Dauerbetreuung; Jahresgebühr; Behindertentestament

Amtlicher Leitsatz:

Ist einer betreuten Person durch sogenanntes Behindertentestament eine Erbschaft als nicht befreiter Vorerbin bei gleichzeitig angeordneter Dauertestamentsvollstreckung zugefallen, so ist der Nachlass bei der Ermittlung des Reinvermögens als Grundlage der gerichtlichen Jahresgebühr für eine Dauerbetreuung, die unmittelbar das Vermögen oder Teile des Vermögens zum Gegenstand hat, nicht werterhöhend zu berücksichtigen, weil nicht der Nachlass, sondern nur die Rechte des Erben gegenüber dem Testamentsvollstrecker Gegenstand der Betreuung sind (Anschluss an LG München I, Beschluss vom 24.9.2018, 13 T 6648/18; entgegen OLG Celle FamRZ 2017, 1083; OLG Hamm FGPrax 2015, 278; OLG Köln, Beschluss vom 14.9.2009, 2 Wx 66/09). (Rn. 24)

OLG München (34. Zivilsenat), Beschluss vom 17.01.2019 - 34 Wx 165/18 Kost

GNotKG § 3 Abs. 2
BGB § 1902

I. Einführung

Für die Erbin, die Beteiligte zu 3), besteht eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung des Heim- und Pflegevertrags sowie Regelung von Beschäftigungsverhältnissen. Der Beteiligte zu 1) ist zu ihrem Betreuer bestellt.

Im Jahr 2011 verstarb der Vater der Beteiligten zu 3). Gemäß dessen letztwilliger Verfügung wurde die Beteiligte zu 3) neben weiteren Begünstigten zur Erbin eingesetzt, wobei ihr nur die Stellung einer nicht befreiten Vorerbin eingeräumt wurde. Als Ziel des Testaments bezeichnete der Erblasser ausdrücklich die Unterstützung des behinderten Kindes über das Sozialamt-Niveau hinaus in der Weise, dass es ein Leben führen könne, „wie es der Mittelklasse in Deutschland entspricht“. Das bedeute Wohnen in einem Einzelzimmer einer Behinderteneinrichtung, Finanzierung moderner Kleidung und von Ferienmaßnahmen, Aktivitäten zur Integration, Unterstützung der Mobilität auch durch Ausflüge mit der notwendigen Begleitung. Zur Verwirklichung dieses und der weiteren genannten Ziele wurde Dauertestamentsvollstreckung auf die Lebenszeit angeordnet.

Das Vermögen der Beteiligten zu 3) besteht im Wesentlichen aus deren Anteil am nicht auseinandergesetzten Nachlass des Verstorbenen. Das übrige Reinvermögen beläuft sich auf weniger als 25.000 €.

Das Amtsgericht - Betreuungsgericht – hat gegen die Beteiligte zu 3) einen Betrag von 200 € als Jahresgebühr 2017 nach Nr. 11101 KV GNotKG geltend gemacht.

Die hiergegen vom Beteiligten zu 1) erhobene Erinnerung hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Die wertabhängige Gebühr sei aus dem Wert des Vermögens ohne Rücksicht auf dessen Verwertbarkeit oder tatsächliche Verfügbarkeit zu ermitteln. Mindernd zu berücksichtigen seien nur die in der Norm ausdrücklich bezeichneten Positionen, nämlich der Freibetrag von 25.000 € und die in § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII genannten Vermögenswerte. Mittellosigkeit im Sinne der betreuungsrechtlichen Vergütungsvorschriften stehe dem Ansatz von Gerichtskosten nicht entgegen. Gemäß Anregung der Beteiligten zu 2), der zuständigen Bezirksrevisorin als Vertreterin der Staatskasse, hat das Amtsgericht die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Das Landgericht hat die eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Für die Festsetzung der Jahresgebühr sei es nach den Bestimmungen des Kostenverzeichnisses, nämlich der Vorbemerkung 1.1 Abs. 1 sowie Nr. 11101 Abs. 1 KV GNotKG, unerheblich, ob der Betreute über das für die Wertfestsetzung heranzuziehende Vermögen verfügen könne oder ob er aus dem Vermögen ein Einkommen beziehe, das eine Bezahlung der festgesetzten Gebühr ermögliche. Die weitere Beschwerde wurde zugelassen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beteiligte zu 1) mit der weiteren Beschwerde. Er meint, dass die Beteiligte zu 3) keine Gerichtskosten zu tragen habe, da gemäß Leistungsbescheid die Voraussetzungen für Sozialhilfe vorlägen. Die Beteiligte zu 3) sei mittellos. Als nicht befreite Vorerbin habe sie lediglich einen Anspruch auf Auskehr von Früchten, welche der gebundene Nachlass aber nicht abwerfe. Zudem habe sie aufgrund der Testamentsvollstreckung keinen Zugriff auf etwaige Erträge.

