Einwand Testierunfähigkeit / Ermittlungen

Leitsatz:

Wird im Erbscheinsverfahren Testierunfähigkeit eingewandt, erfordert es § 26 FamFG, naheliegenden Ermittlungsansätzen nachzugehen; dazu kann es etwa gehören, den das Testament beurkundenden Notar zu befragen und zur Verfügung stehende medizinische Unterlagen beizuziehen. (amtlicher Leitsatz)

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.05.2015 - 11 Wx 82/14

FamFG §§ 26, 68

BGB §§ 2229 IV, 2358 I

I. Einführung

Die Beteiligten streiten im Erbscheinsverfahren darum, ob der Erblasser aufgrund eines notariellen Testaments von seiner Witwe beerbt worden ist oder wegen Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung die gesetzliche Erbfolge eingetreten ist.

Der Erblasser war 1942 geboren und ist 2012 verstorben. Er hat die Beteiligte zu 1) (seine Witwe) sowie fünf Kinder, die Beteiligten zu 2) bis 6), hinterlassen. Als letztwillige Verfügungen liegen ein maschinenschriftliches Testament vom 24.05.2012 und ein notarielles, unter Hinzuziehung eines Dolmetschers errichtetes Testament vom 16.07.2012 vor. Das notariell errichtete Testament enthält eine Einsetzung der Witwe als Alleinerbin.

Der Beteiligte zu 6) hat einen Erbschein nach der gesetzlichen Erbfolge beantragt und dabei geltend gemacht, dass der Erblasser bei Errichtung des notariellen Testaments testierunfähig gewesen sei.

Das Nachlassgericht hat Gutachten zur Testierfähigkeit bei der notariellen letztwilligen Verfügung eingeholt. Zeugen und Beteiligte zur Frage der Testierfähigkeit wurden nicht angehört. Auf dieser Grundlage hat das Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins nach der gesetzlichen Erbfolge angekündigt. Es ist auf der Grundlage des psychiatrischen Gutachtens von der Testierunfähigkeit des Erblassers bei Errichtung des notariellen Testaments ausgegangen. Das Nachlassgericht hat die Auffassung vertreten, eine Befragung des bei der Testamentserrichtung tätigen Urkundsnotars sei nicht erforderlich, da davon auszugehen sei, dass dieser die Geschäfts- und Testierfähigkeit bestätigen werde, dies aber im Gegensatz zu den überzeugenden Ausführungen des Gutachters stünde.

Gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1). Sie verfolgt unter Anführung weiterer Beweismittel (Urkundsnotars und hinzugezogener Dolmetschers als Zeugen) sowie eines nervenärztlichen Gutachtens ihre Auffassung weiter, dass der Erblasser zur Errichtung einer wirksamen letztwilligen Verfügung imstande gewesen sei.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II. Problem

Das nach §§ 352, 58 FamFG zulässige Rechtsmittel führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung, da das Nachlassgericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt entgegen § 26 FamFG nicht ordnungsgemäß ermittelt hat.

Nach dem deutschen Recht (§ 2229 Absatz 4 BGB) hängt die Erteilung des Erbscheins davon ab, ob der Erblasser bei Errichtung des notariellen Testaments testierunfähig war. Die hierzu angestellten Ermittlungen des Nachlassgerichts waren nach Ansicht des OLG von einem wesentlichen Verfahrensfehler beeinflusst, da das Gericht der ersten Instanz die aus § 26 FamFG folgende Pflicht zur Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen in schwerwiegender Weise verletzt hat (MüKo/Fischer, FamFG, 2. Auflage, § 69, Rn. 43; Keidel/Sternal, FamFG, 18. Auflage, § 69, Rn. 15b).

