Anfechtung, Überschuldung, Inhaltsirrtum

Leitsätze:

  1. Die Prüfung eines Anfechtungsgrundes hat das Gericht nicht auf den in der Anfechtungserklärung ausdrücklich aufgeführten Sachverhalt zu beschränken. Eine wirksame Anfechtungserklärung bedarf nur der eindeutigen Kundgabe eines Anfechtungswillens, nicht der Angabe eines Anfechtungsgrundes. Der Anfechtende kann seine Beweggründe auch im Nachlassverfahren noch erläutern. (amtlicher Leitsatz)
  2. Ein Irrtum über die Überschuldung des Nachlasses (§ 119 Abs. 2 BGB) liegt nur vor, wenn der Erbe von einer Werthaltigkeit des Nachlasses ausgegangen ist. Daran fehlt es, wenn dem Erben die Möglichkeit der Überschuldung bewusst war, weil er selbst keine genauen Vorstellungen vom Nachlassbestand hatte. (amtlicher Leitsatz)
  3. Meint der Erbe, dass die Frist zur Ausschlagung des Erbes erst mit Erhalt des Erbscheins zu laufen beginnt, liegt nicht nur ein unbeachtlicher Irrtum über die Rechtsfolgen seines Verhaltens vor, sondern stellt sich ein solcher Irrtum vielmehr als Inhaltsirrtum dar. (amtlicher Leitsatz)

OLG Schleswig, Beschluss vom 31.07.2015 - 3 Wx 120/14

BGB §§ 119, 1943, 1944, 1945, 1953

I. Einführung

Die Erblasserin X stand in ihren letzten Lebensmonaten unter umfassender Betreuung. Betreuer war der Zeuge Y. Die Erblasserin war geschieden. Der Beteiligte Z ist ihr einziger Sohn.

Der Beteiligte beantragte am 23.07.2014 einen Erbschein für sich als gesetzlicher Alleinerben, der ihm am 24. Juli 2014 erteilt wurde. In den folgenden Wochen löste der Beteiligte die Wohnung der Erblasserin auf. Mit notariell beurkundeter Erklärung vom 21.08.2014 erklärte er die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist. Er erläuterte die Anfechtungserklärung auf Nachfrage des Nachlassgerichts mit weiterer notariell beurkundeter Erklärung vom 8.10.2014 dahingehend, dass die Anfechtung der Annahme der Erbschaft gemeint gewesen sei. Zur Begründung der Anfechtung hat er vorgetragen, dass er erst nach Erhalt des Erbscheins Einsicht in die Bankunterlagen der Erblasserin bei der Postbank erhalten habe. Erst hierdurch habe er von der Überschuldung des Nachlasses erfahren.

Mit Beschluss hat das Nachlassgericht entschieden, dass der Erbschein nicht als unrichtig eingezogen werde. Die Anfechtung der Annahme der Erbschaft wegen Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB sei nicht wirksam erfolgt. Der Erklärung des Beteiligten, dass er erst nach Erhalt des Erbscheins Kenntnis von der Zusammensetzung des Nachlasses erhalten habe, könne nicht gefolgt werden. Aus der Betreuungsakte sei ersichtlich, dass der Betreuer am 28.04.2014 ein Vermögensverzeichnis der Betreuten erstellt habe, in dem sowohl das Aktiv- als auch das Passivvermögen der Betreuten erfasst sei. Der Betreuer habe mit dem Beteiligten auch über die Frage einer Entlastungserklärung gesprochen. Diese habe der Beteiligte am 29.05.2014 unterzeichnet und es sei nicht anzunehmen, dass er dies getan und auf die förmliche Schlussrechnungslegung verzichtet hätte, wenn er nicht Kenntnis über den Vermögensbestand zu Beginn und Ende der Betreuung gehabt hätte. Auch habe es ihm als dem Sohn der Betreuten offen gestanden, vor der Erteilung der Entlastungserklärung und vor Beantragung eines Erbscheins Einsicht in die Betreuungsakte zu beantragen. Ein Irrtum liege jedoch dann nicht vor, wenn der Erbe sich der Möglichkeit bewusst sei, dass seine Vorstellung unrichtig sein könnte, er dies aber in Kauf nehme.

Der Beteiligte hat Beschwerde eingelegt. Er hat ausgeführt, dass er ein sehr gutes Verhältnis zu dem Betreuer gehabt und ihm vollumfänglich vertraut habe. Insofern habe er auch die Entlastungserklärung „blanko“ unterschrieben. Der Betreuer habe ihm erklärt, dass möglicherweise noch ein Kredit bei der Postbank bestünde. Er, der Beteiligte, sei davon ausgegangen, dass es sich hierbei um ein Altdarlehen handele, das die Erblasserin nach seiner Kenntnis zurückgezahlt habe. Erst nach Erhalt des Erbscheins sei die Postbank bereit gewesen, ihm Auskunft zu erteilen. Dabei habe er erstmals von dem zulasten des Nachlasses noch offenstehenden Kredit erfahren. Unverzüglich danach habe er die Erbschaft angefochten. Der Erbschein sei einzuziehen.