Die Beteiligte zu 2) verweist wegen ihres abweichenden Gesetzesverständnisses auf die der Verwaltungspraxis zugrundeliegenden Richtlinien der bayerischen Bezirksrevisoren 2014, dort Nr. 276. Diese besagen unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts (RPfleger 1997, 16) und des Landgerichts Koblenz (FamRZ 2006, 138), dass zum maßgeblichen Reinvermögen in vollem Umfang ererbtes, einer Testamentsvollstreckung unterliegendes Vermögen gehöre, auch bei einer nicht befreiten Vorerbschaft.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II. Problem

Das Rechtsmittel hat nach der Ansicht des OLG München Erfolg und führe zur ersatzlosen Aufhebung des angegriffenen Kostenansatzes.

Die Entscheidung des Landgerichts beruhe auf einer Verletzung des Rechts. Nach Nr. 11101 Abs. 1 Satz 2 KV GNotKG (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GNotKG) sei der Erbanteil der Betroffenen, der im Rahmen eines sog. Behindertentestaments mit einer Nacherbfolge und einer Testamentsvollstreckung beschwert ist, bei der Berechnung des Geschäftswerts für die Erhebung der Jahresgebühr nicht zu berücksichtigen. Für das während des Kalenderjahrs 2017 durchgeführte Betreuungsverfahren sei keine gerichtliche Gebühr in Rechnung zu stellen.

Gemäß Nr. 11101 KV GNotKG sei eine wertabhängige Jahresgebühr für jedes angefangene Kalenderjahr einer Dauerbetreuung zu erheben, sofern die Betreuung (zumindest auch) unmittelbar das Vermögen oder Teile des Vermögens zum Gegenstand hat.

Berechnet werde die Jahresgebühr nach Nr. 11101 KV GNotKG gemäß Abs. 1 Satz 1 des Gebührentatbestands nach dem Wert des Betroffenenvermögens, soweit es nach diesen Vorgaben den Betrag von 25.000 € übersteigt. Ist der Gegenstand der Betreuung allerdings nur ein Teil des Vermögens, so sei gemäß Abs. 1 Satz 2 des Gebührentatbestands höchstens dieser Teil des Vermögens zu berücksichtigen.

Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes komme es somit für die Bemessung des Geschäftswerts zwar nicht darauf an, ob das Vermögen des Betreuten verwertbar oder verfügbar ist, wohl aber darauf, ob sich die Betreuung auf das gesamte Vermögen des Betreuten oder nur auf einen Teil desselben bezieht.

Insoweit unterscheide sich der Gebührentatbestand der Nr. 11101 KV GNotKG von den Bestimmungen des § 92 Abs. 1 KostO. Nach dem Wortlaut der damals geltenden Bestimmung war der Wert des gerichtlichen Verfahrens in Betreuungssachen stets nach dem gesamten Vermögen des Betroffenen zu bemessen, selbst dann, wenn die Betreuung ausschließlich für Aufgabenkreise ohne vermögensrechtlichen Bezug eingerichtet war. Erst aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom (BVerfGE 115, 381) wurde § 92 Abs. 1 KostO geändert. Mit den in Abs. 1 neu eingefügten Sätzen 3 und 4 wurde ausdrücklich bestimmt, dass sich der Verfahrenswert nur nach dem Wert eines Vermögensteils richtet, wenn Gegenstand der Betreuung lediglich dieser Teil des Vermögens ist, und dass eine Festgebühr nach näherer Maßgabe zu entrichten ist, wenn vom Aufgabenkreis nicht unmittelbar das Vermögen erfasst ist. Die mit Satz 3 eingeführte Beschränkung des Werts auf höchstens den Teil des Vermögens, der Gegenstand „der Maßnahme“, also der Betreuung, ist, entspricht der nun geltenden Beschränkung gemäß Abs. 1 des in Nr. 11101 KV GNotKG geregelten Gebührentatbestands.

