Ehegattentestament, Vorversterben, Anwachsung

Leitsatz:

Ob bei einem Ehegattentestament der einer verstorbenen Erbin zugewandte Anteil den übrigen Testamentserben angewachsen ist oder deren Erben (hier: Ehemann sowie die gemeinsamen Kinder) als Ersatzerben in die erbrechtliche Stellung der verstorbenen Erbin einrücken, beantwortet sich auf der Grundlage des durch ergänzende Auslegung zu ermittelnden Erblasserwillens in Ermangelung tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser die vorverstorbene Erbin bei Testamentserrichtung weniger als Person, also wegen des guten Verhältnisses zu ihr, denn als Repräsentantin ihres „Stammes“ bedachte, im Sinne der Anwachsung.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.11.2017 - I-3 Wx 295/16

BGB §§ 157, 2094 Abs. 1 Satz 1, 2096, 2099

I. Einführung

Die Erblasserin war verheiratet mit dem 2014 vorverstorbenen A. Das Ehepaar war kinderlos, beide Eheleute hatten keine Geschwister. Die Beteiligten zu 1) und 2) sind Kinder von Cousins und Cousinen, der Beteiligte zu 3) war der Ehemann der verstorbenen B., die im gleichen Verwandtschaftsverhältnis stand. Die Beteiligten zu 4) und 5) sind die Kinder dieses Ehepaares. B. und der Beteiligte zu 3) hatten im September 1997 in Italien geheiratet, der Beteiligte zu 4) ist im Jahr 1999, der Beteiligte zu 5) im Jahr 2002 geboren.

Die Eheleute A. hinterließen ein eigenhändiges gemeinschaftliches Testament. Darin setzten sie sich zunächst gegenseitig zu Alleinerben ein mit dem Zusatz, der Überlebende solle „vollkommene Verfügungsmacht über das gesamte Erbe“ haben. Falls keine andere Anordnung getroffen werde, solle nach dem Tode des Letztversterbenden der beiderseitige Nachlass dahin geregelt werden, dass (in dieser Reihenfolge) B., der Beteiligte zu 2) und die Beteiligte zu 1) jeweils zwei Eigentumswohnungen erben – darunter Frau B. das von den Testierenden bewohnte Wohnungseigentum – und sich diese Erben die Sparguthaben zu je 1/3 teilen sollten. Später wurde eine der beiden der Beteiligten zu 1) zugedachten Wohnungseigentumseinheiten veräußert. Das von der Erblasserin selbst bewohnte Wohnungseigentum war zum Zeitpunkt ihres Todes verkauft, aber noch nicht an den Erwerber aufgelassen.

  1. verstarb 2008. Sie wurde von dem Beteiligten zu 3) zu ½ Anteil und von den Beteiligten zu 4) und 5) zu je ¼ Anteil beerbt.

Die Beteiligten zu 1) und 2) haben die Erteilung eines Erbscheins nach der Erblasserin beantragt, der sie als testamentarische Miterben jeweils zur Hälfte ausweist, und hierzu die Auffassung vertreten, der Anteil der B. sei ihnen infolge deren Vorversterbens angewachsen.

Diesem Antrag hat das Nachlassgericht der Sache nach entsprochen. Mangels vorherigen Widerspruchs hat es den Erbschein erteilt.

Hiergegen haben sich die Beteiligten zu 3) bis 5) mit ihrer Beschwerde gewandt. Sie haben sich auf den Standpunkt gestellt, durch den Tod der Frau B. seien sie, als ihr Ehemann bzw. ihre Kinder, als Ersatzerben (entsprechend den jeweiligen Erbanteilen) in deren erbrechtliche Stellung eingerückt.

Die Beteiligten zu 1) und 2) traten dem zweitinstanzlichen Begehren entgegen.

II. Problem

Der Senat erachtete die Beschwerde als unbegründet.

Die Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments begegne keinen Bedenken. Danach seien die Beteiligten zu 1) und 2) zweifelsfrei Miterben nach der Erblasserin geworden.

Die weitere dort vorgesehene Miterbin B. ist vorverstorben. Anhaltspunkte dafür, dass in diesem Fall nach dem Willen der Erblasserin die letztwillige Anordnung insoweit ersatzlos entfallen und hinsichtlich dieses Erbteils gesetzliche Erbfolge – nach dem Letztversterbenden, nicht nach der Miterbin – eintreten sollte, gebe es nicht. Dies liege nach der Lebenserfahrung auch eher fern.