Nach § 2358 Absatz 1 BGB hat das Nachlassgericht im Erbscheinsverfahren unter Benutzung der vom Antragsteller angegebenen Beweismittel von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranlassen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Dem entspricht verfahrensrechtlich § 26 FamFG, der verlangt, dass das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen hat. Welche Nachforschungen geboten sind, bestimmt das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die von Amts wegen einzuleitenden und durchzuführenden Ermittlungen sind jedoch so weit auszudehnen, wie es die Sachlage erfordert. Der Senat stellt hier klar, dass das Verfahren geeignet sein muss, eine möglichst zuverlässige Grundlage für die zu treffende Entscheidung zu erlangen.

Die richterliche Aufklärungspflicht sei verletzt, wenn Ermittlungen, zu denen nach dem Sachverhalt als solchem und dem Vorbringen der Beteiligten Anlass bestand, nicht durchgeführt werden. Die Ermittlungen seien erst abzuschließen, wenn von weiteren Maßnahmen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist. Diese Grenzen seien ausreichend, um die Annahme einer Amtsermittlungspflicht in Fällen zu unterbinden, in denen die Ermittlung sozusagen "ins Blaue" hinein geschehe oder das Gericht einer lediglich denkbaren, rein theoretischen Möglichkeit nachginge.

Auf der anderen Seite seien die Beteiligten, wie sich aus § 27 Absatz 1 und 2 FamFG ergibt, auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit von der Verpflichtung, durch eingehende Tatsachendarstellung an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, nicht befreit. Ihrer Mitwirkungs- und Verfahrensförderungslast würden sie genügen, indem ihr Vortrag und die Bezeichnung geeigneter Beweismittel dem Gericht Anhaltspunkte dafür gäbe, in welche Richtung es seine Ermittlungen durchführen soll. Insbesondere finde die Verpflichtung des Gerichts zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts dort ihre Grenze, wo es die Verfahrensbeteiligten allein oder hauptsächlich in der Hand haben, die notwendigen Erklärungen abzugeben und Beweismittel zu bezeichnen bzw. vorzulegen, um eine ihren Interessen entsprechende Entscheidung herbeizuführen (OLG Düsseldorf NJW-RR 2013, 782 m. w. N.).

Nach diesem rechtlichen Maßstab hatte das Nachlassgericht seiner Amtsermittlungspflicht nicht genügt. Zwar hat es ein Sachverständigengutachten zur Frage der Testierfähigkeit erhoben. Dieses gründet sich jedoch nicht auf hinreichend festgestellten Anknüpfungstatsachen. Vielmehr ergeben sich nach Ansicht des OLG aus den Akten noch eine Reihe Erfolg versprechender Ermittlungsansätze zu Anknüpfungstatsachen für eine sachverständige Begutachtung, denen das Nachlassgericht nicht nachgegangen ist.

Zunächst bestehe Anlass, jedenfalls diejenigen Beteiligten anzuhören, die im Zeitpunkt der Testamentserrichtung näheren Kontakt zu dem Erblasser hatten. Es sei zu erwarten, dass diese Angaben machen können, die zur Beurteilung der Testierfähigkeit des Erblassers geeignet sind, insbesondere etwaige auffällige Verhaltensweisen oder erkennbare Störungen des Lang- oder Kurzzeitgedächtnisses schildern können. Dies waren im Einzelnen:

Eine Zeugin, die Aussagen zum früheren, unwirksamen Testament gemacht hatte. Dieses Testament sei zwar unzweifelhaft wegen Formunwirksamkeit unbeachtlich. Gleichwohl bestehe Anlass, die Zeugin dahin gehend zu befragen, welche Wahrnehmungen sie im Zusammenhang mit der Anfertigung der letztwilligen Verfügung im Zusammenhang mit dem psychischen Zustand des Erblassers gemacht hat.

Ein weiterer Zeuge, der wenige Tage vor dem Testament mit dem Erblasser einen beabsichtigten Vertrag besprochen habe. Aus der Aussage dieses Zeugens könnten sich ebenfalls Hinweise auf die geistige Verfassung des Erblassers am Tag der Testamentserrichtung ergeben.

