Rücktritt von einem Erbvertrag mit Pflegeverpflichtung

Leitsätze:

  1. Zum Rücktritt des Berechtigten von einem Erbvertrag mit Pflegeverpflichtung. (amtlicher Leitsatz)

OLG Oldenburg, 12 U 67/09, Urteil vom 29.05.2012

BGB §§ 275 Abs. 1, 323 Abs. 6, 2078 Abs. 2, 2281, 2295

I. Einführung

Mit notariellem Erbvertrag aus dem Jahre 1981 setzte die Klägerin den Beklagten zum Erben ein und verpflichtete sich zugleich, ihr Hausgrundstück ohne Zustimmung des Beklagten weder zu veräußern noch zu belasten. Die Parteien vereinbarten, dass der Beklagte im Falle eines Verstoßes gegen die Verpflichtung die sofortige Übereignung des Grundstücks verlangen könne. Der Beklagte verpflichtete sich seinerseits dazu, die Klägerin in kranken und alten Tagen zu hegen und zu pflegen, ohne dass er oder seine Rechtsnachfolger dafür geldwerte Mittel aufzuwenden hätten.

Nachdem der Beklagte zunächst ab 1980 die Unterwohnung im Haus der Klägerin bewohnt hatte, zog er Anfang 1993 aus. Die Klägerin hatte zuvor mit anwaltlichem Schreiben die Räumung wegen „ständiger Auseinandersetzungen“ und „endgültiger Störung des Vertrauensverhältnisses“ verlangt.

Mit Schreiben aus dem Jahre 1999 forderte die Klägerin den Beklagten unter Fristsetzung mit Hinweis auf seine vertragliche Pflegeverpflichtung auf, bei ihr vorstellig zu werden. Im Jahr 2007 zog die Klägerin in ein Alten- und Pflegeheim in B. Mit notarieller Urkunde vom 18.01.2008 erklärte sie den Rücktritt vom Erbvertrag unter Berufung auf ihre ab 1999 geringfügige sowie seit Anfang 2005 in größerem Umfang bestehende Pflegebedürftigkeit. Dem Beklagten wurde am 28.01.2008 eine Ausfertigung dieser Urkunde zugestellt.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, sich hierdurch wirksam vom Erbvertrag gelöst zu haben. Der Beklagte habe in Kenntnis ihrer erhöhten Pflegebedürftigkeit die Erfüllung seiner ihm auferlegten vertraglichen Betreuungspflichten nachhaltig verweigert.

Der Beklagte hingegen ist der Auffassung, dass die Klägerin mangels Vorliegen von Rücktrittsgründen nicht zu einer Loslösung vom Erbvertrag berechtigt gewesen sei. Weiterhin bestreitet er die Pflegebedürftigkeit der Klägerin seit Anfang 1999. Er habe von einem entsprechenden Pflegebedarf keinerlei Kenntnis gehabt. Von dem Umzug der Klägerin in das Altenheim habe er erst im Januar 2008 erfahren.

Das Landgericht hat die Klage, nachdem es eine Beweisaufnahme zur Frage der Pflegebedürftigkeit der Klägerin und einer etwaigen Kenntnis des Beklagten hiervon durchgeführt hat, abgewiesen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Sie vertieft hierzu ihr erstinstanzliches Vorbringen insbesondere im Hinblick auf die von ihr behauptete erhöhte Pflegebedürftigkeit und die Weigerung des Beklagten zur Pflege trotz Kenntnis ihres Zustandes.

Die Klägerin beantragte, das Urteil des Landgerichts Oldenburg zu ändern und festzustellen, dass der notarielle Erbvertrag unwirksam sei.

Der Beklagte hingegen beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat dem Feststellungsbegehren der Klägerin stattgegeben und ausgeführt, dass die Klägerin gem. §§ 2295, 323 BGB wirksam zurückgetreten sei. Zudem habe sie den Vertrag nach den §§ 2281, 2078 Abs.2 BGB wirksam anfechten und aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) kündigen können.

Der Beklagten legte gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde ein. Der Bundesgerichtshof hat daraufhin mit Beschluss vom 05.10.2010 (ZEV 2011, 254) das Urteil des Senats aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine Anfechtung bzw. Kündigung aus wichtigem Grund schon bereits wegen einer rechtzeitigen Erklärung der Klägerin ausscheide. Ein Rücktritt scheitere an der erforderlichen Fristsetzung gem. § 323 Abs.1 BGB. Bezüglich der Entbehrlichkeit der Fristsetzung sei ggf. eine Beweisaufnahme nötig gewesen. Der Beklagte schulde weiterhin keine Übernahme von Geldzahlungen zur Heimunterbringung.

