Erbschaft; Anfechtung der Ausschlagung; Irrtum; Überschuldung

Amtlicher Leitsatz:

Beruht die Entscheidung, die Erbschaft auszuschlagen, auf bewusst ungesicherter also spekulativer Grundlage (hier: Annahme der Überschuldung des Erblassers aufgrund eines vor Jahren vorhanden gewesenen Guthabens in Verbindung mit der Rentensituation und der äußeren Lebensführung bei vermutet hohen Wohnungsauflösungskosten), so berechtigt eine später sich herausstellende Werthaltigkeit des Erbes mangels eines rechtlich relevanten Irrtums (bloßer Motivirrtum) den Ausschlagenden nicht zur Anfechtung seiner Erklärung. (Rn. 13 und 14)

OLG Düsseldorf (3. Zivilsenat), Beschluss vom 19.12.2018 - I-3 Wx 140/18

BGB §§ 119, 120, 123, 1944 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, 1945 Abs. 1, 1954 Abs. 1

I. Einführung

Die verwitwete Erblasserin lebte allein in ihrer Wohnung. Nach ihrem Tode befand sich die Wohnung, dem Antrittsbericht der Beteiligten zu 2) zufolge, in einem Zustand extremer Verunreinigung. Die Beteiligte zu 1) ist eine Schwester der Erblasserin. Gemeinsam mit einer weiteren Schwester erklärte sie im Februar 2017 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, ihr sei nicht bekannt, ob die Erblasserin eine Verfügung von Todes wegen hinterlassen habe. Kraft gesetzlicher Erbfolge sei sie Miterbin. Die angefallene Erbschaft schlage sie aus jedem Berufungsrunde aus. Der Nachlass sei ihr nicht bekannt.

Im März 2017 wurde die Beteiligte zu 2) zur Nachlasspflegerin mit den Aufgabenkreisen der Sicherung und Verwaltung des Nachlasses bestellt, weil die Erbfolge noch nicht geklärt sei. Ende März 2017 reichte die Beteiligte zu 2) ein Nachlassverzeichnis zur Gerichtsakte. Als Aktiva wies dieses knapp 11.000 € Geldvermögen aus, zu den Passiva beziffert es lediglich Bestattungskosten von rund 1.250 € sowie die Bemerkung der Beteiligten zu 2), wegen des Zustandes der Wohnung entfielen auf den Nachlass hohe Kosten „an Entsorgung und Renovierung“. Einem weiteren Bericht vom Juli 2017 war zu entnehmen, dass die Beteiligte zu 2) mit der Beteiligten zu 1) telefoniert und ihr hierbei mitgeteilt hatte, der Nachlass sei nicht überschuldet. Mit darauffolgendem Schreiben äußerte die Beteiligte zu 2): Die Beteiligte zu 1) sei davon ausgegangen, der Erbe nach der Erblasserin habe die kompletten Renovierungs- und Entrümpelungskosten gegenüber dem Vermieter zu tragen, und deshalb befürchtet, der Nachlass sei überschuldet. Nach Lage der Rechtsprechung habe die Mietwohnung jedoch nur geräumt, nicht renoviert übergeben werden müssen. Da sie (die Beteiligte zu 1)) keine Möglichkeit gehabt habe, selbst zu prüfen, über welche Vermögenswerte die Erblasserin noch verfügt habe, habe sie die Erbschaft fristgereicht ausgeschlagen. Der Nachlass weise abschließend ein Guthaben von ca. 6.600 € auf, wovon nur noch Gerichtskosten und Nachlasspflegervergütung (750 €) abgingen.

Sodann hat die Beteiligte zu 1) ihre Ausschlagung angefochten und die Annahme der Erbschaft nach der Erblasserin erklärt. Zur Begründung hat sie angeführt, dass sie durch Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses zur Ausschlagung bestimmt worden sei. Dieser habe sich daraus ergeben, dass ihre Schwester starke Raucherin und die Wohnung komplett vermüllt war, so dass sie davon ausgegangen sei, dass diese Umstände dazu führten, dass die Entrümpelung und die Renovierung der Wohnung sowie die noch zu zahlenden Monatsmieten für die Kündigungszeit den Nachlass erheblich übersteigen würden. Sie habe erst jetzt erfahren, dass die Schönheitsreparaturklausel des Mietvertrags unwirksam ist und die kostspieligen Renovierungsarbeiten nicht geschuldet werden. Ferner hat sie mit weiterem Schriftsatz erklärt, dass anlässlich der Ausschlagung beim Nachlassgericht über „Details des Nachlasses“ nicht gesprochen worden sei, und ergänzt, dass sie wusste, dass ihre Schwester über Sparguthaben verfügte, das vor etwa fünf Jahren noch ca. 19.000 EUR betrug. Die Schwester habe zwar nur einige kleine Witwenrente gehabt, sei aber überaus sparsam gewesen, so dass die Antragstellerin davon ausging, dass von dem Ersparten noch etwas vorhanden war. Keine genaue Kenntnis habe sie aber über dessen Höhe besessen.

Die Beteiligte zu 1) hat sodann beantragt, ihr aufgrund gesetzlicher Erbfolge einen sie als Alleinerbin nach der Erblasserin ausweisenden Erbschein zu erteilen. Durch die angefochtene Entscheidung hat das Nachlassgericht diesen Antrag zurückgewiesen und hierzu ausgeführt, dass die Beteiligte zu 1) ihre Erbausschlagung nicht wirksam angefochten habe, da es an einem Anfechtungsgrund fehle. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 1). Das Nachlassgericht hat nicht abgeholfen.

