Auflösung der Ehe; letztwillige Verfügung; Ersatzerben

Leitsatz:

  1. Die Unwirksamkeit einer letztwilligen Verfügung zugunsten des Ehepartners aufgrund des § 2077 Abs. 1 BGB wegen Auflösung der Ehe vor dem Tod des Erblassers stellt einen Wegfall des zunächst bedachten Erben im Sinne des § 2096 BGB dar, so dass der Ersatzerbfall eintritt. (amtlicher Leitsatz)
  2. Die Einsetzung eines Ersatzerben ist im Verhältnis zur primären Erbeinsetzung eine selbstständige Verfügung im Sinne des § 2085 BGB und bleibt deshalb wirksam, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie ohne die unwirksame Erbeinsetzung nicht erfolgt wäre. Dies kommt auch dann in Betracht, wenn Verwandte des später gemäß § 2077 Abs. 1 BGB weggefallenen Ehepartners als Ersatzerben bestimmt wurden. (amtlicher Leitsatz)

OLG Hamburg, Beschluss vom 01.07.2015 - 2 W 19/15

BGB §§ 2077 Abs. 1, Abs. 3, 2085, 2096

I. Einführung

Die Beteiligten streiten über die Erteilung eines Erbscheins an den Beteiligten zu 1.), die maßgeblich von der Auslegung des Testaments der Erblasserin abhängig ist.

Die Erblasserin G verstarb 2013. Sie hinterließ ein notarielles Testament, mit unter anderem folgenden Inhalt:

„1. Zu meinem alleinigen Erben setze ich ein meinen Ehemann, Herrn H. ein. Er soll über den Nachlass sowohl unter Lebenden, als auch von Todes wegen völlig frei verfügen können.

  1. Für den Fall, dass mein Ehemann als Erbe wegfallen sollte, berufe ich zu Ersatzerben zu gleichen Teilen: den nicht ehelichen Sohn meines Ehemannes, Y. und den Neffen meines Ehemannes, F.“

Die Erblasserin wurde am 15.11.2011 von ihrem Ehemann geschieden. Die Scheidung wurde rechtskräftig.

Durch Beschluss des Amtsgericht Hamburg wurde eine Nachlasspflegschaft zur Verwaltung des Nachlasses und Ermittlung der Erben eingerichtet.

Der Beteiligte zu 1) beantragte die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins zusammen mit dem Beteiligten zu 4).

Das Amtsgericht hat den Erbscheinsantrag abgelehnt. Die Erbeinsetzung zugunsten des Ehemannes der Erblasserin sei gemäß § 2077 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam und dies habe zur Folge, dass auch die Ersatzerbeinsetzung der Beteiligten zu 1) und 4) unwirksam werde. Ein entgegenstehender Wille der Erblasserin gemäß § 2077 Abs. 3 BGB könne nicht ermittelt werden. Ein Ersatzerbfall sei schon gar nicht eingetreten, da unter „Wegfall“ des Ehemannes nicht die Unwirksamkeit gemäß § 2077 Abs. 1 BGB zu verstehen sei. Selbst wenn man dies annehme, so sei die Ersatzerbeneinsetzung an § 2085 BGB nur zu messen, sofern dies eine selbstständige testamentarische Regelung darstelle. Dies sei bei der Einsetzung eines Ersatzerben aber nicht der Fall, da diese mit der Erbeinsetzung des zunächst Bedachten unauflöslich verbunden sei. Mangels Selbstständigkeit der Verfügung komme § 2085 BGB nicht zur Anwendung und die gesamte testamentarische Verfügung sei unwirksam geworden. Auch eine Testamentsauslegung komme zu keinem anderen Ergebnis.

Gegen diesen Beschluss legte der Beteiligte zu 1) Beschwerde ein. Als Begründung wurde vorgetragen, § 2077 Abs. 1 BGB betreffe nur die Unwirksamkeit der Einsetzung des Ehemannes. Es sei unrichtig, dass eine Unwirksamkeit der Erbeinsetzung im Falle des § 2077 Abs. 1 BGB zur Folge habe, dass der Ersatzerbfall nicht eintrete. Die Ersatzerbeneinsetzung sei eine selbstständige testamentarische Verfügung, deren Wirksamkeit sich nach § 2085 BGB bestimme.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II. Problem

Die Beschwerde hatte Erfolg.

Der Beteiligte zu 1) hatte nach Ansicht des Senats einen Anspruch auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins gemäß §§ 2353, 2357 Abs. 1 BGB. Er sei durch letztwillige Verfügung der Erblasserin deren Ersatzerbe zu einem hälftigen Anteil geworden, §§ 1922, 2096 BGB.

Aus dem Testament ergebe sich eine wirksame Anordnung der Ersatzerbschaft zugunsten des Beteiligten zu 1) zusammen mit dem Beteiligten zu 4) je zur Hälfte. Der Ersatzerbfall sei, entgegen der Auffassung des Amtsgerichtes, dadurch eingetreten, dass die Verfügung zugunsten des Ehemannes der Erblasserin, des Beteiligten zu 3.), gemäß § 2077 Abs. 2 S. 1 BGB unwirksam geworden ist und damit der zunächst Bedachte im Sinne des § 2096 BGB weggefallen ist. Aus dieser Unwirksamkeit folge nicht, dass die Ersatzerbeneinsetzung der Beteiligten unwirksam ist.