Der mit der Testamentserrichtung beauftragten Urkundsnotar und ggf. auch den von ihm hinzugezogenen Dolmetscher. Bei der Vernehmung des Notars als Zeugen komme es nicht darauf an, dessen eigene Einschätzung der Testierfähigkeit des Erblassers in Erfahrungen zu bringen, sondern die Wahrnehmungen, die er anlässlich der Testamentsbeurkundung, etwa in einem Vorgespräch, gemacht hat.

Verschiedene Ärzte, die Atteste angefertigt hatten, damit sich das Nachlassgericht einen eigenen Eindruck von der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben und ihrer Glaubwürdigkeit verschaffen und diese zudem um konkrete Angaben zu Beobachtungen bitten kann, die für die Beurteilung der Testierfähigkeit durch den Sachverständigen von Bedeutung sein könnten.

Ein Zahnarzt, der den Erblasser behandelt haben soll. Es erscheine durchaus denkbar, dass der Zahnarzt - etwa im Gespräch mit dem Erblasser über Behandlungsmöglichkeiten - Wahrnehmungen gemacht hat, die die Feststellung der Testierfähigkeit erleichtern könnten. Die Vernehmung des Zahnarztes könne insbesondere wegen der zeitlichen Nähe zu der in Rede stehenden Testamentserrichtung eine wertvolle Erkenntnisquelle sein.

Daneben sei die Beiziehung der Behandlungsunterlagen verschiedener Krankenhäuser notwendig, aus denen sich auch bei einer Behandlung außerhalb einer psychiatrischen Klinik wertvolle Erkenntnisse ergeben könnten. Entlassungsberichte von Krankenhäusern würden erfahrungsgemäß die Beiziehung von Krankenunterlagen nicht vollständig zu ersetzen vermögen. Dies gelte insbesondere deshalb, weil sich aus der Pflegedokumentation der Krankenhäuser auch Beobachtungen von Pflegepersonen ergeben können, die für die Beurteilung der geistigen Gesundheit des Erblassers hilfreich sein könnten.

Das im Beschwerdeverfahren eingereichte Gutachten des Sachverständigen, das dieser zur Frage der Geschäftsfähigkeit des Erblassers in einem Streitverfahren vor dem Landgericht Mannheim erstattet hat, rechtfertige keine andere Beurteilung; es ändere insbesondere nichts daran, dass eine hinreichende Ermittlung der Anknüpfungstatsachen für ein Gutachten bisher nicht erfolgt ist.

Der Senat verwies die Sache an das Nachlassgericht zurück, da vor einer Entscheidung in der Sache eine umfangreiche weitere Beweisaufnahme erforderlich war.

III. Fazit

Umfang und Grenzen der Ermittlungspflicht des Nachlassgerichts nach § 26 FamFG sind immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Die vorliegende Entscheidung des OLG Karlsruhe konkretisiert hier die entsprechenden Pflichten.

Danach sind Ermittlungen, zu denen nach dem Sachverhalt als solchem und dem Vorbringen der Beteiligten Anlass besteht, durchzuführen. Erst wenn von weiteren Maßnahmen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist, sind sie abzuschließen.

Gerade wenn es um die Testierfähigkeit des Erblasser geht, sind jedenfalls diejenigen Beteiligten anzuhören, die im Zeitpunkt der Testamentserrichtung näheren Kontakt zu dem Erblasser hatten. Dies können beispielsweise Verwandte, Geschäftspartner, Ärzte oder auch der beurkundende Notar sein. Ein bereits bestehendes Gutachten eines Sachverständigen entbindet nicht von der Pflicht zur hinreichenden Ermittlung der Anknüpfungstatsachen.


Rezension des Beschlusses des OLG Karlsruhe v. 21.05.2015 - 11 Wx 82/14 „Einwand Testierfähigkeit/Ermittlungen", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.12 Dezember 2015, S.747 f

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