Falle ein testamentarisch eingesetzter Erbe vor dem Erbfall Weg, wachse dessen Erbteil den übrigen Erben nach dem Verhältnis ihrer Erbteile an, § 2094 Abs. 1 Satz 1 BGB, es sei denn, der Erblasser habe für diesen Fall einen anderen – sogenannten Ersatzerben – als Erben eingesetzt, § 2096 BGB. Das Recht des Ersatzerben geht dem Anwachsungsrecht vor, § 2099 BGB.

Hier sei ein Ersatzerbe für die Miterbin B. nicht ausdrücklich bestimmt. Er ergebe sich auch nicht aus der Zweifelsregel des § 2069 BGB, wonach dann, wenn der Erblasser einen Abkömmling bedacht hat und dieser nach Errichtung des Testaments wegfällt, im Zweifel dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden. Denn die Miterbin B. sei kein Abkömmling der Erblasserin oder auch ihres Mannes. Die analoge Anwendung der Norm auf Fälle der Verwandtschaft in der Seitenlinie würde dem Umstand zuwiderlaufen, dass es sich bei der Auslegungsregel des § 2069 BGB um die Ausprägung einer allgemeinen Lebenserfahrung handele und es bei anderen Verwandten als Abkömmlingen an dieser Erfahrungsgrundlage fehlt.

In Fällen sonstiger Verwandtschaft erfordere die Annahme einer Ersatzberufung der Abkömmlinge des Zuwendungsempfängers eine zusätzliche Begründung auf der Grundlage des durch ergänzende Auslegung zu ermittelnden Erblasserwillens. Diese Auslegung setzte indes voraus, dass das Testament eine planwidrige Regelungslücke aufweist, die durch den festzustellenden Willen des Erblassers zu schließen ist. Dabei müsse aus dem Gesamtbild des Testaments selbst eine Willensrichtung des Erblassers erkennbar sein, die tatsächlich in Richtung der vorgesehenen Ergänzung geht. Mit anderen Worten darf durch die Auslegung kein Wille in das Testament hineingetragen werden, der darin nicht andeutungsweise ausgedrückt ist. Die durch den Wegfall des Bedachten entstandene Lücke könne also nur dann geschlossen werden, wenn die für die Zeit der Testamentserrichtung anhand des Testaments oder unter Zuhilfenahme von Umständen außerhalb des Testaments oder der allgemeinen Lebenserfahrung festzustellende Willensrichtung des Erblassers dafür eine genügende Grundlage biete.

Bei alledem reiche es für die Annahme einer Ersatzerbenstellung nicht aus, dass der eingesetzte Erbe ein enges Verhältnis zum Erblasser hatte. Eine solche, einem Abkömmling im Sinne des § 2069 BGB vergleichbare Stellung des Weggefallenen sei vielmehr allgemeine Voraussetzung für eine ergänzende Auslegung zur Bestimmung von Ersatzerben, weil es anderenfalls an dem zur Formwahrung notwendigen Anhalt im Testament selbst fehle.

Eine solche ergänzende Auslegung erfordere zusätzlich, dass sich aus sonstigen letztwilligen Bestimmungen oder auch aus außerhalb des Testaments liegenden Umständen – für den Zeitpunkt der Testamentserrichtung – ergibt, dass die Zuwendung dem Bedachten als Erstem seines Stammes und nicht nur ihm persönlich gegolten hat (zu allem Vorstehenden: OLG München ZErb 2017, 199 f; NJW-RR 2017, 907 ff; FamRZ 2016, 2154 ff; FamRZ 2014, 514 f; Senat, NJW-RR 2014, 1287 f; MüKo-BGB/Leipold, § 2069 Rdnr. 38 f m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen scheidet im gegebenen Fall eine Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments in dem für die Beteiligten zu 4) und 5) günstigen Sinne aus.

Es könne zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass bei Testamentserrichtung zwischen ihrer Mutter – der Miterbin B. – und der Erblasserin ein enges Verhältnis bestand, die ergänzende Auslegung des Testaments mithin eröffnet ist. Die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Gesichtspunkte der Nennung der B. an erster Stelle der Miterben und die Zuwendung desjenigen Wohnungseigentums, das die testierenden Eheleute selbst bewohnten, an sie, würden aber einen weitergehenden Rückschluss als denjenigen auf jenes enge Verhältnis nicht erlauben.

Weiterhin könne zugunsten der Beschwerdeführer davon ausgegangen werden, dass das Testament eine planwidrige Lücke enthält, weil die Erblasserin im Hinblick auf das bei Testierung geringe Lebensalter der Miterbin B. von knapp 32 Jahren deren Vorversterben nicht in Erwägung zog.