Der Senat wies das Berufungsgericht weiterhin darauf hin, dass es im Rahmen der Zurückverweisung Gelegenheit zur Feststellung habe, ob der Beklagte die ihm allein obliegende Betreuung der Klägerin im häuslichen Umfeld mit den ihm gegebenen persönlichen Möglichkeiten verweigert habe, oder ein Rücktritt der Klägerin nach § 323 Abs. 6 BGB wegen einer Eigenverantwortlichkeit im Hinblick auf die unterlassene Pflegeleistung oder wegen Annahmeverzuges ausgeschlossen sei. Daneben sei eine Klärung der Frage möglich, ob die Klägerin aufgrund nachträglicher subjektiver Unmöglichkeit zur Leistungserbringung aufseiten des Beklagten ihrerseits von dem Vertrag habe zurücktreten können, da im Jahr 2007 eine adäquate und medizinische Versorgung im häuslichen Bereich nicht mehr möglich gewesen sei.

Der Senat hat daraufhin zu den Fragen, ob der Beklagte eine Pflege der Klägerin endgültig abgelehnt hat bzw. ob eine adäquate medizinische und pflegerische Betreuung der Klägerin durch den Beklagten im Jahr 2007 noch im häuslichen Bereich möglich war, Beweis erhoben.

II. Problem

Die hier gegenständliche Berufung der Klägerin wurde vom Senat als zulässig und begründet erachtet.

Die Klägerin sei gemäß der §§ 2295, 326 Abs. 1 und 5., 323 Abs. 1 BGB zum Rücktritt vom Erbvertrag berechtigt gewesen.

Die von dem Beklagten nach der Vereinbarungen von ihm persönlich geschuldete Leistungserbringung sei für ihn subjektiv unmöglich geworden, § 275 Abs. 1 BGB, sodass er ipso iure von seiner Leistungspflicht befreit worden sei. Infolgedessen habe die Klägerin gemäß der §§ 326 Abs. 1 und Abs. 5, 323 Abs.1 BGB ohne vorherige Fristsetzung vom Vertrag zurücktreten können.

Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass eine adäquate medizinische und pflegerische Versorgung der Klägerin durch den Beklagten im häuslichen Bereich Mitte des Jahres 2007 nicht mehr möglich gewesen sei und damit eine subjektive Unmöglichkeit im Hinblick auf die von ihm vertraglich geschuldete Pflegeleistung vorgelegen habe.

Ein Fall von Unmöglichkeit i. S. des § 275 Abs. 1 BGB liege vor, wenn es sich um eine höchstpersönliche, allein von dem Schuldner zu erfüllende Leistungen handele, an deren Erbringung dieser dauerhaft gehindert sei. Die Frage ob bzw. in welchen Fällen die obergerichtliche Rechtsprechung Pflegedienstleistungen grundsätzlich als nicht von dem Schuldner höchstpersönlich zu erbringende Verpflichtungen betrachtet sei vorliegend irrelevant. Nach den Feststellungen des Bundesgerichtshofs schulde der Beklagte aufgrund der Vereinbarung ausschließlich die Betreuung der Klägerin im häuslichen Umfeld mit den ihm gegebenen persönlichen Möglichkeiten. Zu finanziellen Leistungen sei er aufgrund der Regelungen des Erbvertrages gerade nicht verpflichtet.

Damit sei die für die Frage der subjektiven Unmöglichkeit zu bestimmende Leistungsverpflichtung des Beklagten dahin gehend konkretisiert worden, dass er ausschließlich durch seine Person leistbare Betreuungsarbeiten schulde. Nach den Ausführungen der Sachverständigen und der Zeuginnen ging der zur häuslichen Pflege notwendige Betreuungsbedarf jedoch beträchtlich über das hinaus, was der Beklagte in persona hätte leisten können. Daran hätte auch eine eventuelle Unterstützung durch Familienangehörige nichts geändert.

Nach Aussage einer Krankenschwester habe eine 24-Stunden-Pflege im häuslichen Bereich nur durch professionelle Kräfte erfolgen können, selbst wenn die Essenszubereitung, das Ankleiden und die Gabe der von ärztlicher Seite verordneten Medikation nicht durch einen professionellen Pfleger hätten erfolgen müssen. Die Sachverständige habe ausgeführt, dass Mitte 2007 eine Betreuung der Klägerin mindestens dreimal täglich für jeweils eine Stunde zwingend notwendig gewesen sei und diese Pflege nur durch eine gerontopsychiatrisch geschulte Pflegekraft hätte geleistet werden können. Die Sachverständige habe zudem auf ausdrückliche Nachfrage des Senats hin erläutert, dass dieser Pflegeumfang zum damaligen Zeitpunkt der Mindestbedarf gewesen sei, den sie unter Zugrundelegung des ihr bei der Begutachtung zur Verfügung stehenden Aktenmaterials definitiv habe feststellen können. Die Unterlagen und Aussagen der Zeuginnen ließen auf einen unzureichenden körperlichen Zustand und ein Demenzstadium schließen, in dem die Klägerin immer wieder die Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme phasenweise verweigerte und zeitweise nicht vollauf orientiert gewesen sei. Deshalb sei es damals unerlässlich gewesen, den Tagesablauf und die körperliche Versorgung durch drei stündliche Besuche einer qualifizierten Pflegekraft zu strukturieren.