Die Begründung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stellt darauf ab, dass eine Ausrichtung der Gebühr an der Höhe des Vermögens bei solchen Dauerbetreuungen sachlich gerechtfertigt sei, die ausschließlich oder zumindest auch Vermögensangelegenheiten betreffen. Mit dem Wert des Vermögens steige typischerweise auch der Bearbeitungsaufwand, den das Gericht für die Kontrolle der das Vermögen betreffenden Maßnahmen des Betreuers zu erbringen habe. Überdies steige das Haftungsrisiko des Staats. Dies gelte in Fällen der alleinigen Personensorge nicht.

Die daraufhin mit § 92 Abs. 1 Satz 3 KostO erlassene und in Nr. 11101 Abs. 1 Satz 2 KV GNotKG übernommene Beschränkung des Verfahrenswerts in Fällen der Dauerbetreuung mit unmittelbarem Bezug auf lediglich einen Teil des Betreutenvermögens gründe in dieser Verknüpfung zwischen der Höhe des von der Maßnahme betroffenen Vermögens und dem Bearbeitungsaufwand sowie Haftungsrisiko des Gerichts (vgl. BT-Drs. 16/3038 S. 53). Das Vermögen des Betreuten werde danach nur insoweit bei der Bewertung berücksichtigt, als es Gegenstand der Betreuung ist. Dabei könne sich eine Beschränkung auf einen Teil des Vermögens nicht nur aus einer ausdrücklichen Einschränkung im Bestellungsbeschluss, sondern auch „aus den Verhältnissen“ und dem Aufgabenkreis ergeben.

Das der Betreuten über ein sog. „Behindertentestament“ als nicht befreiter Vorerbin zugewandte, der Dauerverwaltung durch einen Testamentsvollstrecker unterliegende Vermögen sei bei der Berechnung des Geschäftswerts, aus dem die Jahresgebühr nach Nr. 11101 KV GNotKG zu erheben ist, nicht zu berücksichtigen, denn dieser Teil des Betreutenvermögens unterliegt nicht der vom Betreuungsgericht zu kontrollierenden Verwaltung des Betreuers, sondern derjenigen des Testamentsvollstreckers.

Dass es für die Bemessung der Jahresgebühr nach allgemeiner und zutreffender Meinung nicht darauf ankommt, ob das vom Aufgabenkreis der Vermögenssorge erfasste Vermögen verwertbar oder für den Betreuten verfügbar ist, sei für die Entscheidung der hier relevanten Frage nach dem Wert des Vermögens, auf das sich die Betreuung und daher die Kontrollaufgabe des Gerichts und dessen Haftungsrisiko beziehen, irrelevant. Die allein auf diese Gesichtspunkte abstellenden Entscheidungen (OLG Celle FamRZ 2017, 1083 m. zust. Anm. Weber NZFam 2017, 327; OLG Hamm FGPrax 2015, 278; OLG Köln, 2 Wx 66/09; LG Hannover BeckRS 2016, 114752; LG Köln NJOZ 2015, 757; LG Koblenz, 2 T 174/05; AG Köln BeckRS 2015, 8109) würden zu kurz greifen. Nichts anderes gelte für den teils beschrittenen Weg eines Wertkorrektivs durch Berücksichtigung des Werts der Nacherbenanwartschaft als Passivposten bei der Ermittlung des Reinvermögens (vgl. LG Kempten, 43 T 783/17, juris; LG Augsburg BtPrax 2017, 249 m. zust. Anm. Hofer BtPrax 2017, 232 ff. sowie Rpfleger 2018, 582 ff. und abl. Anm. Bestelmeyer Rpfleger 2018, 173 f.).