Es gebe jedoch keinen tragfähigen Anhaltspunkt dafür, dass die Erblasserin B. im Jahre 1998 weniger als Person, also wegen des guten Verhältnisses zu ihr, bedachte, denn als Repräsentantin ihres „Stammes“.

Das Testament selbst liefere einen solchen Anhaltspunkt nicht.

Es lasse sich nicht sagen, die testierenden Eheleute hätten ihre Verwandten gleichmäßig wie bei der gesetzlichen Erbfolge bedacht und sich mehr von dem Kriterium der Gleichbehandlung, als von der Qualität des jeweiligen persönlichen Verhältnisses leiten lassen. Denn zum einen habe es zur Zeit der Errichtung der Verfügung mehr als die im Testament genannten drei Personen im selben Verwandtschaftsverhältnis wie die Bedachten gegeben. Dann aber hätten die Eheleute A. innerhalb der Verwandten der ihnen nachfolgenden Generation bewusst ausgewählt. Zum anderen seien den drei Miterben zwar jeweils zwei Wohnungseigentumseinheiten zugewendet worden, und es möge auch angenommen werden, dass hierdurch eine zumindest annähernde Wertgleichheit erreicht werden sollte, wofür auch die gleichmäßige Aufteilung des Mobiliarvermögens sprechen dürfte. Eine wirkliche Gleichbehandlung der Miterben sei jedoch so lange nicht, auch nicht annähernd, gewährleistet, wie die letztwillige Verfügung keine Regelungen dazu traf, was eintreten sollte, falls sich beim Tode des Letztversterbenden bestimmte Immobilien wegen zwischenzeitlicher Veräußerung nicht mehr im Nachlass befinden sollten. Im Gegenteil führe die Drittelquotelung für das liquide Vermögen dazu, dass ein etwaiger restlicher Veräußerungserlös gerade nicht mehr einem einzelnen, nämlich dem mit der Immobilie bedachten, Miterben zu Gute komme.

Was Umstände außerhalb des Testaments anbelangt, sei zunächst zu bedenken, dass zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung offen war, ob die Miterbin überhaupt einen „Stamm“ begründen würde, noch konnten die testierenden Eheleute gar ein bestimmtes (gutes) Verhältnis zu Abkömmlingen aufgebaut haben.

Daran vermöge auch das spätere Verhalten der Eheleute A. nichts zu ändern. Eine nach der Errichtung der letztwilligen Verfügung von einem Erblasser geäußerte Willensrichtung sei nur dann als Indiz für seine Vorstellungen im Errichtungszeitpunkt verwertbar, wenn sich die spätere Äußerung als bruchlose Weiterführung des bei Testierung vorhandenen Willens darstellt. Sei das nicht der Fall, bedürfe es zur Verwirklichung des neuen Willensentschlusses einer neuen formgerechten Verfügung, um dieser neuen Willensrichtung zum Erfolg zu verhelfen (OLG München FamRZ 2016, 2154 ff m.w.N.).

Hier sei eine derartige bruchlose Weiterführung schon deshalb nicht denkbar, weil im Errichtungszeitpunkt die Abkömmlinge noch nicht existierten und ihre Versorgungsbedürftigkeit erst 2008 durch den Tod ihrer Mutter aktuell wurde.

III. Fazit

Die Entscheidung beschäftigt sich mit der Abgrenzung der Anwachsung eines Erbteils bei den übrigen Erben von der Anordnung einer Ersatzerbfolge.

Sie verdeutlicht in anschaulicher Weise die Notwendigkeit der Planung der Erbfolge für den Fall des Wegfalls eines Erben, auch dann, wenn sich der Wegfall im Zeitpunkt der Testamentserrichtung als äußerst unwahrscheinlich darstellt.

Ist für den Fall des Wegfalls keine Anordnung getroffen, so kann die Zweifelsregelung des § 2069 BGB nur beim Wegfall von Abkömmlingen Anwendung finden. Die alternativ denkbare Möglichkeit der ergänzenden Testamentsauslegung führt, wie die Entscheidung des OLG Düsseldorf zeigt, nur selten zu einer befriedigenden Lösung. Die Entscheidung definiert in anschaulicher Weise die hohen Hürden, die im Rahmen der ergänzenden Testamentsauslegung notwendig sind, um zur Annahme zu gelangen, dass der Erblasser einen vorverstorbenen Erben gerade nicht als Person, sondern als Repräsentanten seines „Stammes“ eingesetzt hat.


Rezension des Beschlusses des OLG Düsseldorf v. 08.11.2017 - 3 Wx 295/16 „Ehegattentestament / Vorversterben / Anwachsung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.4 April 2018, S.215 f


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