Das Gericht erachtete die Ausführungen der Sachverständigen hinsichtlich der erforderlichen besonderen Qualifikation der Pflegekraft als nachvollziehbar und überzeugend. Insbesondere habe die Sachverständige anschaulich erläutert, dass die abwehrende, zuweilen angreifende und in manchen Fällen sogar aggressive Weigerungshaltung von Betroffenen bei vielen notwendigen Verrichtungen wie beispielsweise der Nahrungsaufnahme oder der Hygiene es einem ungeschulten Familienangehörigen auf Dauer unmöglich machen, die Pflege ruhig und fachgerecht dauerhaft zu leisten und deshalb eine qualifizierte Schulung der Betreuungsperson unabdingbar sei. Nur eine solche Kraft sei in der Lage, die Betroffene durch die richtigen Reaktionen von ihrer Verweigerungshaltung abzubringen und zu einer Mitarbeit zu motivieren. Auch soweit der Beklagte ausführt, dass das die Klägerin derzeit beherbergende Heim nicht über derart ausgebildete Fachkräfte verfüge, ändere dies nichts an dem unabhängig davon von der Sachverständigen festgestellten objektiven Betreuungsbedarf der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt.

Daneben werde die Aussage der Sachverständigen auch durch den die Klägerin seinerzeit behandelnden Arztes W. gestützt. Dieser habe angegeben, eine Eigenversorgung oder häusliche Pflege ohne Hinzuziehung von Pflegepersonal sei insbesondere wegen bestehender Schwindelproblematiken und psychischer Problematiken nicht möglich gewesen. Eine Rückkehr ins häusliche Umfeld habe nur im Fall einer 24-Stunden-Betreuung durch eine erfahrende beaufsichtigende Pflegekraft erfolgen können. Daneben habe er ausgeführt, dass der weitere Verbleib der Klägerin in der Pflegeeinrichtung aus „ärztlicher Sicht sicherlich vertretbar und wünschenswert“ gewesen sei und sie einer täglichen intensiven Zuwendung bedurfte.

Auch die Aussage des Bruders des Beklagten, entkräftet die vorgenannte Überzeugung des Senats nicht. Es könne dahinstehen, inwieweit die Angaben dieses Zeugen überhaupt glaubhaft waren. Der Zeuge habe nämlich zu dem täglich notwendigen Pflegebedarf der Klägerin keine ergiebigen Angaben machen können, weil er sie im Rahmen der Besuche seiner Mutter jeweils nur kurz und ausschnittsweise erlebt hat. Die Aussage, ihm seien keine Besonderheiten aufgefallen, besage nichts über den täglichen Pflegebedarf.

Der Senat kommt somit zum Ergebnis, dass nach alledem die zwingende Notwendigkeit der Verrichtung der erforderlichen Pflegeleistungen durch besonders geschultes und qualifiziertes Betreuungspersonal eine Leistungserbringung der häuslichen Pflege durch den Beklagten mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten unmöglich mache.

Die notwendige Rücktrittserklärung habe die Klägerin mit der notariellen Urkunde vom 18.01.2008 abgegeben. Unschädlich sei hierbei, dass die Erklärung unter Hinweis auf die nach Ansicht der Klägerin pflichtwidrig unterlassene Pflegeleistung erfolgte. Der Erklärung lasse sich ohne Zweifel der unbedingte Wille zur Loslösung vom streitgegenständlichen Vertrag wegen eines erhöhten Pflegebedarfs entnehmen.

Die gemäß § 323 Abs. 1 BGB grundsätzlich notwendige Fristsetzung sei nach § 326 Abs. 1 und Abs. 5 BGB im Falle eines Rücktritts wegen Unmöglichkeit der Leistung im Sinne von § 275 Abs. 1, 1. Alt. BGB aufseiten des Schuldners entbehrlich.

Auch ein Ausschluss gemäß § 323 Abs. 6 BGB sei vorliegend nicht gegeben. Art und Umfang des im Jahr 2007 notwendigen Betreuungsbedarfs im häuslichen Bereich seien dem Einflussbereich der Parteien naturgemäß entzogen und von keiner Seite zu verantworten.

III. Fazit

Die Entscheidung verdeutlicht die großen Beweisschwierigkeiten, die sich bei nachträglichen Feststellungen zum Grad einer Pflegebedürftigkeit ergeben. Für die Praxis kann hier nur eine zeitnahe Feststellung empfohlen werden.

Bezüglich der vertraglichen Vereinbarung der Parteien bleibt festzuhalten, dass bei der Vereinbarung einer persönlich zu erbringenden Pflegeleistung, dann, wenn der Pflegebedarf nur noch durch fachkundiges Personal erfolgen kann, und keine Kostentragungspflicht o.ä. vereinbart ist, ein Fall der Unmöglichkeit nach § 275 I BGB vorliegt. Der zu pflegenden Person eröffnet dies die Möglichkeit, sich gem. §§ 323 Abs. 1, 326 Abs. 5 BGB ohne vorherige Fristsetzung vom Vertrag zu lösen.


Rezension des Urteils des OLG Oldenburg v. 29.05.2012 - 12 U 67/09 - LG Oldenburg zu „Rücktritt von einem Erbvertrag mit Pflegeverpflichtung", in: FuR - Familie und Recht - Zeitschrift für Fachanwalt und Familiengericht, Nr.8 August 2013, S. 478 ff


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