Die Einsetzung des Ehemanns als Alleinerbe der Erblasserin sei wegen der rechtskräftigen Auflösung der Ehe vor dem Tod der Erblasserin gemäß § 2077 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam geworden.

Ein entgegenstehender Wille der Erblasserin gemäß § 2077 Abs. 3 BGB zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung dahingehend, die Erbeinsetzung des Ehemanns auch für den Fall der Auflösung der Ehe aufrechterhalten zu wollen, sei nicht ersichtlich.

Auch die Unwirksamkeit einer letztwilligen Verfügung aufgrund des § 2077 Abs. 1 BGB stelle einen Wegfall des zunächst bedachten Erben im Sinne des § 2096 BGB dar, sodass der Ersatzerbfall eintritt.

Der Eintritt des Ersatzerbfalls werde weit ausgelegt und könne durch Gründe tatsächlicher oder rechtlicher Natur ausgelöst werden, die dazu führen, dass der zunächst berufene Erbe nicht Erbe wird. Einigkeit bestehe darüber, dass im Falle des § 2096 BGB auch bei anfänglicher Nichtigkeit (etwa aufgrund Anfechtung gemäß §§ 2078 ff. BGB) von einem „Wegfall“ des Erben auszugehen ist (MüKo-BGB, § 2096 Rn. 2; Damrau Praxiskommentar Erbrecht/Sticherling, § 2096 Rn. 2). Daraus folge, dass es nicht darauf ankommt, ob der zunächst Bedachte wirksam als Erbe eingesetzt geworden ist und ihm erst im Nachhinein die Erbschaft versagt wird. Nichts anderes könne demgemäß für eine nachträgliche Unwirksamkeit aufgrund des § 2077 Abs. 1 BGB gelten. Soweit vorgetragen wurde, dass die Erblasserin nur für den Fall des Todes oder des Ausschlagens der Erbschaft durch den Ehemann den Ersatzerbfall vorgesehen hat, konnte der Senat dieser Argumentation nicht folgen. Derartige Konkretisierungen des Ersatzerbfalls seien ohne Weiteres möglich, wurden aber durch die notariell beratene Erblasserin nicht vorgenommen, sodass davon auszugehen sei, dass ein derartiger Wille nicht bestand. Gerade die Tatsache, dass dies nicht vorgenommen wurde, spreche auch dafür, dass eine unbedingte Einsetzung der Beteiligten zu 1) und 4) als Ersatzerben beabsichtigt war.

Die Einsetzung der Beteiligten als Ersatzerben sei gemäß der Auslegungsregel des § 2085 BGB nicht unwirksam. Das Gesetz sehe vor, dass eine von mehreren testamentarischen Verfügungen nur dann unwirksam sein soll, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser diese ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen haben würde. Ziel dieser Regelung sei es, dem Erblasserwillen in möglichst großem Umfang Geltung zu verschaffen und entgegen der eigentlichen Regelung des § 139 BGB eine Vermutung für die Wirksamkeit der Verfügung anzuordnen.

Die Einsetzung von Ersatzerben sei im Verhältnis zur Einsetzung eines zunächst bedachten Erben eine selbstständige Verfügung (vgl. OLG München, Beschluss vom 20.04.2010 - 31 Wx 83/09). Dies ergebe sich daraus, dass die Anordnung einer Ersatzerbschaft einen selbstständigen Regelungsinhalt hat, welcher über einen Verweis auf eine gesetzliche Rechtsfolge hinausgeht. Das Gesetz sehe eine Ersatzerbschaft gerade nicht vor, sodass bei Anordnung einer solchen, der Erblasser eine eigenständige Regelung trifft. Ob diese nun innerlich mit der Verfügung zugunsten des zunächst Bedachten zusammenhängt, sei in einem weiteren Schritt zu prüfen, ändere jedoch nichts an der Selbstständigkeit der Verfügung der Ersatzerbschaft an sich.

Es könne nicht festgestellt werden, dass die Erblasserin diese Verfügung ohne die unwirksame Verfügung, nämlich die Erbeinsetzung ihres Ehemannes, nicht vorgenommen hätte, sodass es bei der gesetzlichen Vermutung der Wirksamkeit nach § 2085 BGB bleibe. Die Feststellungslast im Erbscheinsverfahren für die tatsächlichen Umstände zur Feststellung des abweichenden Erblasserwillens trägt derjenige, der sich auf die Unwirksamkeit des gesamten Testaments beruft.