Das Nachlassgericht hat die Nichtabhilfe vermerkt und die Beschwerde dem Oberlandesgericht übersandt.

II. Problem

Die Beschwerde war nach Ansicht des OLG erfolgreich.

Der Beteiligte habe die Annahme wirksam angefochten mit der Folge, dass der Anfall der Erbschaft an ihn nach § 1953 Abs. 1 BGB als nicht erfolgt gilt.

Die am 21.08.2014 gegenüber dem Nachlassgericht in notariell beglaubigter Urkunde abgegebene Erklärung genüge der Form (§§ 1945, 1955 BGB). Sie sei fristgerecht, denn sie sei innerhalb von sechs Wochen, nachdem er von der Überschuldung des Nachlasses Kenntnis erhalten und hierdurch zur Ausschlagung der Erbschaft und Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist veranlasst worden sein will, erfolgt.

Die Anfechtungserklärung sei auch inhaltlich beachtlich. Ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum des Beteiligten habe vorgelegen.

Die Prüfung eines Anfechtungsgrundes habe das Gericht nicht auf den in der Anfechtungserklärung ausdrücklich aufgeführten Sachverhalt zu beschränken. Eine wirksame Anfechtungserklärung bedürfe nur der eindeutigen Kundgabe eines Anfechtungswillens, nicht der Angabe eines Anfechtungsgrundes. Der Anfechtende könne seine Beweggründe auch im Nachlassverfahren noch erläutern. Nachlass- und Beschwerdegericht hätten sodann zu prüfen, ob die vorgebrachten Tatsachen zutreffen und ihn zur Anfechtung berechtigen (BayObLG DNotZ 1984, 408, 410). Dies sei hier der Fall.

Entgegen dem ersten Anschein ergebe sich der Anfechtungsgrund allerdings nicht aus einem Irrtum über die Überschuldung des Nachlasses (§ 119 Abs. 2 BGB). Ein solcher Irrtum liege nur vor, wenn der Erbe von einer Werthaltigkeit des Nachlasses ausgegangen ist. Daran fehle es, wie hier, wenn dem Erben die Möglichkeit der Überschuldung bewusst war, weil er selbst keine genauen Vorstellungen vom Nachlassbestand hatte (OLG Düsseldorf, ErbR 2015, 91, 91 f; FamRZ 2011, 1171; MüKo-BGB/Leipold, § 1954 Rn. 14). Auch wenn dem Beteiligten „klar (gewesen ist), dass nichts zu erben sei“, so habe er doch einen geringen Nachlasswert auch nicht ausschließen wollen. Er habe es immerhin für denkbar gehalten, dass die Kosten der Wohnungsauslösung gedeckt wären und dass sogar noch etwas übrig bleiben könne, was dann sein Sohn hätte bekommen sollen.

Der Beteiligte habe seine Anfechtung bei genauer Betrachtung aber auch nicht auf einen Irrtum über die Überschuldung des Nachlasses gestützt. Aus seinem Vortrag ergebe sich vielmehr ein Irrtum über den Beginn der Ausschlagungsfrist. Die Ausschlagungsfrist beginne mit dem Zeitpunkt, in dem der Erbe von dem Anfall der Erbschaft und dem Berufungsgrund Kenntnis erlangt (§ 1944 Abs. 2 BGB). Dem Beteiligten sei nach eigenem Bekunden zwar bekannt gewesen, dass er das Erbe nur binnen bestimmter, kurzer Frist ausschlagen könne. Er habe aber gemeint, dass diese Frist erst mit Erhalt des Erbscheins zu laufen beginne. In einem solchen Irrtum liege nicht nur ein Irrtum über die Rechtsfolgen eines Verhaltens, der unbeachtlich wäre. Ein solcher Irrtum stelle sich vielmehr als Inhaltsirrtum dar.

  • 1943 BGB messe dem Verhalten des Erben nach Anfall der Erbschaft schlüssigen Erklärungswert zu. Lasse das Verhalten des Erben auf einen Annahmewillen schließen, dann gilt es auch als Annahme. Verhalte sich der Erbe in entsprechender Weise, fehle ihm tatsächlich jedoch der Wille, die Erbschaft endgültig zu behalten, so unterliegt er einem Irrtum über den Erklärungswert seines Verhaltens. Deshalb unterliege derjenige, der trotz fehlenden Annahmewillens die Ausschlagungsfrist verstreichen lässt, weil er über ihr Bestehen, ihren Lauf oder die Rechtsfolgen ihres Ablaufs irrt, einem nach § 119 Abs. 1 BGB beachtlichen Irrtum über den Inhalt der von ihm durch schlüssiges Verhalten abgegebenen Erklärung (grundlegend RGZ 143, 419; Frieser/Schlünder, § 1954; Hausmann/Hohloch/Ruby/Uricher, Handbuch des Erbrechts, 2008, Kap. 2 Rn. 215 f; ebenso bei gänzlich fehlender Kenntnis vom Ausschlagungsrecht: BayObLGZ 1983, 153, 162 f; Damrau/Tanck, 3. Aufl. 2014, § 1954 Rn. 6; MüKo-BGB/Leipold, § 1954 Rn. 6; Palandt/Weidlich, § 1954 Rn. 3; Staudinger/Otte, § 1954 Rn. 4; anders bei ausdrücklicher Annahmeerklärung, BayObLG FamRZ 1996, 59, 61; BayObLG NJW 1988, 1270).

