthalt im Sinne des § 1944 Abs. 3 BGB liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn sich einer der beiden gesetzlichen Vertreter eines minderjährigen Erben bei dem Beginn der Frist lediglich für einige Stunden zu einem Tagesausflug im Ausland aufhält und planmäßig noch am selben Tag an seinen Wohnort im Inland zurückkehrt. (Rn. 18)

BGH (IV. Zivilsenat), Beschluss vom 16.01.2019 - IV ZB 20/18

BGB § 1944 Abs. 3

I. Einführung

Die Beteiligten streiten um die Erbfolge nach der im Jahr 2016 verstorbenen Erblasserin. Aus der Ehe mit ihrem bereits vorverstorbenen Ehemann sind zwei Söhne, die Beteiligten zu 1) und 2), hervorgegangen. Der Beteiligte zu 2) ist Vater des Beteiligten zu 4) und des minderjährigen Beteiligten zu 5). Die Erblasserin hatte ein handschriftliches Testament errichtet, das auszugsweise wie folgt lautet:

Ich setze meine beiden Söhne … je zur Hälfte als meine Vorerben ein. Der Nacherbfall tritt jeweils beim Tod eines Vorerben ein. Zu Nacherben meines Sohnes H. bestimme ich zu gleichen Teilen meine Enkelkinder … [Beteiligte zu 4) und 5)]. Zu Nacherben meines Sohnes I. bestimme ich ebenfalls zu gleichen Teilen meine Enkelkinder …, jedoch nur, wenn I. bei seinem Ableben unverheiratet oder kinderlos ist. Dann sollen seine gesetzlichen Erben seine Nacherben sein. Die Nacherben sind zugleich die Ersatzerben. ….

Das Testament wurde am 28. Dezember 2016 durch das Nachlassgericht eröffnet. Am selben Tag wurde die Übersendung einer Testamentsabschrift an die Beteiligten zu 1) und 2) verfügt. Am 19. Januar 2017 wurden auch den Nacherben Abschriften des Testaments übersandt.

Mit notarieller Urkunde vom 7. Februar 2017 schlugen die Beteiligten zu 1) und 2) die Erbschaft nach der Erblasserin als durch Testament eingesetzte Vorerben aus. Die Ausschlagung erfolgte unter Berufung auf § 2306 Abs. 1 BGB. Die Beteiligten zu 1) und 2) wiesen ferner darauf hin, dass sich ihre Ausschlagung nur auf den Berufungsgrund als testamentarisch eingesetzte Vorerben beziehe und sie für den Fall, dass sie jetzt oder später als gesetzliche Erben berufen würden, die Erbschaft annähmen. Mit notarieller Urkunde vom 23. Februar 2017 schlug der Beteiligte zu 4) die Erbschaft nach der Erblasserin als durch Testament eingesetzter Nacherbe und zugleich auch als Ersatzerbe und somit Vollerbe aus allen in Betracht kommenden Berufungsgründen ohne jede Bedingung aus. Mit Schreiben vom 16. März 2017 an den Beteiligten zu 2) sowie seine Ehefrau wies das Nachlassgericht diese darauf hin, dass nach der Ausschlagung der Erbschaft durch die Vorerben diese dem Beteiligten zu 5) angefallen sein dürfte. Mit Urkunde vom 6. September 2017 schlugen der Beteiligte zu 2) und seine Ehefrau als gesetzliche Vertreter des Beteiligten zu 5) die Erbschaft nach der Erblasserin als durch Testament eingesetzter Nacherbe und zugleich auch als Ersatzerbe und somit Vollerbe aus allen in Betracht kommenden Berufungsgründen ohne jede Bedingung aus. Nach Eintritt seiner Volljährigkeit genehmigte der Beteiligte zu 5) am 17. Oktober 2017 diese Erbausschlagung.

Am 26. Oktober 2017 beantragten die Beteiligten zu 1) und 2) die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins auf der Grundlage gesetzlicher Erbfolge, da die testamentarischen Erben sämtlich die Ausschlagung erklärt hätten.

Die Beteiligten zu 1) und 2) sind der Auffassung, der Beteiligte zu 5 habe die Erbschaft fristgerecht ausgeschlagen. Sie hätten sich am 18. März 2017 zusammen mit dem Beteiligten zu 5) zu einem Tagesausflug in Dänemark befunden, als die Mitteilung des Nachlassgerichts über die Ausschlagung der Vorerben zu Hause per Post angekommen und von der Mutter des Beteiligten zu 5) entgegengenommen worden sei, die den Beteiligten zu 2) daraufhin in Dänemark telefonisch unterrichtet habe. Noch am selben Tag seien die Beteiligten zu 1), 2) und 5) wie geplant nach Deutschland zurückgekehrt. Die Beteiligten zu 1) und 2) vertreten die Auffassung, für die Ausschlagung des Beteiligten zu 5) gelte die Sechsmonatsfrist des § 1944 Abs. 3 BGB, so dass gesetzliche Erbfolge eingetreten sei.

