Beschwerdeberechtigung; Bestellung eines Abwesenheitspflegers

Amtlicher Leitsatz:

Der Erbe ist gegen die gerichtliche Bestellung eines Abwesenheitspflegers für einen Pflichtteilsberechtigten nicht beschwerdeberechtigt (Fortführung von Senatsbeschluss vom 31. Januar 2018 - XII ZB 25/17 - FamRZ 2018, 764).

BGH (XII. Zivilsenat), Beschluss vom 17.03.2021 – XII ZB 415/19

BGB § 1911
FamFG § 59 Abs. 1

I. Einführung

Die Beteiligte zu 1) wendet sich gegen die Erweiterung einer Abwesenheitspflegschaft für die 1965 geborene Betroffene, deren Aufenthalt nicht bekannt ist.

Die Betroffene ist eine von zwei Töchtern des im Jahr 2018 verstorbenen Erblassers. Die frühere Beteiligte zu 1) war die Ehefrau des Erblassers und die Mutter der Betroffenen. Mit notariellem „Erbvertrag“ setzte der Erblasser die frühere Beteiligte zu 1) als Alleinerbin ein. Die frühere Beteiligte zu 1) setzte den Erblasser und ihre weitere Tochter, die jetzige Beteiligte zu 1), zu gleichen Teilen als ihre alleinigen Erben ein.

Auf Anregung des Nachlassgerichts wurde eine Abwesenheitspflegschaft für die Betroffene mit dem Aufgabenkreis „Vertretung (…) im Testamentseröffnungsverfahren“ angeordnet und der Beteiligte zu 2), ein Rechtsanwalt, zum Abwesenheitspfleger bestellt. Auf dessen Anregung ist die Abwesenheitspflegschaft um den Aufgabenkreis Geltendmachung von Auskunftsansprüchen gegenüber „den Miterben“ sowie zur „Geltendmachung und späteren Hinterlegung eines Pflichtteils“ erweitert worden.

Die dagegen von der früheren Beteiligten zu 1) eingelegte Beschwerde hat das Landgericht wegen fehlender Beschwerdebefugnis verworfen.

Nach Auffassung des Landgerichts besteht keine Beschwerdeberechtigung nach § 59 Abs. 1 FamFG, weil es an einer Rechtsbeeinträchtigung fehle. Eine solche sei bei Anordnung einer Abwesenheitspflegschaft nur in Bezug auf den Abwesenden und/oder Pfleger möglich. Die Abwesenheitspflegschaft diene primär, ähnlich wie die Einrichtung einer Betreuung, nur dem Betroffenen bzw. dem Abwesenden, damit dessen „Handlungsvollmacht“ nach seinem Interesse erhalten bleibe. Eine unmittelbare Beeinträchtigung von Rechten der früheren Beteiligten zu 1) sei daher nicht möglich. Es gebe kein von der Rechtsordnung verliehenes Recht des Schuldners, nicht (gerichtlich) in Anspruch genommen zu werden. Erst recht könne keine Rechtsverletzung vorliegen, wenn man - was von der früheren Beteiligten zu 1) nicht in Abrede gestellt worden sei - zu Recht in Anspruch genommen werde.

Soweit die frühere Beteiligte zu 1) sich darauf berufen habe, dass die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen höchstpersönlich sei und daher nur dem Berechtigten selbst vorbehalten bleibe, handele es sich hierbei jedenfalls um ein subjektives Recht der Betroffenen, das von der früheren Beteiligten zu 1) nicht geltend gemacht werden könne. Soweit der Bundesgerichtshof ein Recht dritter Personen auf effektiven Rechtsschutz als Grund für eine Beschwerdeberechtigung herangezogen habe, sei dies hier nicht berührt. Auch werde der Nachlass durch die Anordnung einer Abwesenheitspflegschaft nicht mit einer unmittelbaren Zahlung belastet.

 

Die frühere Beteiligte zu 1) ist nach Zustellung des Beschwerdebeschlusses verstorben. Die jetzige Beteiligte zu 1) führt das Verfahren als deren Erbin fort. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt sie die Aufhebung der vorinstanzlichen Beschlüsse.

II. Problem

Der BGH erachtete die Beschwerde als statthaft und auch sonst zulässig.

Die jetzige Beteiligte zu 1) sei hinsichtlich des vorliegenden Verfahrens als alleinige Erbin nach § 1922 BGB in die Rechtsstellung ihrer Mutter eingetreten. Die jetzige Beteiligte zu 1) könne das Verfahren mithin als Rechtsnachfolgerin ihrer Mutter fortführen.

Die Beschwerde war jedoch in der Sache nicht erfolgreich. Das Landgericht ist nach Ansicht des BGH zu Recht davon ausgegangen, dass der früheren Beteiligten zu 1) die Beschwerdeberechtigung im Verfahren der Erstbeschwerde fehlte.