Aus dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang der Erbeinsetzung des Ehemannes der Erblasserin und der darauf folgenden Einsetzung der Ersatzerben ergebe sich nichts, was auf eine besondere Willensbildung der Erblasserin zu diesem Zeitpunkt schließen lasse. Weder sei darin aufgenommen, dass die Ersatzerbschaft nur eintreten soll, sofern die Ehe noch Bestand hat, noch sei ausdrücklich angeordnet, dass die Ersatzerbschaft von der Wirksamkeit der Einsetzung des zunächst Bedachten unabhängig sein soll.

Zwar hänge die Ehe der Erblasserin durchaus mit der Einsetzung seines Sohnes und seines Neffen als Ersatzerben zusammen, allerdings könne daraus nicht geschlossen werden, dass diese Einsetzungen nur aufgrund der bestehenden Ehe und einer sich hieraus ergebenden familiären Beziehung erfolgte und eine innerliche Bedingtheit mit einem Fortbestand der Ehe bestand.

Es sei festzustellen, dass die Erblasserin nicht lediglich den leiblichen Sohn ihres Ehemannes, und damit quasi ihren Stiefsohn, als Ersatzerben eingesetzt hat, sondern auch einen entfernteren Verwandten, nämlich den Neffen des Ehemannes. Hieraus könne man schließen, dass sich die Erblasserin umfangreiche Gedanken über die Ersatzerbschaft gemacht hat und mit ihrer Anordnung nicht lediglich Abkömmlinge ihres damaligen Ehemannes berücksichtigen wollte, sondern aufgrund einer eigenen Beziehung genau diese beiden Personen, nämlich die Beteiligten zu 1) und 4). Ihr sei es aufgrund einer engen Beziehung zu den beiden, damals noch minderjährigen Kindern, wichtig gewesen, dass diese Erben werden, soweit nicht ihr Ehemann erbt. Dass eine solche enge und vertraute Beziehung zwischen der Erblasserin und den Beteiligten zu 1) und 4) bestanden hat, sei umfangreich und substantiiert vorgetragen worden. Maßgeblich sei, ob die Beziehung derart gestaltet war, dass anzunehmen ist, die Erblasserin wollte die Beteiligten nicht unabhängig von einer bestehenden Ehe bedenken. Dies konnte das Gericht nicht erkennen.

Auch aus dem nachträglichen Verhalten der Erblasserin ergebe sich nicht, dass diese zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung die Ehe als einzig ausschlaggebendes Moment für die Anordnung der Ersatzerbschaft für Verwandte ihres Ehemanns ansah.

Schließlich sei auch zu sehen, dass das nachträgliche Verhalten der Erblasserin nicht dafür spreche, sie wolle die Ersatzerbschaft zugunsten der Beteiligten nur im Falle des Bestehens der Ehe mit ihrem Ehemann. Hierfür sprechen die Zahlungen der Erblasserin an einen der Beteiligten kurz vor der Scheidung sowie nach Scheidung in Höhe von jeweils rund 500 EUR. Diese Zahlungen in nicht unbeträchtlicher Höhe würden die nach wie vor gute Beziehung der Erblasserin zu ihrem Stiefsohn verdeutlichen. Dem sei zu entnehmen, dass die Erblasserin sich weiterhin für die Belange ihres Stiefsohnes interessierte, und zwar unabhängig von einer bestehenden Ehe. Weiterhin folgerte das Gericht aus diesem Verhalten der Erblasserin, dass sie durchaus dazu imstande war, die eigene Beziehung zu den Verwandten ihres Exmannes von der Beziehung und der Scheidung von diesem zu trennen. Dies spreche wiederum dafür, dass auch zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung kein Wille der Erblasserin dahingehend vorlag, die Einsetzung der Ersatzerbschaft von dem Bestand der Ehe abhängig zu gestalten. Die Vermutung des § 2085 BGB für die Wirksamkeit der Verfügung sei somit nicht widerlegt.

III. Fazit

Die Auslegung des hier entscheidungserheblichen Testaments beschäftigte sich mit der Ersatzerbschaft nach dem Wegfall des Ehegatten als Erben aufgrund einer Ehescheidung.

Das Gericht stellte hierzu fest, dass auch die Unwirksamkeit einer letztwilligen Verfügung aufgrund des § 2077 Abs. 1 BGB einen Wegfall des zunächst bedachten Erben im Sinne des § 2096 BGB darstellt, sodass der Ersatzerbfall eintritt.

Im weiteren war der wirksame Fortbestand der Ersatzerbeinsetzung zu untersuchen. Hierbei war entscheidend, dass die Einsetzung von Ersatzerben im Verhältnis zur Einsetzung eines zunächst bedachten Erben eine selbstständige Verfügung i. S. v. § 2085 BGB ist. Im Zweifel ist somit von der Wirksamkeit der Ersatzerbeinsetzung auszugehen. Anhaltspunkte dafür, dass die Ersatzerbeinsetzung mit der Erbeinsetzung des Ehegatten stehen und fallen soll, waren nicht gegeben.


Rezension des Beschlusses des OLG Hamburg v. 01.07.2015 - 2 W 19/15 Auflösung der Ehe / Letztwillige Verfügung / Ersatzerben", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.2 Februar 2016, S.125 ff

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