Entscheidend sei vielmehr der Umstand, dass das Nachlassvermögen wegen der angeordneten Dauertestamentsvollstreckung im Sinne einer Verwaltungsvollstreckung (§ 2209 BGB) nicht von dem für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge bestellten Betreuer, sondern vom Testamentsvollstrecker verwaltet wird, der gemäß § 2216 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses und Einhaltung der vom Erblasser verfügten Verwaltungsanordnungen verpflichtet ist. Gegenstand der Betreuung im Bereich der Vermögenssorge sei wegen dieser gesetzlichen Zuständigkeit deshalb nicht unmittelbar das der Testamentsvollstreckung unterliegende Nachlassvermögen, sondern lediglich die Ausübung der Kontrollrechte (§ 2218 BGB) und gegebenenfalls die Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem Testamentsvollstrecker (§ 2217 Abs. 1, § 2219 Abs. 1 BGB). Aus dieser gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung folge, dass das Vermögen der Betreuten nur hinsichtlich desjenigen Teils Gegenstand der dem Beteiligten zu 1) übertragenen Betreuung ist, der nicht der Testamentsvollstreckung unterliegt (vgl. LG München I, Beschluss vom 24.9.2018, 13 T 6648/18, nicht veröffentlicht; Waldner in Rohs/Wedewer GNotKG Stand 2018 KV Nr. 11101 Rn. 21; Kuchler in BeckOK-Kostenrecht KostO [aK] § 92 Rn. 20; Jürgens/Winterstein Betreuungsrecht Kostenverzeichnis Vorbemerkung Rn. 5; hierzu auch Hofer BtPrax 2017, 582/586; ablehnend: Korintenberg/Fackelmann GNotKG 20. Aufl. Vorbemerkung 1.1 Rn. 12). Dementsprechend sei auch die Kontrolltätigkeit des Betreuungsgerichts auf die Prüfung begrenzt, ob der Betreuer seiner Kontrollpflicht nachgekommen ist und bei festgestellten Beanstandungen die Rechte des Betreuten geltend gemacht hat. Die aufwendige Überprüfung der nachlassbezogenen Verwaltungstätigkeit selbst, einschließlich der Belege und der Einzelheiten der periodischen Rechnungslegung, die sich hier nach § 2218 Abs. 2 BGB richtet, obliege hingegen nicht dem Betreuungsgericht, sondern dem Betreuer als gesetzlichem Vertreter der Vorerbin oder gegebenenfalls einem Kontrollbetreuer (vgl. Ruby/Schindler Das Behindertentestament § 3 Rn. 17, 121 - 136, § 4 Rn. 37 - 39, § 5 Rn. 39 f., Rn. 54 -57).

Nachdem das für die Wertberechnung somit maßgebliche Vermögen der Beteiligten zu 3) im Abrechnungszeitraum 2017 den Freibetrag von 25.000 € nicht überschritt, waren Gebühren nach Nr. 11101 KV GNotKG nicht zu erheben.

III. Fazit

Die erbrechtliche Gestaltung eines sog. Behindertentestaments bedarf in der Praxis einer genauen Beratung und Planung. Ein Aspekt hierbei ist die Betreuung des Erben und die diesbezüglich anfallenden Kosten.

Das OLG München wendet sich in der vorliegenden Entscheidung gegen die bisher wohl überwiegende Ansicht in der Rechtsprechung und verneint eine Berücksichtigungsfähigkeit des Werts einer Erbschaft für die Ermittlung der Jahresgebühr für die Dauerbetreuung mit Vermögenssorge, wenn dieser Wert einem nicht befreiten Vorerben bei gleichzeitig angeordneter Dauertestamentsvollstreckung zufällt. Entscheidend hierbei sei, dass nicht der vollständige Nachlass, sondern nur die Rechte des Erben gegenüber dem Testamentsvollstrecker Gegenstand der Betreuung seien.

Im Sinne einer Planungssicherheit und mit Blick auf die abweichenden Ansichten der Oberlandesgerichte Köln, Celle und Hamm, bleibt zu hoffen, dass sich in der Rechtsprechung alsbald eine einheitliche Linie entwickelt, oder der Gesetzgeber eine Klarstellung im GNotKG trifft.

 


Rezension des Beschlusses des OLG München v. 17.01.2019 - 34 Wx 165/18 Kost „Dauerbetreuung / Jahresgebühr / Behindertentestament", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.4 April 2019, S.238 ff


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