Erbengemeinschaft, Ermächtigung zur Einziehung einer Nachlassforderung

Leitsätze:

  1. Die Verwaltung einer gemeinschaftlichen Forderung der Erbengemeinschaft kann auch deren Einziehung umfassen. Die Erbengemeinschaft kann mit Stimmenmehrheit einen der Teilhaber zur Einziehung einer Nachlassforderung ermächtigen, sofern dies einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht (im Anschluss an Senatsurteile vom 11. November 2009, XII ZR 210/05, und vom 20. Oktober 2010, XII ZR/09).
  2. Die Einordnung einer Maßnahme als Verfügung nach § 2040 Abs. 1 BGB schließt es nicht aus, dass es sich zugleich um eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung i.S.v. § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB handeln kann.

BGH, XII ZR 151/10, Urteil vom 19.09.2012

BGB §§ 745, 2038, 2039, 2040

I. Einführung

Die Klägerin, eine GmbH, ist durch Urteil vom 7.8.2009 verurteilt worden, an die Erbengemeinschaft (bestehen aus den Beklagten zu 1) und 2)) Mietrückstände i.H.v. 14.863,10 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Der Beklagte zu 1) ist zugleich alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin. Auf den Beklagten zu 1) entfällt ein 3/4 Erbanteil.

Der Beklagte zu 1) hat unter der Kontobezeichnung „Erbengemeinschaft A. G.“ ein Bankkonto eröffnet, auf welches die Klägerin die titulierte Hauptforderung nebst Zinsen eingezahlt hat. Mit ihrer Klage erstrebt sie die Herausgabe des Schuldtitels und die Erklärung der Zwangsvollstreckung für unzulässig, da der titulierte Anspruch erfüllt worden sei.

Das LG hat der Klage insoweit stattgegeben, das OLG, auf die von dem Beklagten zu 2) eingelegte Berufung hin, die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die zugelassene Revision der Klägerin, mit der die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils angestrebt wird.

Das Berufungsgericht hatte insoweit ausgeführt, dass die Zwangsvollstreckung nicht für unzulässig zu erklären sei, da der Anspruch nicht erfüllt worden sei. Die Zahlung der Klägerin habe nicht zur Erfüllung geführt, da sie nicht an die Erbengemeinschaft als Gläubigerin der Forderung erfolgt sei. Der Beklagte zu 2) habe in eine alleinige Leistung an den Beklagten zu 1) nicht eingewilligt. Das eröffnete Konto habe rechtlich und wirtschaftlich jedoch allein dem Beteiligten zu 1) gehört. Die Tatsache, dass der Beklagte zu 1) das Konto und den darauf eingezahlten Betrag für die Erbengemeinschaft gehalten habe, reiche nicht aus, da er nicht durch Vereinbarung mit sich selbst ein Treuhandverhältnis zu den Miterben habe begründen können (§ 181 BGB). Eine Verfügung des Beklagten zu 1) über die Forderung, ohne jegliche Mitwirkung des Beklagten zu 2), sei nicht möglich gewesen.

II. Problem

Diese Ausführungen halten nach Ansicht des Senats einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die von der Klägerin erhobene Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) habe Erfolg, da die titulierte Forderung durch Erfüllung erloschen sei.

Gemäß § 362 Abs. 1 BGB erlösche das Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Ist ein Anspruch Teil des Nachlasses, so könne der Verpflichtete nur an alle Erben gemeinschaftlich leisten und jeder Miterbe nur die Leistung an die Erben fordern, vgl. § 2039 Abs. 1 BGB. Diese Voraussetzungen seien vorliegen nicht durch die Klägerin erfüllt worden, da das Konto auf das die Zahlungen erfolgten allein dem Beklagten zu 1) zustand. Dieser allein sei Forderungsinhaber gegenüber der Bank geworden.

Nichtsdestotrotz hatten die Zahlungen nach Ansicht des Senats Erfüllungswirkung gem. §§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 1 BGB. Die Klägerin habe mit Erfüllungswirkung an den Beklagten zu 1) zahlen können. Die Befugnis des Beklagten zu 1) zur Entgegennahme der Forderung (auf seinem Konto) ergebe sich durch dessen Anteilsmehrheit am Nachlass und der daraus ermöglichten Einziehungsermächtigung.