Nach § 59 Abs. 1 FamFG stehe die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Die Vorschrift erfordere eine Beeinträchtigung eigener Rechte, welche von bloßen rechtlichen Interessen zu unterscheiden seien. Über den Fall der Rechtsbeeinträchtigung hinaus räume die Vorschrift nur Behörden bei entsprechender besonderer gesetzlicher Anordnung eine Beschwerdebefugnis ein (Senatsbeschluss vom 18. April 2012 - XII ZB 623/11 - NJW 2012, 2039 Rn. 8 mwN).

Eine Rechtsbeeinträchtigung könne dementsprechend bei Bestellung eines Abwesenheitspflegers nur in der Person eintreten, für die der Pfleger bestellt worden ist. Bei nicht vom Verfahren betroffenen Dritten seien hingegen in diesem Zusammenhang allenfalls bloße rechtliche Interessen berührt, was für eine Beschwerdeberechtigung nicht ausreiche (Senatsbeschluss vom 18. April 2012 - XII ZB 623/11 - NJW 2012, 2039 Rn. 8 mwN). Das gelte insbesondere auch dann, wenn der abwesende Betroffene durch den vom Gericht bestellten Pfleger in die Lage versetzt wird, Ansprüche gegen Dritte geltend zu machen. Denn die dadurch begründete rechtliche Handlungsfähigkeit einer anderen Person für den Betroffenen berühre nur dessen eigene Rechtssphäre, sie greife aber nicht in Rechte Dritter ein. Ob der Anspruch gegen den Dritten besteht und auf welche Weise er geltend gemacht werden kann, sei folglich in einem gesonderten Verfahren zu klären.

Gemessen an diesen Maßstäben sei die Erstbeschwerde der früheren Beteiligten zu 1) mangels eigener Rechtsbeeinträchtigung unzulässig.

Die Interessen der früheren Beteiligten zu 1) seien zwar aufgrund ihrer Erbenstellung nach dem Tod des Erblassers insoweit berührt gewesen, als sie die - sicherungsweise - Geltendmachung eines der Betroffenen zustehenden Pflichtteilsanspruchs durch den vom Amtsgericht bestellten Abwesenheitspfleger zu erwarten hatte. Daraus könne sich aber allenfalls ein mittelbares rechtliches Interesse ergeben, welches für eine Rechtsbeeinträchtigung nicht ausreiche. Ob der Anspruch als solcher von der Beteiligten zu 1) bestritten oder aber entsprechend der vom Landgericht angestellten Hilfserwägung anerkannt worden ist, sei dafür nicht erheblich.

Die Rechtsbeschwerde berufe sich ohne Erfolg darauf, dass die Entscheidung über die Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs mit Rücksicht auf die familiäre Verbundenheit allein dem Pflichtteilsberechtigten überlassen bleibt (vgl. Senatsurteil vom 28. November 2012 - XII ZR 19/10 - FamRZ 2013, 278 Rn. 22; BGH Beschluss vom 2. Dezember 2010 - IX ZB 184/09 - FamRZ 2011, 212 Rn. 10). Ob und unter welchen Voraussetzungen der Pflichtteilsanspruch von einem Vertreter geltend gemacht werden kann und inwiefern die Geltendmachung des Anspruchs der höchstpersönlichen Entscheidung des Anspruchsberechtigten vorbehalten bleibt, sei im vorliegenden Zusammenhang nicht erheblich. Denn dabei handele es sich nicht um eine Frage der Beschwerdebefugnis als Zulässigkeitsvoraussetzung des Rechtsmittels, sondern von dessen Begründetheit. Eine Ausstrahlung des durch die Pflegerbestellung berührten Bestimmungsrechts der Betroffenen auf die Rechtsstellung des Erben als Anspruchsverpflichteten vermöge als bloßer Rechtsreflex keine Beschwerdeberechtigung nach § 59 Abs. 1 FamFG zu begründen (vgl. auch Senatsbeschluss vom 31. Januar 2018 - XII ZB 25/17 - FamRZ 2018, 764 Rn. 12 mwN).

III. Fazit

Der BGH stellt in der vorliegenden Entscheidung die bereits in einer Entscheidung aus dem Jahr 2018 formulierten Grundsätze zur Beschwerdeberechtigung bei der gerichtlichen Bestellung eines Abwesenheitspflegers dar.

Danach fehlt einem Erben bei einem Vorgehen gegen die gerichtliche Bestellung eines Abwesenheitspflegers für einen abwesenden Pflichtteilsberechtigten die Beschwerdeberechtigung. Die bloße Tatsache, dass der Erbe in diesen Fällen womöglich zu befürchten hat, dass der Abwesenheitspfleger in einem nächsten Schritt Pflichtteilsansprüche gegen ihn geltend macht, betrifft nach der Entscheidung, hinsichtlich der Bestellung des Abwesenheitspflegers an sich, lediglich ein mittelbares rechtliches Interesse des Erben, aber begründet keine für die Beschwerdeberechtigung erforderliche Rechtsbeeinträchtigung.


Rezension des Beschlusses des BGH  v. 17.03.2021 - XII ZB 415/19 - LG Siegen; „Beschwerdeberechtigung / Bestellung eines Abwesenheitspflegers", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr. 8  August 2021, S.443 f


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