Einem derartigen Irrtum unterlag der Beteiligte. Er habe  von Anfang an gegenüber dem Nachlassgericht deutlich gemacht, dass er nur zur Auflösung der Wohnung bereit sei, wenn es für ihn „mehr oder weniger bei ‚0‘“ bliebe. Um dies beurteilen zu können, habe er aber zunächst den Erbschein benötigt, denn erst danach habe der ehemalige Betreuer der Erblasserin ihm den Wohnungsschlüssel ausgehändigt. Nun erst habe er sich umfassend Auskunft darüber verschaffen können, was genau an Vermögen vorhanden gewesen sei.

Zweifel an der Richtigkeit der Schilderung des Beteiligten würden sich nicht daraus ergeben, dass er dem Betreuer die Entlastung erteilt und auf die Erstellung einer Schlussrechnung verzichtet hat, ohne von diesem eine genaue Aufstellung der Verbindlichkeiten erhalten zu haben. Der Beteiligte habe nachvollziehbar geschildert, dass er dem Betreuer vollen Umfangs vertraut habe.

Die Ausschlagung sei dem Beteiligten nicht nach § 1943 BGB durch die bereits erfolgte Annahme der Erbschaft verwehrt. Er habe zwar einen Erbschein beantragt und die Wohnung der Erblasserin aufgelöst. Mit beidem habe er den Willen zur Annahme der Erbschaft zum Ausdruck gebracht. Jedoch sei auch ein Verhalten, das auf einen Annahmewillen schließen lässt - wie etwa die Beantragung eines Erbscheins oder der Verbrauch von Nachlassgegenständen oder die Verfügung darüber - als Inhaltsirrtum anfechtbar, wenn dem Erben ein solcher Wille fehlte (Damrau/Tanck, § 1954 Rn. 6; MüKO-BGB/Leipold, § 1954 Rn. 5; Palandt/Weidlich, § 1954 Rn. 3; Hausmann/Hohloch/Ruby/Uricher, Kap. 2 Rn. 235 - S. 189 -).

Auch einen solchen Irrtum habe der Beteiligte glaubhaft gemacht. Soweit es die Annahme durch Beantragung des Erbscheins angeht, folge der Irrtum schon zwangsläufig aus dem oben behandelten Irrtum über den Beginn der Ausschlagungsfrist. Für den Beteiligten sei der Erbschein nur die vermeintlich notwendige Voraussetzung für den Beginn der Ausschlagungsfrist gewesen. Es sei in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass die Niederschrift über den Erbscheinsantrag nicht den Satz enthält, dass der Beteiligte die Erbschaft angenommen habe. Dies passe zu seiner Erklärung, dass er sich zu diesem Zeitpunkt eben noch nicht entschieden habe. Der Beteiligte habe aber auch nachvollziehbar erklären können, weshalb er sich um die Auflösung der Wohnung gekümmert hat, bevor er sich über die Erbenstellung klar geworden ist. Er stand wegen der Beendigung des Mietverhältnisses unter Zeitdruck.

Der Erbschein war nach allem als unrichtig einzuziehen. Da hierzu nur das Nachlassgericht befugt war (§ 2361 BGB), wurde es entsprechend angewiesen.

III. Fazit

Die Entscheidung beschäftigt sich mit einigen klassischen Problemen der Anfechtung nach Annahme der Erbschaft.

Zum einen verdeutlicht die Entscheidung, dass im Rahmen der Anfechtung die Prüfung des Anfechtungsgrundes nicht auf den in der Anfechtungserklärung ausdrücklich aufgeführten Sachverhalt zu beschränken ist, sondern die Beteiligten die Gründe für die Anfechtung auch im Nachlassverfahren noch erläutern können.

Zum anderen wird die Möglichkeit dargestellt, dass auch in der fälschlichen Vorstellung, dass die Frist zur Ausschlagung des Erbes erst mit Erhalt des Erbscheins zu laufen beginnt, ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum über den Erklärungswert der durch schlüssiges Verhalten abgegebenen Erklärung (§ 1943 BGB) vorliegen kann. Hingegen liegt kein zur Anfechtung berechtigender Irrtum über die Überschuldung des Nachlasses vor, wenn dem Erben die Möglichkeit der Überschuldung bewusst war, weil er selbst keine genauen Vorstellungen vom Nachlassbestand hatte.

 


Rezension des Beschlusses des OLG Schleswig v. 31.07.2015 - 3 Wx 120/14  „Anfechtung / Überschuldung / Inhaltsirrtum"in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.4 April 2016, S.254 ff


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