Das Nachlassgericht hat die zur Begründung des Antrags auf Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Auf die Beschwerden des Beteiligten zu 3) hat das Oberlandesgericht den Antrag der Beteiligten zu 1) und 2) auf Erteilung eines Erbscheins zurückgewiesen. Mit den durch das Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beteiligte zu 1) seine zuletzt gestellten Anträge weiter.

II. Problem

Die zulässige Rechtsbeschwerde hatte nach der Entscheidung des BGH keinen Erfolg.

Der BGH führt hierzu aus, dass das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, dass der Erbscheinantrag der Beteiligten zu 1) und 2) unbegründet ist, weil infolge der unwirksamen Erbausschlagung durch den Beteiligten zu 5 als Nacherben/Ersatzerben keine gesetzliche Erbfolge eingetreten sei.

Gemäß § 1944 Abs. 1 BGB könne die Ausschlagung nur binnen sechs Wochen erfolgen. Die Frist beginne mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grund der Berufung Kenntnis erlangt (§ 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB). Sei der Erbe durch Verfügung von Todes wegen berufen, beginne die Frist nicht vor Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen durch das Nachlassgericht (§ 1944 Abs. 2 Satz 2 BGB). Die Frist betrage sechs Monate, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland gehabt hat oder wenn sich der Erbe bei dem Beginn der Frist im Ausland aufhält (§ 1944 Abs. 3 BGB). Kenntnis setze ein zuverlässiges Erfahren der maßgeblichen Umstände voraus, aufgrund dessen ein Handeln erwartet werden kann. Ein Irrtum im Bereich der Tatsachen könne eine Kenntnis in diesem Sinne ebenso verhindern wie eine irrige rechtliche Beurteilung, wenn deren Gründe nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind (BGH ZEV 2000, 401).

Bei einem minderjährigen Erben - wie hier dem Beteiligten zu 5) im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Schreibens des Nachlassgerichts vom 16. März 2017 - komme es nicht auf dessen Kenntnis, sondern auf die des gesetzlichen Vertreters an. Die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft beginne in diesen Fällen erst mit dem Zeitpunkt, zu dem der letzte der gesetzlichen Vertreter erstmals Kenntnis von dem Anfall und dem Grund der Berufung erlangt hat (OLG Frankfurt ZEV 2013, 196, 197 f.; MüKo-BGB/Leipold, § 1944 Rn. 15; a.A. Soergel/Stein, § 1944 Rn. 12). Da auch die Ausschlagung der Erbschaft nur durch beide gesetzliche Vertreter gemeinsam erfolgen , sei es sachgerecht, den Zeitpunkt für den Beginn der Ausschlagungsfrist einheitlich festzusetzen. Nur so könne vermieden werden, dass etwaige Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Eltern zu Lasten des Minderjährigen gehen. Diese Grundsätze habe das Beschwerdegericht seiner Entscheidung rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt.

Das Beschwerdegericht habe rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt, dass der Aufenthalt des Beteiligten zu 2) für einige Stunden am 18. März 2017 in Dänemark nicht die Anwendung des § 1944 Abs. 3 BGB zur Folge hat. Die Verlängerung der Ausschlagungsfrist von sechs Wochen auf sechs Monate bei letztem Wohnsitz des Erblassers im Ausland oder Aufenthalt des Erben im Ausland soll den besonderen Schwierigkeiten Rechnung tragen, die in derartigen Fällen bei Klärung der Frage entstehen können, ob die Erbschaft angenommen oder ausgeschlagen werden soll (vgl. OLG Frankfurt ZEV 2013, 196, 198; Soergel/Stein, § 1944 Rn. 4). Bei minderjährigen Erben komme es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht auf deren Auslandsaufenthalt, sondern auf den des gesetzlichen Vertreters an (Soergel/Stein aaO; Staudinger/Otte, § 1944 Rn. 5; MüKo-BGB/Leipold, § 1944 Rn. 29). Halte sich - wie hier - im maßgeblichen Zeitpunkt nur einer der beiden gesetzlichen Vertreter im Ausland auf, so genügt bereits dies für die Anwendung des § 1944 Abs. 3 BGB (Staudinger/ Otte aaO; Soergel/Stein aaO; MüKo-BGB/Leipold aaO). Das ergebe sich unter Berücksichtigung der bereits beim Auslandsaufenthalt eines gesetzlichen Vertreters erschwerten Kommunikation sowie eines längeren Willensbildungsprozesses bei der Prüfung der Frage, ob die Erbschaft angenommen oder ausgeschlagen werden soll.

Was unter den Begriff des Aufenthalts im Sinne von § 1944 Abs. 3 BGB zu fassen ist, werde nicht einheitlich beurteilt (vgl. FAKomm-Erbrecht/Schlünder, § 1944 Rn. 1; Soergel/Stein, § 1944 Rn. 4; MüKo-BGB/Leipold, § 1944 Rn. 29; Staudinger/Otte, § 1944 Rn. 5; Hönninger in jurisPK-BGB, § 1944 Rn. 13; NK-BGB/Ivo, § 1944 Rn. 22).