II. Problem

Nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf blieb die Beschwerde in der Sache ohne Erfolg. Das Nachlassgericht habe den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Anfechtungserklärung sei nicht wirksam gewesen, da es an einem Anfechtungsgrund fehle.

Stütze sich die Anfechtung auf einen Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache gemäß § 119 Abs. 2 BGB, sei als „Sache“ im Sinne dieser Vorschrift die Erbschaft anzusehen, d.h. der dem Erben angefallene Nachlass oder Nachlassteil. Insoweit sei anerkannt, dass die Überschuldung der Erbschaft eine verkehrswesentliche Eigenschaft darstellt, die zur Anfechtung berechtigen kann, indes nur, wenn der Irrtum bezüglich der Überschuldung auf falschen Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, also bezüglich des Bestandes an Aktiva oder Passiva, beruht. Der Senat hat in der Vergangenheit den Standpunkt vertreten, dass hieraus zugleich folge, dass nicht zur Anfechtung berechtigt ist, wer ohne nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses einer Fehlvorstellung über dessen Größe unterlag; mit anderen Worten sich derjenige nicht auf einen Anfechtungsgrund berufen kann, der nicht aufgrund einer Bewertung ihm bekannter oder zugänglicher Fakten zu dem Ergebnis gelangt war, die Erbschaft wolle er annehmen oder ausschlagen, sondern seine Entscheidung auf spekulativer - bewusst ungesicherter - Grundlage getroffen hatte (OLD Düsseldorf, I-3 Wx 155/15 und I-3 Wx 52/15 m.w.N.; vgl. auch BeckOK BGB - Siegmann/Höger, § 1954 Rdnr. 8; MüKo-BGB/Leipold, § 1954 Rdnr. 11-14). Hieran wurde auch im vorliegenden Verfahren festgehalten.

Wer bewusst bestimmte Umstände als lediglich möglich betrachtet und dieses Vorstellungsbild handlungsleitend sein lässt, richte sich nach Hoffnungen oder Befürchtungen, die das Motiv seines Handelns bilden. Ein bloßer Irrtum im Motiv berechtige jedoch weder im Allgemeinen, noch speziell im Zusammenhang der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft zur Anfechtung. Dies finde allgemein seine Rechtfertigung im Gesichtspunkt der Rechtssicherheit. Im besagten erbrechtlichen Zusammenhang sei zudem der Gefahr zu begegnen, durch eine zu großzügige Berücksichtigung reiner Motivirrtümer faktisch eine im Gesetz nicht vorgesehene weitere Form der Haftungsbeschränkung eines Erben zu schaffen, nämlich eine sozusagen einstweilige Ausschlagung bis zur abschließenden Klärung der Vermögensverhältnisse (entwickeln sich die Erkenntnisse negativ, belässt der Erbprätendent es bei der erklärten Ausschlagung, entwickeln sie sich günstig, ficht er seine Ausschlagung an).

Die Beteiligte zu 1) habe sich nach ihren eigenen Angaben nur in einem anfechtungsrechtlich unbeachtlichen Motivirrtum befunden. Sie selbst spreche davon, aus einer Befürchtung heraus gehandelt zu haben. Ihr Vorstellungsbild lasse sich dahingehend beschreiben, dass sie die Wohnungsauflösungskosten überschätzte und daher eine Überschuldung für wahrscheinlich hielt, wobei ihr aber bewusst war, weder das vorhandene Guthaben, noch die entstehenden Kosten irgendwie verlässlich (geschweige denn gesichert) beziffern zu können. Was die Aktiva anbelangt, habe die Beteiligte zu 1) selbst erklärt, von einem rund fünf Jahre zurückliegenden Wert ausgegangen zu sein und ganz allgemein gehaltene Rückschlüsse aus der Rentensituation in Verbindung mit der äußeren Lebensführung der Erblasserin gezogen zu haben. Aber auch bezüglich der Passivseite seien die auf die „Vermüllung“ gegründeten Vorstellungen so lange bloße Befürchtungen geblieben, wie die Beteiligte zu 1) die Kosten der „Entrümpelung“ nicht halbwegs tragfähig schätzen konnte und ferner keine Kenntnis des Mietvertrages (wegen Renovierungs- und Mietzinspflicht) hatte. Der Rückschluss auf die Überschuldung schließlich sei in jedem Falle notwendig spekulativ, da sie keine Kenntnis der Aktiva besessen habe.

Die Rechtsbeschwerde wurde im Hinblick auf den Beschluss des Kammergerichts vom 20. Febr. 2018 - 6 W 1/18 (BeckRS 2018, 15549) zugelassen. Zwar lag diesem Beschluss ein vom Vorliegenden abweichender Sachverhalt zugrunde; jedoch stehen die vom Kammergericht angewandten rechtlichen Maßstäbe und juristischen Wertungen in Widerspruch zu denen des OLG Düsseldorf.

III. Fazit

Die Entscheidung verdeutlich erneut die Tücken und Fallstricke bei der Erklärung der Ausschlagung der Erbschaft bzw. bei der gegebenenfalls darauffolgenden Anfechtung derselben.

Die Ausschlagung muss sich auf bestimmte Umstände und gesicherte Tatsachen beziehen, um eine spätere Anfechtung zu ermöglichen. Stützt sich die Anfechtung hingegen nur auf eine spekulative Grundlage, so berechtigt dieser Umstand, wenn sich diese Grundlage später als falsch herausstellt, nicht zu einer Anfechtung, da nur ein unbeachtlicher bloßer Motivirrtum vorliegt.


Rezension des Beschlusses des OLG Düsseldorf v. 19.12.2018 - 3 Wx 140/18 „Erbschaft / Anfechtung der Ausschlagung / Irrtum / Überschuldung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.4 April 2019, S.236 ff


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