Die Verwaltung des Nachlasses stehe den Erben gem. § 2038 Abs. 1 BGB gemeinschaftlich zu. Würden die Erben keine gemeinsamen Bestimmungen treffen, so könne durch Stimmenmehrheit eine der Beschaffenheit des gemeinsamen Gegenstandes entsprechende ordnungsgemäße Verwaltung beschlossen werden, § 2038 Abs. 2 S. 1 BGB i.V.m. § 745 Abs. 1 S. 1 BGB. Seien nur zwei Teilhaber vorhanden und die Anteile unterschiedlich groß, so habe bereits im Vorhinein der eine Teilhaber die Mehrheit. Das Mehrheitsprinzip werde hierdurch nicht außer Kraft gesetzt.

Des weiteren könne zur Verwaltung einer gemeinschaftlichen Forderung auch deren Einziehung gehören. Diese Einziehung könne sowohl einem Verwalter als auch einem Teilhaber übertragen werden, bzw. dieser mit der Einziehung betraut werden. Auch insoweit könne die Ermächtigung zur Einziehung einer Forderung durch Stimmenmehrheit gem. § 745 Abs. 1 BGB erteilt werden, sofern dies einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht.

Auch § 2040 Abs. 1 BGB stehe der Erfüllungswirkung nicht entgegen. Ob die Einziehung einer Forderung oder die Einziehungsermächtigung nach §§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 1 BGB zugleich eine Verfügung über einen Nachlassgegenstand i.S.v. § 2040 Abs. 1 BGB darstelle, könne vorliegen offen gelassen werden.

Dies sei dadurch begründet, dass nach der Rechtsprechung des Senats selbst die Einordnung einer Maßnahme als Verfügung nach § 2040 Abs. 1 BGB nicht ausschließe, dass es sich zugleich und dennoch um eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung i.S.v. § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB handele. Dies sei schon in den Entscheidungen zu einer von den Miterben mehrheitlich beschlossenen und ausgesprochenen Kündigung eines Mietverhältnisses deutlich geworden, wobei diese Maßnahme als wirksam erachtet wurde (BGH XII ZR 25/09 und BGH II ZR 159/09). Für die Einziehung einer Forderung aus einem Mietverhältnis über einen Nachlassgegenstand müsse das gleiche gelten. Auch hierbei handele es sich um eine Maßnahme im Rahmen der laufenden Verwaltung des Nachlasses, für die die erleichterten Voraussetzungen des § 2038 BGB vorrangig Anwendung finden müssten. Die Maßnahme bedarf somit nicht des gemeinschaftlichen Handelns der Miterben, sondern kann von den Miterben mit Mehrheit beschlossen werden.

Die Wirksamkeit des Mehrheitsbeschlusses stehe somit allein unter der Voraussetzung, dass es sich bei der Einziehung oder der nach §§ 362 Abs. 2, 185 BGB erteilten Ermächtigung um eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung handelt.

Diese Anforderungen seien vorliegend erfüllt. Durch die Überweisung der Klägerin auf das vom Beklagten zu 1) eingerichtete Konto sei der Anspruch der Erbengemeinschaft erloschen. Der Beklagte zu 1) habe mit Wirkung für die Erbengemeinschaft bestimmt, dass die Nachlassforderung durch Zahlung auf das eingerichtete Konto zu begleichen sei. Aufgrund seiner Stimmenmehrheit, welche nach Größe seines 3/4 Anteils zu berechnen sei (§ 745 Abs. 1 S. 2 BGB), sei er hierzu allein berechtigt gewesen. Er habe sich damit auch im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung gehalten.

Einer förmlichen Beschlussfassung unter Hinzuziehung des Beklagten zu 2) habe es hierfür nicht bedurft. Habe ein Miterbe die Stimmenmehrheit in einer Erbengemeinschaft, könne er im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung ohne besondere Förmlichkeiten Mehrheitsbeschlüsse fassen. Es sei für die Wirksamkeit dieser Beschlüsse irrelevant, ob der Minderheit ausreichend Gelegenheit zur Mitwirkung gegeben worden sei.

