Behindertentestament; Mittellosigkeit; Dauertestamentsvollstreckung
Leitsatz:
Selbst wenn der Testamentsvollstrecker beim Behindertentestament im Rahmen einer Dauertestamentsvollstreckung den Nachlassgegenstand entgegen den Anordnungen des Erblassers pflichtwidrig zugunsten des Betroffenen freigibt, lässt dies dessen Mittellosigkeit nicht entfallen (Fortführung von Senatsbeschluss vom 1. Februar 2017 - XII ZB 299/15 - FamRZ 2017, 758).
BGH, Beschluss vom 10.05.2017 - XII ZB 614/16
BGB § 2205, § 2211, § 2214, § 2216 Abs. 2, § 2217
FamFG § 168
I. Einführung
Die Staatskasse wendet sich mit ihrer Rechtsbeschwerde gegen die Festsetzung einer Betreuervergütung aus der Staatskasse.
Die 1957 geborene Betroffene steht wegen einer geistigen Behinderung unter Betreuung. In dem gemeinschaftlichen Testament hatten ihre Eltern sich gegenseitig zu Erben eingesetzt. Der jeweils Längstlebende sollte befreiter Vorerbe sein. Zum Nacherben des Überlebenden wurden die fünf gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen eingesetzt. Hierbei wurde hinsichtlich der beiden behinderten Kinder bestimmt, dass diese bezüglich ihres Erbanteils lediglich Vorerben werden und Nacherben dieser beiden die gesetzlichen Erben sein sollen. Zudem ordneten die Eltern der Betroffenen hinsichtlich der auf die beiden behinderten Kinder entfallenden Nachlassteile eine Dauertestamentsvollstreckung bis zu ihrem Tod an. Der Testamentsvollstrecker sollte insoweit die Aufgabe haben, aus den Erträgnissen des Vermögens hinsichtlich der beiden behinderten Abkömmlinge deren Bedürfnisse auf Kleidung, Reisen, Taschengeld, Liebhabereien etc. zu befriedigen. Die Eltern verfügten weiter, dass ihre behinderten Abkömmlinge keinen Anspruch auf Auszahlung ihres Anteils oder der Früchte aus dem Vermögen haben sollen. Im Jahr 2009 verstarb die Mutter der Betroffenen, nachdem zuvor ihr Vater verstorben war.
Die im Jahr 2014 verstorbene Schwester der Betroffenen wurde zunächst zur Betreuerin der Betroffenen bestellt und übernahm später die Testamentsvollstreckung. Im Jahre 2010 bestellte das Amtsgericht den Beteiligten zu 2) zum Ergänzungsbetreuer für den Aufgabenkreis Vermögenssorge einschließlich Regelungen der Erbschaftsangelegenheiten. Nachdem der Ergänzungsbetreuer sie aufgefordert hatte, den Anteil der Betroffenen am Erbe für diese anzulegen, legte die Testamentsvollstreckerin den sich aus der Erbquote ergebenden Betrag von 29.100 € auf einem Sparkonto an, das auf den Namen der Betroffenen lautete. Der Ergänzungsbetreuer teilte im März 2015 mit, dass die Betroffene ein aktuelles Vermögen in Höhe von 31.698,97 €, darunter die „Vorerbschaft“ in Höhe von 29.100 € habe.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht eine Vergütung und einen Aufwendungsersatz des Ergänzungsbetreuers aus der Staatskasse festgesetzt. Ferner hat es auf die noch zu Lebzeiten der Testamentsvollstreckerin (und Betreuerin) gestellten Anträge ihre Aufwandsentschädigung für die Tätigkeit ebenfalls aus der Staatskasse festgesetzt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Staatskasse zurückgewiesen. Es hat hierbei die Mittellosigkeit der Betroffenen angenommen.
Hiergegen wendet sich die Staatskasse mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II. Problem
Die Rechtsbeschwerde war nach der Entscheidung des BGH unbegründet.
Der BGH stellte zunächst erneut dar, dass sogenannte Behindertentestamente grundsätzlich nicht sittenwidrig sind, sondern vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus seien.
Die angeordnete Testamentsvollstreckung schränke die Verfügungsbefugnis des Betroffenen gemäß § 2211 BGB ein. In der Folge können sich die Gläubiger des Erben, die nicht zu den Nachlassgläubigern gehören, nicht an die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände halten, § 2214 BGB. Allerdings habe der Betroffene als Erbe einen durchsetzbaren Anspruch darauf, dass der Testamentsvollstrecker die vom Erblasser getroffenen Verwaltungsanordnungen im Sinne des § 2216 Abs. 2 BGB umsetzt.
Es sei von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die vom Amtsgericht vorgenommene Festsetzung der Vergütung, des Aufwendungsersatzes und der Aufwandsentschädigung zugunsten der jeweiligen Betreuer aus der Staatskasse bestätigt hat. Das Landgericht sei im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Betroffene mittellos ist.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sei die Betroffene nicht gehalten, den Betrag, den die Testamentsvollstreckerin für sie durch die Eröffnung eines auf ihren Namen lautenden Sparkontos angelegt hat, für die Betreuervergütung einzusetzen. Dabei könne dahinstehen, ob die Testamentsvollstreckerin diesen Betrag i.S.v. § 2217 Abs. 1 BGB durch die Eröffnung des Kontos freigegeben hat, was vom Landgericht allerdings verneint wurde. Denn selbst in diesem Fall bleibe die Betroffene mittellos.