Maßgebend für den Begriff des Aufenthalts im Sinne von § 1944 Abs. 3 BGB sei einerseits das Verhältnis zu anderen vergleichbaren Begrifflichkeiten sowie andererseits Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Das Gesetz stelle in § 1944 Abs. 3 BGB beim Erblasser auf dessen letzten Wohnsitz im Ausland ab, beim Erben dagegen nur auf den Aufenthalt. Der Begriff des Aufenthalts unterscheide sich vom Wohnsitz dadurch, dass der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, nicht erforderlich ist (Soergel/Fahse, Vor § 7 Rn. 16; Staudinger/Kannowski, Vorbem. zu §§ 7-11 Rn. 2). Auf dieser Grundlage sei weitgehend anerkannt, dass für den schlichten Aufenthalt ein tatsächliches Verweilen an einem bestimmten Ort mit einer gewissen Verweildauer genügt. Ausgehend hiervon sei der Begriff des Aufenthalts im Sinne von § 1944 Abs. 3 BGB sodann nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu bestimmen. Diese wolle den Kommunikationsproblemen Rechnung tragen, die sich für den Erben ergeben, wenn er sich im Zeitpunkt des Fristbeginns im Ausland aufhält, er also die maßgeblichen Informationen über den Erbfall und dessen tatsächliche sowie rechtliche Auswirkungen nur unter besonderen Schwierigkeiten erlangen kann.

Das Beschwerdegericht habe auf dieser Grundlage rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Tagesausflug des Beteiligten zu 2) am 18. März 2017 nach Dänemark nicht genügt, um die längere Frist des § 1944 Abs. 3 BGB in Gang zu setzen. Jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, bei dem der gesetzliche Vertreter des Erben lediglich einen geplanten Ausflug für einige Stunden in das unmittelbar benachbarte Ausland - hier von Nordfriesland nach Dänemark - unternommen hat, um sodann noch am selben Tag - wie ebenfalls geplant - wieder nach Deutschland zurückzukehren, bestehe für die verlängerte Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 3 BGB keine Rechtfertigung. Es sei nicht ersichtlich und werde auch nicht nachvollziehbar dargelegt, welche besonderen Kommunikationsschwierigkeiten es hier zwischen dem Beteiligten zu 2) und seiner Ehefrau als weiterer gesetzlicher Vertreterin des Beteiligten zu 5) bei der Entscheidung gegeben hat, ob sie die Erbschaft auch für den Beteiligten zu 5) ausschlagen oder nicht. Hierfür habe nach der Rückkehr des Beteiligten zu 2) hinreichend Zeit und Gelegenheit bestanden.

Entgegen der Auffassung der Beschwerde könne für die Bestimmung des Begriffs des Aufenthalts auch nicht auf § 899 Abs. 1 ZPO a.F. oder § 343 Abs. 1 FamFG a.F.  zurückgegriffen werden, da diesen Normen ein anderer Sinn und Zweck zukommen würde und der Begriff des Aufenthalts daher unterschiedliche Bedeutung habe.

Der gesamte Sachverhalt beruhe vorliegend darauf, einer möglichen Versagung der Genehmigung der Ausschlagung durch das Familiengericht zu entgehen. Die Beteiligten hätten eingeräumt, dass es Ziel ihrer gesamten Ausschlagungen gewesen sei, das Testament der Erblasserin mit der Vorerbeneinsetzung der Beteiligten zu 1) und 2) sowie der Nacherbeneinsetzung der Beteiligten zu 4) und 5) zu umgehen, um im Ergebnis zu der gewünschten Alleinerbenstellung der Beteiligten zu 1) und 2) zu gelangen. Das Beschwerdegericht spreche hier ausdrücklich von einem kollusiven Zusammenwirken und habe, ohne dass dies aus Rechtsgründen zu beanstanden wäre, einen Umgehungsversuch festgestellt.

III. Fazit

Die Ausschlagungsfrist beträgt gem. § 1944 Abs. 1 BGB grundsätzlich sechs Wochen. Nur wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland gehabt hat oder sich der Erbe bei Fristbeginn (§ 1944 Abs. 2 BGB) im Ausland aufhält, kommt die sechsmonatige Frist des § 1944 Abs. 3 BGB zur Anwendung.

Der BGH stellt vorliegend klar, dass ein Fall des Auslandsaufenthalts des Erben im Sinne der Norm nicht bei einem geplanten Ausflug für einige Stunden in das unmittelbar benachbarte Ausland angenommen werden kann. Sinn und Zweck der Vorschrift sei es, besonderen Kommunikationsproblemen Rechnung zu tragen, die sich für den Erben ergeben, wenn er sich im Zeitpunkt des Fristbeginns im Ausland aufhält, er also die maßgeblichen Informationen über den Erbfall und dessen tatsächliche sowie rechtliche Auswirkungen nur unter besonderen Schwierigkeiten erlangen kann. Zur Abgrenzung bedarf es daher einer genauen Prüfung der Umstände im Einzelfall, wobei insbesondere mit dem Aufenthalt verbundene Informations- und Kommunikationsprobleme zu beachten sind.


Rezension des Beschlusses des BGH v. 16.01.2019 - IV ZB 20/18 „Erbschaft / Ausschlagung / Frist / Auslandsaufenthalt", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.5 Mai 2019, S.300 ff


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