Ob die Wirksamkeit des Beschlusses jedoch zumindest voraussetze, dass den übrigen Teilhabern wenigstens ein sachlich angemessenes Gehör gewährt werden muss, sei vorliegen nicht entscheidungserheblich, da der Beteiligte zu 2) zur Mitwirkung bei der Kontoeröffnung aufgefordert wurde.

Weiterhin sei der Beklagte zu 1) auch nicht durch eine Interessenkollision von seiner Stimmrechtsausübung ausgeschlossen gewesen. Zwar sei auf die Erbengemeinschaft die vereinsrechtliche Vorschrift des § 34 BGB, wonach ein Mitglied nicht stimmberechtigt ist, wenn die Beschlussfassung ein Rechtsgeschäft mit ihm betrifft, analog anzuwenden, dieser Fall läge jedoch nicht vor. Zwar sei der Beklagte zu 1) zugleich der Geschäftsführer der Klägerin, welche die Zahlung zu leisten hatte, jedoch gehe es vorliegend weder um die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit der Klägerin, noch um die Beschlussfassung der Erbengemeinschaft über die Frage, ob ein Anspruch erhoben und durchgesetzt werden sollte, sondern allein um die Empfangnahme der Leistung der inzwischen leistungsbereiten Schuldnerin. Die Empfangnahme der Zahlung sei für die Erbengemeinschaft ein lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft, welches keine Interessenkollision auszulösen vermochte und somit – vergleichbar mit dem sog. Insichgeschäft – nicht unter das Mitwirkungsverbot falle.

Die getroffene Bestimmung, den Betrag auf das benannte Konto zahlen zu lassen, entspreche auch den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung. Abzustellen sei insoweit auf den Standpunkt eines vernünftig und wirtschaftlich denkenden Betrachters. Die Möglichkeit der Hinterlegung nach § 2039 S. 2 BGB sei demgegenüber unzureichend, da die Mittel der Erbengemeinschaft dann nicht zur Begleichung von laufenden Kosten zur Verfügung gestanden hätte. Durch die Bezeichnung des eingerichteten Kontos als „Erbengemeinschaft A. G.“ habe der Beklagte zu 1) dieses ausdrücklich als Treuhandkonto für die Erbengemeinschaft bestimmt und von seinem sonstigen Vermögen getrennt gehalten. Unter eben dieser treuhänderischen Beschränkung habe der Beklagte zu 1) die Klägerin dazu ermächtigen dürfen, die Leistung mit Erfüllungswirkung gegenüber der Erbengemeinschaft auf das eingerichtete Konto zu erbringen. Der Beklagte zu 1) habe als Mehrheitserbe dieses (Verwaltungs-)Treuhandverhältnis gegenüber der Erbengemeinschaft auch einseitig begründen können.

Die Zahlungen der Kläger hätten somit die Haupt- und Zinsforderung vollständig getilgt. Das landgerichtliche Urteil war insoweit wiederherzustellen.

III. Fazit

Das Urteil des Bundesgerichtshofs beschäftigt sich erneut mit dem Themenkomplex der Verfügung- und Verwaltung in der Erbengemeinschaft. Der Rechtsprechung kommt in diesem Bereich eine besondere Bedeutung zu, da Gesetzeswortlaut und Systematik für den inzwischen erreichten Stand der Rechtsprechung nur noch wenig Anhaltspunkte bieten.

Vorliegend wird auch die Einziehung einer Mietzinsforderung als Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung i.S.v. § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB qualifiziert, nachdem dies in den Urteilen BGH XII ZR 25/09 und BGH II ZR 159/09 schon für die Kündigung eines Mietverhältnisses bejaht wurde. Es bleibt abzuwarten, wo genau die Grenzen für eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung verlaufen. Die Praxis hat sich an der vorliegenden Weiterentwicklung zu orientieren.

 


Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Burandt
Rezension des Urteils des BGH v. 19.09.2012 - XII ZR 151/10 - OLG Frankfurt/M. zu „Erbengemeinschaft / Ermächtigung zur Einziehung einer Nachlassforderung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.2 Februar 2013, S. 118 f


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