Nach § 2217 Abs. 1 BGB habe der Testamentsvollstrecker Nachlassgegenstände, derer er zur Erfüllung seiner Obliegenheiten offenbar nicht bedarf, dem Erben auf Verlangen zur freien Verfügung zu überlassen. Mit der Überlassung erlösche sein Recht zur Verwaltung der Gegenstände.
Überlasse der Testamentsvollstrecker den Nachlassgegenstand dem Erben zur freien Verfügung, trete die Wirkung der Freigabe unabhängig davon ein, ob die Voraussetzungen für einen entsprechenden Freigabeanspruch vorgelegen haben, also selbst bei pflichtwidrigem Handeln des Testamentsvollstreckers. Auch ein Irrtum des Testamentsvollstreckers über die Voraussetzungen seiner Überlassungspflicht vermöge an der einmal eingetretenen dinglichen Rechtslage der freien Verfügungsmacht des Erben nichts mehr zu ändern (Staudinger/Reimann, § 2217 Rn. 20; s. auch MüKo-BGB/Zimmermann, § 2217 Rn. 9).
Jedoch könne der Testamentsvollstrecker, der ohne Rechtsgrund, also beim Fehlen der in § 2217 Abs. 1 BGB vorgeschriebenen Voraussetzungen, einen vermeintlichen Freigabeanspruch erfüllt hat, nach Bereicherungsgrundsätzen (§ 812 Abs. 1 S. 1 BGB) vom Erben die Wiederherstellung seines Verwaltungsrechts, bei Unmöglichkeit der Herausgabe des freigegebenen Gegenstands Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB verlangen. Die Voraussetzungen des Bereicherungsanspruchs seien auch dann erfüllt, wenn der Testamentsvollstrecker irrtümlich angenommen hat, er bedürfe bestimmter Nachlassgegenstände zur Erfüllung seiner Obliegenheiten nicht, und wenn er sie deshalb dem Erben freigegeben hat. Entsprechendes gelte, wenn der Testamentsvollstrecker seine Freigabehandlung als solche gar nicht erkannt hat und ein rechtlicher Grund für die Freigabe nicht gegeben war (MüKo-BGB/Zimmermann, § 2217 Rn. 9; vgl. auch Staudinger/Reimann, § 2217 Rn. 20).
Diese Voraussetzungen für einen schuldrechtlichen Rückgewähranspruch seien hier - bei unterstellter Freigabe - gegeben. Eine Freigabe nach § 2217 BGB würde den eindeutigen Anordnungen der Erblasser widersprechen. Außerdem bedürfe die Testamentsvollstreckerin des Nachlassgegenstandes zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten.
Würde man also mit der Rechtsbeschwerde von einer Freigabe des Nachlassgegenstands ausgehen, sei demzufolge das Vermögen der Betroffenen mit einer der Höhe nach entsprechenden Forderung auf Rückgewähr belastet. Damit sei das Sparkonto für die Betroffene im Ergebnis nicht werthaltig.
Ebenso wenig sei die Entscheidung des Landgerichts zu beanstanden, dass die Vergütungen nicht aus den Erträgnissen des der Testamentsvollstreckung unterliegenden Vermögens gezahlt werden muss. Die Auslegung, dass die „Bedürfnisse, die bei einem Behinderten auftreten“, nach dem Willen der Erblasser nicht die Betreuervergütung, sondern tatsächliche Erleichterungen und Hilfsmittel im Alltag meinen, mag nicht zwingend sein (BGH, FamRZ 2013, 874 Rn. 3, 26 f.), sei aber nach dem Maßstab der eingeschränkten rechtsbeschwerderechtlichen Kontrolle nicht zu beanstanden.
III. Fazit
Die Entscheidung beschäftigt sich mit der typischen Gestaltung eines Behindertentestaments und der dadurch oftmals angestrebten Mittellosigkeit des Betroffenen, welche verhindern soll, dass der Betroffene Ansprüche gegen den Sozialhilfeträger verliert.
Nach der Entscheidung des BGH wird die Mittellosigkeit des Betroffenen in diesem Fall nicht durch eine pflichtwidrige Freigabe von Nachlassgegenständen durch den Testamentsvollstrecker berührt, da das Vermögen des Betroffenen mit einer Verpflichtung zur Rückgewähr in entsprechender Höhe belastet ist. Der durch die Freigabe erlangte Nachlassgegenstand ist für den Betroffenen aufgrund dessen nicht werthaltig.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Burandt
Rezension des Beschlusses des BGH v. 10.05.2017 - XII ZB 614/16 „Behindertentestament / Mittellosigkeit / Dauertestamentsvollstreckung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.9 September 2017, S.525 ff